Die Seidenstraße - Auf der legendären Route nach Asien

von: Bruno Baumann

Reich terra magica, 2016

ISBN: 9783724360032 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Die Seidenstraße - Auf der legendären Route nach Asien


 

Die Seidenstraße ist das bedeutendste Band, das es je auf Erden zwischen Völkern und Kontinenten gab.

Sven Hedin

Es ist nirgendwo überliefert, wann und wo sich in China die erste Handelskarawane formierte, um in Richtung Westen aufzubrechen. Genauso wenig wissen wir über die Frequenz von Karawanen entlang der Seidenstraße. Nur die Wege, die sie nahmen, kennen wir, die verschiedenen Routen und Zweige, die sich über Tausende Kilometer erstreckten. Eigentlich müsste man den Begriff in der Mehrzahl gebrauchen – Seidenstraßen –, denn was wir heute als Seidenstraße bezeichnen, war in Wirklichkeit ein komplexes Netzwerk von uralten Karawanen- und Völkerwanderungswegen, die dafür sorgten, die oft gefährdete, doch nie ganz unterbrochene Verbindung zweier unterschiedlicher Kontinente – Europa und Asien – aufrechtzuerhalten. Es gibt auch keinen Erfinder der Seidenstraße. Niemand ist auf die innovative Idee gekommen, einen solchen antiken »Superhighway« zu begründen, sondern es gab bestimmte Voraussetzungen, die zur Entstehung der Seidenstraße führten – und diese Voraussetzungen wurden schon früh in China geschaffen. Bereits der erste große Kaiser Chinas, der legendäre Qin Shihuangdi, der im dritten vorchristlichen Jahrhundert die verschiedenen kleinen Reiche zu einem einzigen großen Reich vereinte, ergriff Maßnahmen, die zur Entwicklung der Seidenstraße führten. Er ließ in seinem Reich Wege mit genormter Spurbreite anlegen und bereits bestehende Befestigungsanlagen im Norden nach und nach zu einem einzigen Wall verbinden.

Seidenhändler in Kashgar. Das Geheimnis der Seidenherstellung gelangte angeblich durch eine kaiserliche chinesische Prinzessin in die Oasenwelt am Rande der Takla Makan.

Noch viel früher hatte man im Osten Chinas das Geheimnis der Seide entdeckt. So, wie viele andere Erfindungen im Reich der Mitte den jeweils regierenden Herrschern zugerechnet wurden, brachte man auch die Technologie der Seidenherstellung mit der damaligen Kaiserin in Verbindung. Die Wirklichkeit dürfte freilich weniger glamourös gewesen sein. Vermutlich war es eine unbekannte Bäuerin, die vielleicht durch Zufall, indem ihr der Kokon eines Seidenspinners in heißes Wasser fiel, erkannte, dass sich daraus ein Faden abhaspeln lässt – eben wenn man ihn in kochendes Wasser taucht, bevor die Raupe darin sich in einen Schmetterling verwandelt und aus dem Kokon entschlüpft.

Chinesische Seide zählte im fernen Rom zu den begehrtesten Luxusgütern und wurde fast mit Gold aufgewogen. Die Nachfrage nach Seide bei den alten Römern war so groß, dass der Senat den Männern sogar das Tragen von Seidenkleidern verbot; vorgeblich aus moralischen Gründen, aber in Wirklichkeit, weil der Import der Seide die Staatskassen leerte und Rom kein auch nur annähernd so wertvolles Exportgut besaß, um dieses Defizit zu kompensieren. China hingegen verdiente sich mit der Seide eine goldene Nase und setzte alles daran, das Geheimnis der Seide zu hüten und damit seine Monopolstellung zu bewahren. Kein Wunder also, dass auf Ausfuhr von Seidenraupeneiern und Maulbeersamen die Todesstrafe stand.

Ausgerechnet eine kaiserliche Prinzessin soll den Frevel des Technologietransfers begangen und dafür gesorgt haben, dass das wertvolle Wissen Khotan erreichte, von wo es später durch Anhänger einer christlichen Sekte weiter nach Westen geschmuggelt wurde. Trotzdem blühte der Handel mit chinesischer Seide weiter, selbst dann noch, als es im Europa des Mittelalters längst eine eigene Produktion gab, weil chinesische Seide trotz des langen Transportwegs billiger war.

Im chinesischen Kernland reisten die Händler im Schutz der militärischen Macht des Reichs der Mitte, die freilich von der Befindlichkeit der jeweils herrschenden Dynastie abhing. In Kriegszeiten und Wirren, die den Untergang von Dynastien einläuteten, brach auch der Handel zusammen; sobald sich eine neue Dynastie etabliert hatte und das Reich zentral beherrschte, florierte der Handel wieder.

Seit der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) existierte ein geschlossener Wall, der das Reich im Norden vor den Einfällen der Steppennomaden schützen sollte und sich westwärts bis nach Dunhuang erstreckte. Freilich hatte dieser Han-Limes noch wenig mit jenem beeindruckenden Bauwerk aus Steinquadern zu tun, das heute als Große Mauer zum touristischen Standard-Besuchsprogramm gehört – diese stammt aus viel späterer Zeit –, sondern war nur ein einfacher Wall aus Lehm. Dennoch schützte er auch die Seidenstraße und trug dazu bei, den interkontinentalen Fernhandelsweg offen zu halten. Die alten Chinesen setzten die Große Mauer sogar noch weiter nach Westen, bis ins Tarimbecken hinein, fort, allerdings nicht mehr in Form eines geschlossenen Walls, sondern nur noch durch einzelne Wachtürme, antike Feuertelegrafen, die bis heute in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger verfallen aus dem Wüstenboden ragen. Diese endeten am Yumenguan, der Festung am Jadetor-Pass. Danach gab es nur noch Wüste, insbesondere die als Todeswüste gefürchtete Takla Makan: weite menschenleere Räume, Irrgärten aus Sanddünen, weglos und trostlos. Die einzigen Wegweiser, so überliefern es die Quellen einhellig, sollen die Überreste früherer Reisender oder die Skelette toter Tiere gewesen sein.

Haben früher aufgestellte Kamelgerippe den Karawanen den Weg gewiesen, so sind die Wegzeichen entlang der neuen Seidenstraße zwar anders, aber nicht weniger abschreckend.

Hier übernahmen die Kamele den Lastentransport. Die Händler taten sich zusammen, um sich gegen die Gefahren der Wüste zu wappnen. Hundert, fünfhundert, ja bis zu tausend Tiere formten einen Karawanenzug. Ohne die einzigartigen Fähigkeiten des Kamels hätte es keine Seidenstraße gegeben, wären derartige Wüstenpassagen für die Menschen unüberwindbar gewesen. In der brütenden Hitze des Sommers, wenn sich die Sandoberfläche bis auf siebzig Grad aufheizt, reisten die Karawanen nachts. Wie die Seefahrer orientierten sich die Führer an den Gestirnen. Sie suchten nie den kürzesten Weg durch die Wüste, sondern folgten stets der sichersten Route. Diese führte an den Rändern entlang, von einer Oase zur anderen, von einem Brunnen zum nächsten. So entstanden Nord- und Südroute der Seidenstraße, die die Takla Makan wie ein Ring umgingen. Aus den Halteplätzen, den Oasen, wurden im Lauf der Zeit Karawansereien mit Märkten und kulturellem Leben. Keine Karawane legte die gesamte Strecke von China bis Europa zurück. Die Waren wurden weitergereicht von Völkern, die zwischen den Chinesen und Römern lebten und als Zwischenhändler fungierten.

Ohne Kamele hätte es keine Seidenstraße gegeben, wären die Wüstenpassagen für den Fernhandel unüberwindbar gewesen. Heute werden die Tiere nur noch wegen der Wolle gezüchtet oder für touristische Zwecke wie hier im Dünen-Disneyland von Dunhuang.

Hatten die Karawanen die Durststrecke der Wüste hinter sich, dann bauten sich vor ihnen die Berge zu schwindelerregender Höhe auf. Über mehrere der höchsten Gebirge der Welt – Karakorum, Tien Shan und Hoher Pamir – führten Routen und Zweige der Seidenstraße. Hier beförderten zottelige Yaks oder balancierten Maultiere die Lasten über schmale Saumpfade. Wurde das Gelände so unwegsam, dass auch die Tiere nicht mehr vorankamen, bürdeten sich die Männer die Lasten selbst auf. So oder so ähnlich dürfte der Handelsverkehr stattgefunden haben vor zweitausend Jahren, auf dem Herzstück der Seidenstraße durch China und Zentralasien.

Mit Vollgas über die Steppe, lautet die Devise der Viehhirten von heute, die in jenen wüstenartigen Gebieten Zentralasiens leben, durch die einst die Karawanen der Seidenstraße zogen.

Im Vergleich zum hehren Alter dieser Karawanenstraßen ist der Begriff »Seidenstraße« sehr jung. Der Geograf Ferdinand von Richthofen (1833–1905) hat ihn erst im vorletzten Jahrhundert in die Wissenschaft eingeführt. Er benannte das Geflecht von uralten Karawanen- und Völkerwanderungswegen nach dem wertvollsten Gut, das man dort austauschte: der chinesischen Seide. Aber Seide war nur eines von vielen Gütern, die auf dem ältesten interkontinentalen Fernhandelsweg der Menschheit gehandelt wurden. Aus China kamen auch Porzellan, Teppiche, Jade, Gewürze und Tee nebst den Erfindungen, die im Reich der Mitte gemacht wurden, wie Kompass, Papier oder Drucktechnik. Der Westen hatte vergleichsweise wenig zu bieten. Von den Römern holten sich die Chinesen lediglich Rüstungstechnik.

Trotzdem war die Seidenstraße keine Einbahnstraße, denn auf ihr wurden nicht nur Waren befördert, sondern auch Religionen, kulturelles Gedankengut und Kunststile verbreitet. Im Gefolge der Kaufleute reisten Künstler, Architekten, Mönche und Priester. Zwei Weltreligionen verbreiteten sich entlang der Seidenstraße: zuerst der Buddhismus, dann der Islam. Hinzu kamen noch Einflüsse der persischen Lichtreligion des Mani und christlicher Nestorianer, die sich der Verfolgung im Oströmischen Reich entzogen und entlang der Seidenstraße bis in die Oasenwelt des Tarimbeckens gelangten, um dort Gemeinden zu gründen.

Mit der Entwicklung des Seewegs, der Seidenstraße der Meere, entstand eine Alternative zum Landweg, der immer wieder durch kriegerische Ereignisse vorübergehend blockiert war. Den Todesstoß versetzte der Seidenstraße als Landverbindung erst die Entdeckung des Seewegs von Europa nach Indien durch Vasco da Gama (1468 oder 1469–1524). Dieser wurde bald bis nach China hin ausgedehnt. Damit wurde Zentralasien als Dreh- und Angelpunkt des Handels bedeutungslos. Die Verlagerung auf den sicheren Seeweg bedeutete das Ende des Karawanenhandels und damit der...