Corsica

von: Ferdinand Gregorovius

Jazzybee Verlag, 2013

ISBN: 9783849640750 , 565 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 0,99 EUR

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Corsica


 

 

Pasquale Paoli war der jüngste Sohn Hyacints. Im Alter von vierzehn Jahren hatte ihn der Vater mit sich in die Verbannung nach Neapel genommen. Hier versprachen die Anlagen des Knaben einen Mann, welcher dereinst seinem Lande große Dienste leisten werde. Mit Sorgfalt ließ ihn sein hochgebildeter Vater erziehn und ihn den Unterricht der berühmtesten Männer der Stadt genießen. Neapel war damals und durch das ganze achtzehnte Jahrhundert ein Vereinigungspunkt jener großen italienischen Philosophenschule der Humanität, der Geschichte und der Staatsökonomie, welche Männer zählte wie Vico, Giannone, Filangieri, Galiani, Genovesi. Der Letztere namentlich, der große Nationalökonom, war Pasquale's Lehrer und legte Zeugniß von dem Genie seines Schülers ab. Aus dieser Schule ging Paoli hervor, einer der größten jener praktischen Humanitätsphilosophen des 18. Jahrhunderts, welche ihre Grundsätze als Gesetzgeber und Ordner der Staatsgesellschaft zu verwirklichen gesucht haben.

 

Als die in Corsica eingesetzte Fünfregierung den Bedürfnissen nicht entsprach, war Clemens Paoli es selbst, welcher die Wünsche der Corsen auf seinen Bruder Pasquale lenkte. Dieser war damals Soldat in Diensten Neapels, durch Tapferkeit im calabrischen Kriege bereits namhaft geworden und allen wert durch den Adel seiner Person und seinen gebildeten Geist. Sein Bruder Clemens schrieb ihm eines Tags, daß er nach seiner Insel zurückkehren solle, weil es der Wille seiner Landsleute sei, ihn als General an ihre Spitze zu stellen. Pasquale schwankte. Gehe, mein Sohn, so sagte der alte Hyacint zu ihm, thue deine Pflicht und sei der Befreier deines Vaterlandes.

 

Am 29. April 1755 landete der junge Paoli in Aleria, auf derselben Stelle, wo neunzehn Jahre früher Theodor gelandet war. In so wenig Jahren welch ein anderes Gepräge schienen die Dinge bekommen zu haben. Ein junger Sohn des Landes war es, weder durch Thaten ausgezeichnet, noch durch einflußreiche Verbindungen, noch von verheißender Hoffnung auf fremde Hülfe; kein Planemacher, ohne theatralisches Schaugepränge; er kam mit leeren Händen, zaghaft, und brachte nichts mit sich als seine Liebe zum Vaterland, seine Willenskraft und seine Philosophie, mit welcher er ein verwildertes, vom Familienhaß und der Blutrache zerfleischtes Naturvolk befreien und zu einer sittlichen Staatsgesellschaft umbilden wollte. Dies Problem war in der Weltgeschichte unerhört, und wie es vor den Augen Europa's gelingen wollte in einer Zeit, wo ähnliche Versuche an den Culturvölkern scheiterten, wurde der Beweis gegeben, daß die rohe Einfalt der Natur für die demokratische Freiheit empfänglicher sei, als die Verderbtheit der verfeinerten Cultur es sein kann.

 

Pasquale war damals 29 Jahre alt, von kräftig edler Gestalt, von achtunggebietendem Wesen; seine anspruchlose Weise, die Festigkeit und Milde seines Antlitzes, die woltönende Stimme, die schlichte und doch überredende Sprache und der klarste Verstand erweckten ihm sofort Vertrauen. Man ahnte den Mann des Volks und den großen Bürger. Als sich nun jenes, in Sant' Antonio della Casabianca versammelt, dahin erklärt hatte, daß Pasquale Paoli alleiniger General sein solle, lehnte er zuerst die Berufung ab, seine Jugend und Unerfahrung vorstellend; doch nicht einmal darauf ging man ein, daß man ihm einen Collegen zur Seite stelle. Am 15. Juli 1755 übernahm er die oberste Regierung seines Vaterlandes.

 

Er fand dasselbe in diesem Zustande: die Genuesen auf ihre Festungen beschränkt den Krieg rüstend; den größten Teil der Insel frei; das Volk der Gesetze ungewöhnt, von Parteien und der Blutrache zerrissen; Ackerbau, Industrie, Wissenschaften vernachlässigt oder nicht vorhanden; alles ungeordneter roher Stoff, doch voll von gesunden Keimen, welche frühere Jahrhunderte gepflanzt, spätere nicht erstickt hatten. Er fand endlich ein Volk vor, dessen edelste Eigenschaften Vaterlandsliebe und Freiheitssinn fast bis zur rasenden Leidenschaft gesteigert waren. Gleich die ersten Maßregeln Paoli's gingen an die Wurzel des Uebels. Es wurde ein Gesetz erlassen, welches die Vendetta mit der Schandsäule und mit Tod durch Henkershand bestrafte. Nicht allein Furcht, auch Ehrgefühl sollten helfen, wie moralische Belehrung. Geistliche, Missionäre gegen die Blutrache, zogen umher und predigten auf den Feldern, daß man seinen Feinden verzeihen müsse. Paoli selbst durchreiste das Land, haßentbrannte Familien zu versöhnen. Einer seiner Verwandten hatte dem Gesetz zum Trotz Blutrache geübt; er schwankte keinen Augenblick; er ließ ihn hinrichten. Diese Festigkeit und der Anblick unparteiischer Gerechtigkeit machten tiefen Eindruck.

 

Mitten in solcher Thätigkeit überraschte Paoli die Nachricht, daß Emanuel Matra seine Anhänger um sich versammelt, die Waffen erhoben habe und gegen ihn heranziehe. Matra, aus einem Haus alter Caporali von jenseits der Berge, war durch Ehrgeiz und Neid zu diesem Entschluß getrieben worden. Er hatte sich selbst Rechnung gemacht, die höchste Stelle zu bekleiden; seinem Nebenbuler sie zu entreißen war er aufgestanden. Seine Macht war drohend. Paoli wollte das Vaterland vor einem innern Krieg bewahren, er bot seinem Gegner an, die Waffen ruhen zu lassen und einer Volksversammlung die Entscheidung anheim zu geben, wer von ihnen General sein solle. Der trotzige Matra verwarf diesen Vorschlag, er pochte auf seine Tapferkeit, seine Kriegserfahrung, sogar auf die Unterstützung durch Genua. In mehren Treffen überwand er die Heerhaufen Paoli's, dann selbst zurückgeworfen erschien er im Anfang des Jahres 1756 mit genuesischer Hülfe wieder, und mit großer Kühnheit überfiel er Paoli in Bozio. Pasquale warf sich schnell in das Kloster und verschanzte sich daselbst. Die Gefahr war groß; schon brannten die Thüren, die Flamme ergriff bereits das Innere des Gebäudes; Paoli gab sich verloren. Da ließen sich von den Bergen Muschelhörner hören und herab kam sein Bruder Clemens mit Tomaso Carnoni, Pasquale's bisherigem Todfeinde, welchen die eigne Mutter bewaffnet hatte um den Gegner zu retten, und eine Schar anderer Tapferer. Man sagt, daß Matra, als die Seinigen todt oder geflohen waren, mit einer beispiellosen Wildheit kämpfte und selbst dann zu kämpfen fortfuhr, als ihn ein Schuß bereits in die Kniee geworfen hatte, bis ihn ein zweiter niederstreckte. An der Leiche des Feindes weinte Paoli vor Kummer, einen Mann von solcher Heldenkraft unter Verrätern todt und seinem Vaterland verloren zu sehn. Die Gefahr war beseitigt und die Partei Matra's vernichtet; ihrer wenige nur hatten sich nach Bastia zu den Genuesen geflüchtet, um bei günstiger Zeit wieder zu erscheinen.

 

Es zeigte sich übrigens, daß Genua schon erschöpft war. Diese einst so mächtige Republik stand am Vorabend ihres Falls. Geängstigt durch die Fortschritte der Corsen, deren Regierung sich von Tag zu Tage mehr befestigte, machte sie zwar Versuche sie mit Waffengewalt zu erdrücken, aber diese hatten nicht mehr die Kraft wie in der Zeit der Doria und der Spinola. Die Republik nahm mehrmals Schweizer und Deutsche in Sold und griff Paoli in der Nähe Bastia's an, doch ohne Erfolg. Hierauf wandte sie sich wieder an Frankreich. Um zu hindern, daß nicht die Engländer einen Küstenplatz in Corsica besetzten, schickte das französische Cabinet im Jahr 1756 Besatzungen nach den festen Städten der Insel. Doch hielten sich die Franzosen neutral und thaten nichts mehr als diese Orte besetzen, welche sie endlich im Jahr 1759 wieder räumten.

 

Genua verzagte. Es sah die Corsen zu einem geordneten Staat zusammenwachsen und das Land in kurzer Zeit wunderbar emporblühen. Die Finanzen waren geregelt, der Ackerbau rührte sich, Fabriken, selbst Pulvermühlen waren in Gang gekommen, eine neue Stadt Isola Rossa entstand vor den Augen des Feindes; Paoli hatte selbst eine Flotte aufgestellt; die corsischen Kreuzer machten das Meer für genuesische Schiffe unsicher. Ganz Corsica, vom Familienhader gereinigt, war wol bewehrt und wol gerüstet; immer enger waren die letzten festen Städte umschlossen, welche die Republik noch besaß. Solche Entwicklung hatte das corsische Volk unter einer weisen Regierung und aus eigner Kraft genommen, daß es keiner fremden Hülfe mehr bedurfte. Genua ließ sich nun herbei, Friedensanträge zu machen; aber die Corsen erklärten nur dann auf solche eingehen zu wollen, wenn die Genuesen ihre Insel gänzlich würden geräumt haben.

 

Noch einmal versuchte die Republik den Krieg. Sie wandte sich wieder an die Matra, an Antonio und Alerius, welcher ehedem neben Gaffori Regent der Nation gewesen war. Einer nach dem andern, zum genuesischen Marschall ernannt und mit Truppen versehn, erregte Empörung und wurde nach kurzem Kampf überwältigt. Da erkannte der genuesische Senat, daß die Corsen nicht mehr zu überwinden seien, es sei denn durch einen ernstlichen Angriff von Seiten Frankreichs, und er schloß am 7. August 1764 zu Compiegne einen Vertrag mit dem französischen Könige, wonach dieser sich aufs neue verpflichtete während vier Jahre die Küstenstädte der Insel besetzt zu halten. Sechs Bataillone Franzosen landeten hierauf in Corsica unter dem Befehl des Grafen Marbeuf, welcher den Corsen ankündigte, daß er zwischen ihnen und der Republik vollkommne Neutralität beobachten werde, da sein vertragsmäßiger Zweck nur die Besetzung der Küstenplätze sei. Aber den Corsen war diese Besetzung, welche sie nicht hindern konnten, feindlich, und eine Neutralität war...