Effektiv oder gerecht? - Die normativen Grundlagen der Entwicklungspolitik

von: Stefan Kadelbach

Campus Verlag, 2014

ISBN: 9783593422664 , 326 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 32,99 EUR

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Effektiv oder gerecht? - Die normativen Grundlagen der Entwicklungspolitik


 

1.Phasen der Entwicklung

Wie man den Transfer finanzieller oder technischer Ressourcen an andere Staaten auch bezeichnet, ob als Entwicklungshilfe, Entwicklungspolitik oder Entwicklungszusammenarbeit, das zugrundeliegende Konzept bleibt ambivalent. Zum einen scheinen derartige Leistungen einer ethisch unterlegten Verpflichtung zu folgen, die in Verträgen und Konferenzdokumenten global formuliert wird und sich darauf richtet, Staaten mit anfälligen Volkswirtschaften zu einer von existenziellen Nöten freien Selbstbestimmtheit zu verhelfen; die Charta der Vereinten Nationen erklärt die wirtschaftliche Zusammenarbeit daher zu einem ihrer Ziele (Art. 1 Ziff. 3, 55, 73, 75 UNC). Zum anderen setzen sie Ungleichheit zwischen den Beteiligten voraus, die mit der Rollenverteilung in Geber und Empfänger und den in ihr angelegten Möglichkeiten der einen Seite, der anderen Bedingungen zu stellen, alte Machtgefälle verfestigt oder neue schafft.

Für die Entwicklungspolitik ist es also entscheidend, dass Entwicklung transitiv verstanden wird, als etwas Prozesshaftes, das beeinflusst werden kann. Die Anfänge standen im Zeichen der Idee, dass Unterentwicklung durch Fortschritt, durch aktiv gestaltete Modernisierung überwunden werden soll. Das Ziel ist ein Zustand, der durch höheren Wohlstand, mehr Freiheit und die technischen Möglichkeiten gekennzeichnet ist, diese Errungenschaften zu erhalten. Eine solche Wirtschaftsordnung würde ihre Wirkungen auf den einzelnen Menschen von allein entfalten. Der Erfolg - oder Misserfolg - ließ sich mit der Höhe des Bruttosozialprodukts oder der Rate wirtschaftlichen Wachstums messen.

Dieser Ansatz, bewusst als Alternative zu sozialistischen Gesellschaftsmodellen formuliert, stieß schnell auf Kritik. Bestritten wurde daran aber zunächst nicht der Sinn von Entwicklung selbst; das Ziel, den Abstand zu den industrialisierten Volkswirtschaften zu verringern, war immer auch ein Ziel der neu unabhängig gewordenen, blockfreien Staaten gewesen. Die Kritik der Dependenztheorie richtete sich vielmehr auf die Machtasymmetrien zwischen den Akteuren. Die wirtschaftliche Ausbeutung Lateinamerikas und der ehemaligen Kolonien auf der Grundlage von Bündnissen zwischen den lokalen Eliten und auswärtigen Regierungen und Unternehmen nach kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten habe Abhängigkeiten geschaffen, deren Aufrechterhaltung im Interesse der industrialisierten Staaten liege. Diese Abhängigkeiten werden seit jeher bewusst außenpolitisch genutzt; am Beginn der internationalen Entwicklungspolitik standen der Kalte Krieg und das Motiv, durch wirtschaftliche Hilfe den eigenen Einfluss zu stärken. Aus dieser Kritik, die für eine Zuwendung zum Sozialismus plädierte, leitete sich die Forderung nach neuen Regeln ab, die sich im Projekt der so genannten Neuen Weltwirtschaftsordnung abbildeten. Diese Ordnung sollte in Handelspräferenzen, permanenter Souveränität über natürliche Ressourcen, Pflichten zum Technologietransfer, Mechanismen der Preisstabilisierung für Rohstoffe und einer neuen, auf gleichen Stimmrechten gegründeten Architektur der Finanzinstitutionen bestehen und in ein 'Recht auf Entwicklung' münden. An der Gültigkeit der ökonomischen Parameter, an denen Entwicklung zu messen war, änderte sich jedoch nichts. Auch der Pflichtenstandard der Geberseite wird in dieser Währung ausgedrückt, wie die noch immer gültige, bis in die 1950er Jahre zurückgehende Forderung zeigt, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aufzuwenden.

Diese Neue Weltwirtschaftsordnung war nie mehr als eine Forderung. Die Aussichten, sie durchzusetzen, waren nicht günstig, und im geltenden Völkerrecht hat sie kaum Spuren hinterlassen. Schuldenlast, Kapitalflucht, Verfall der Rohstoffpreise und Bedarf an ausländischen Direktinvestitionen sind keine gute Ausgangsbasis für starke Ansprüche. Mit dem Ende des Kalten Krieges schwand zudem die vermeintliche Strahlkraft eines auf Mittel der planerischen Intervention setzenden Gegenentwurfs zur Marktwirtschaft. Nach dem Zwischenspiel des von Weltbankpräsident McNamara entworfenen, paternalistisch-sozialdemokratischem Denken verpflichteten basic needs-Ansatzes wandten sich die internationalen Finanzinstitutionen dem Konzept zu, durch Liberalisierung der Wirtschaftssysteme die Voraussetzungen für Entwicklung zu schaffen. Mit ihm ging eine Ablösung des keynesianischen Grundzuges, der die Entwicklungspolitik seit dem Marshall-Plan gekennzeichnet hatte, durch neoliberale Modelle einher. Die Mittel des sogenannten Washington Consensus waren die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und die Konditionalitäten des Internationalen Währungsfonds, die die Vergabe von Krediten an eine Umstellung der nationalen Wirtschaftspolitik auf ihre Leitbilder banden, und mit denen diese Finanzinstitutionen voraussehbar in die Kritik gerieten. Die Vorstellung einer entwickelten Gesellschaft korrespondierte mit den Bedingungen einer Marktwirtschaft, deren möglichst freie Entfaltung zu höherem Wohlstand führen würde.

Allerdings zeichnete sich bereits in dieser Zeit, den 1980er und frühen 1990er Jahren, ein sehr viel tiefer greifender Wandel in der Einstellung gegenüber der Entwicklungsidee ab. So unterschiedlich Modernisierungstheorie, Neue Weltwirtschaftsordnung und Washington Consensus im Ansatz auch sind, so schienen sie sich doch darin einig gewesen zu sein, dass Entwicklung als ein Prozess des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts möglich und wünschenswert ist. Eine Reihe von Faktoren erschütterte diese Annahme. Zum einen waren diese in der Entwicklungspolitik selbst angelegt, wie ihre Indienstnahme für globalpolitische Ziele und mit ihr einhergehende Bündnisse mit - und Stabilisierung von - zweifelhaften Regimen, bad governance in den Empfängerländern, Fehlplanungen auf Seiten der Geber, Überdimensionierung der Vorhaben über die Köpfe der Betroffenen hinweg sowie, als Folge von alldem, allzu oft ein Mangel an Tragfähigkeit der Projekte. Hinzu kommen als Dauerprobleme politische Instabilität und das permanente Risiko von Katastrophen, in den ärmsten Ländern bis hin zu anhaltenden bewaffneten Konflikten, die den getriebenen Aufwand und seine möglichen Erfolge jederzeit zunichtemachen können. Ein weiterer Faktor ist der Wandel in der normativen Umgebung, der sich in der durch den Weltumweltgipfel in Rio 1992 in das Völkerrecht eingeführten Formel des sustainable development spiegelt; sie ist mehrdeutig, indem sie teils suggeriert, dass sich Entwicklung umweltverträglich vollziehen müsse, teils aber auch das Verständnis zulässt, dass Umweltschutz (sustainability) aufgeschoben werden dürfe, bis sich Entwicklung eingestellt habe. Doch steht hinter ihr unausgesprochen die Überzeugung, dass Klima-, Gewässer-, Biotop- und Artenschutz eine volle Entwicklung der Welt auf dem Stand der Industrieländer letztlich nicht aushielten.

Damit hätte sich die Frage stellen können, ob Entwicklung verstanden als Idee extern induzierter Sozialreform noch zur Debatte steht. Die Programmatik der Entschuldungsinitiative der Weltbank zugunsten der am meisten verschuldeten Länder (HIPC), der Millenniums-Deklaration und der Millennium Development Goals scheinen hiervon weiterhin auszugehen. Sie setzte an die Spitze ihrer Agenda die Bekämpfung und Reduzierung von Armut, erwähnt aber auch andere Ziele, die auf eine Verbesserung individueller Lebensbedingungen hinauslaufen, wie Gesundheit (üblicherweise gemessen nach Lebenserwartung) und Bildung (gemessen nach Alphabetisierungsrate). Es sieht so aus, als sei man mit dem von den Millennium Goals spezifizierten, in die 1990er Jahre zurückreichenden Human Development Index zur basic needs-Politik der 1970er Jahre zurückgekehrt. Aber auch nach ihm wird der Erfolg hinsichtlich des wichtigsten Zieles, der Armutsbekämpfung, nach ökonomischen Kennzahlen, dem Pro-Kopf-Einkommen gemessen, und performance wird danach bewertet, wie weit es gelingt die Zahl derer, die unter diese Armutsdefinition fallen, zu verringern. Der Weg dorthin ist Wachstum, wenn sich auch Weltbank und UNDP über den letztlich maßgeblichen Indikator für Pro-poor Growth nicht einig sind.