Staat ohne Verantwortung? Zum Wandel der Aufgaben von Staat und Politik

von: Ludger Heidbrink, Alfred Hirsch

Campus Verlag, 2007

ISBN: 9783593414096 , 501 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 27,99 EUR

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Staat ohne Verantwortung? Zum Wandel der Aufgaben von Staat und Politik


 

Leseprobe:
Der Wandel der Staatlichkeit steht außer Frage. 'Die Epoche der Staatlichkeit', so schreibt Carl Schmitt schon 1963, 'geht jetzt zu Ende'. Der 'Staat als Modell der politischen Einheit' habe ausgedient, seiner Aufgabe als lenkender und leitender 'Souverän' vermag er nicht mehr nachzukommen, da an seine Stelle die liberale Massengesellschaft getreten ist, die in demokratischer Eigenregie über die Aufgaben der Politik entscheide. Nach Ernst Forsthoff lebt der klassische Staat als politisches Entscheidungszentrum in der modernen Industriegesellschaft nur noch in der 'Erinnerung' fort, weil er durch Bürokratie und Verwaltung, durch soziale Versorgungsapparate und funktionale Großstrukturen abgelöst worden ist. Aus der Sicht von Niklas Luhmann liegt der Sinn des Staatsbegriffs allein noch darin, eine 'Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems' zur Verfügung zu stellen, dessen Einheit realiter nicht mehr existiert, sondern durch kommunikative Prozesse hergestellt werden muss, in denen der Staat als bloße 'Form' der politischen Selbstorganisation in Erscheinung tritt.
Seit dem Eintritt in das Zeitalter der Globalisierung ist deshalb nicht nur von der Auflösung des Staates die Rede, der seine Verfügungsgewalt an die einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme abgegeben hat, die sich nach wirtschaftlichen und rechtlichen, nach kulturellen und wissenschaftlichen, nach konfessionellen und ästhetischen Gesichtspunkten selbst organisieren. Es ist auch seit geraumer Zeit vom Niedergang der Nationalstaaten die Rede, die durch die politischen und ökonomischen Vernetzungen ihre zentrale Rolle als Gesetzgeber und Identitätsstifter, als Steuerungsinstanz und Zugehörigkeitskollektiv eingebüßt haben. Der Souveränitätsverlust des Staates resultiert nicht nur aus der Ausdifferenzierung des politischen Systems und der gleichzeitigen Vergesellschaftung des Politischen, sondern auch aus der Krise des demokratischen Liberalismus, der nicht mehr in der Lage ist, den Bürgern eines Landes lohnenswerte Lebensziele und effektive Mittel der Mitbestimmung zur Verfügung zu stellen.
Man muss dieser Krisendiagnose des entmachteten Staates nicht zustimmen, zumal zahlreiche Gründe gegen ihre Triftigkeit sprechen. Es dürfte jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass sich der Staat mit seinen politischen Institutionen in einem grundlegenden Wandlungsprozess befindet, der die Neubestimmung der gesellschaftlichen Aufgaben von Staat und Politik erforderlich macht. Die Notwendigkeit dieser Neubestimmung hat ihren Grund vor allem darin, dass der liberale Staat der Neuzeit im Lauf seiner Entwicklung an Grenzen gestoßen ist, die auf geradezu paradoxe Weise der fortschreitenden Erweiterung seines Einflussbereichs zu verdanken sind. Die Evolution des neuzeitlichen Staates ist dadurch gekennzeichnet, dass immer weitere Zuständigkeiten und Lebensbereiche der staatlichen Einflussnahme unterworfen wurden, während seine hoheitliche Verfügungsgewalt im gleichen Maß zurückgenommen und der anwachsenden gesellschaftlichen Selbstorganisation angepasst wurde. Der Weg vom Polizeistaat über den Rechtsstaat und Sozialstaat zum modernen Steuerungsstaat lässt sich als Weg der sukzessiven Erweiterung staatlicher Zuständigkeiten beschreiben, der die Übertragung staatlicher Aufgaben an gesellschaftliche Akteure, nichtstaatliche Organisationen und private Kräfte gegenübersteht.