Die Geburtshilfe

von: Henning Schneider, Peter Wolf Husslein, Karl-Theo M. Schneider

Springer-Verlag, 2007

ISBN: 9783540338970 , 1136 Seiten

3. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 139,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Geburtshilfe


 

24 Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns (S. 429-430)

24.1 Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs für die Geburtsauslösung

H. Schneider

Überblick

Das kontraktionsfreie Myometrium bietet zusammen mit den Eihäuten und der geschlossenen Zervix dem Fetus eine geschützte Umgebung für eine ungestörte Entwicklung. In dem Grenzbereich bestehend aus Dezidua und Zervix einerseits und der Plazenta mit den Eihäuten andererseits kommt es zu einem direkten Kontakt zwischen mütterlichen und fetalen Geweben. Der Schutz des hemiallogenetischen Embryos vor Abstoßungsreaktionen des mütterlichen Immunsystems sowie die Versorgung des Fetus, die durch die speziellen Gewebsstrukturen, die sich in dieser Kontaktzone in der Frühschwangerschaft entwickeln, gewährleistet wird, sind für die erfogreiche Schwangerschaft von zentraler Bedeutung.

Dieser Bereich entwickelt ferner endokrine Funktionen, durch die die Anpassung des mütterlichen Organismus an die besonderen Bedürfnisse einer Schwangerschaft erst möglich wird. Über para- und autokrine Steuerungsmechanismen mit der Synthese von Peptiden und Zytokinen und die endokrine Verbindung mit der mütterlichen und der fetalen Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HH-NNR) wird während der Schwangerschaft die Ruhigstellung des Myometriums und die strukturelle Integrität der Zervix und der Eihäute sichergestellt.

Dabei spielt Progesteron als Steroidhormon, dessen Produktion am Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels vom Corpus luteum auf die Plazenta übergeht, eine wichtige Rolle. Als Vorbereitung auf die Geburt kommt es durch eine Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen den die Schwangerschaft erhaltenden und den das Geburtsgeschehen begünstigenden Einflüssen zu einer Auflockerung des Zervixgewebes sowie einer Abnahme der Reißfestigkeit der Eihäute.

Aus einer erhöhten Kontraktilität des Myometriums entwickelt sich mit dem Beginn der Geburt eine regelmäßige Wehentätgkeit. Für diese Veränderungen spielen das Neuropeptid CRH, Prostaglandine und Proteasen, die in den Geweben des fetomaternalen Grenzbereichs gebildet werden, zusammen mit den Streoidhormonen Östrogen und Kortisol eine zentrale Rolle. Das Geburtsgeschehen kann durch eine vorzeitige Aktivierung der fetalen HH-NNR-Achse durch hypoxisch-ischämische Läsionen im Plazentagewebe oder auch durch chronischen mütterlichen Stress frühzeitig in Gang gesetzt werden. Aszendierende oder systemische Infektionen, retroplazentare Blutungen in die Dezidua sowie eine pathologische Überdehnung des Myometriums und der Eihäute sind andere pathogenetische Mechanismen, die über eine Störung der auto-/parakrinen Homöostase in der fetomaternalen Region zu einer Frühgeburt führen können. Dabei bestehen in Abhängigkeit von der jeweiligen Ätiologie durchaus Unterschiede in der kaskadenförmig ablaufenden Reaktionsfolge, wobei die Endpunkte in Form von Wehen, Zervixreifung und Blasensprung gesetzt sind. Es können sich allerdings durch deren zeitliche Reihenfolge unterschiedliche Geburtsabläufe ergeben.

Das Verständnis der molekularbiologischen Grundlagen zusammen mit den zellulären Abläufen sowie deren Unterschiede je nach Ätiologie der drohenden Frühgeburt sind Basis für den gezielten Einsatz der verschiedenen therapeutischen Maßnahmen wie Antibiotika, Tokolyse und eine Beschleunigung der Lungenreifung des Fetus. Die Wahl des Zeitpunktes sowie die Art der vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft durch Einleitung der Geburt, Wehenstimulation oder Sectio muss den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls angepasst werden. Im Folgenden wird v. a. auf die Vorgänge im fetomaternalen Grenzbereich und deren endokriner Interaktion mit der fetalen und der mütterlichen HH-NNR eingegangen. Einzelheiten der molekular- und zellbiologischen Auswirkungen auf das Myometrium, die Zervix und die Eihäute werden in 7 Kap. 24.2–24.4 näher beschrieben.

24.1.1 Auto- und parakrine Vorgänge in dem fetomaternalen Grenzbereich

Der fetomaternale Grenzbereich, bestehend aus der Dezidua, der Plazenta und dem Chorioamnion, wird in der Schwangerschaft zur zentralen Schaltstelle verschiedener Vorgänge und übernimmt Teilfunktionen des mütterlichen Hypothalamus-Hypophysen- Bereichs. Bereits in der Frühschwangerschaft gehen durch die Abgabe einer Vielzahl von Peptiden und Proteinen in den mütterlichen Blutkreislauf wichtige Impulse für die Adaptation des Organismus an die besonderen Bedürfnisse einer Schwangerschaft von dieser Region aus.