Dracula - Leben und Legende

von: Heiko Haumann

Verlag C.H.Beck, 2011

ISBN: 9783406612152 , 130 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,49 EUR

Mehr zum Inhalt

Dracula - Leben und Legende


 

2. Die Geschichte des Vlad Drăculea


(1431–1477)


Vlads Geburt in unruhigen Zeiten


Dracula hat es wirklich gegeben. Doch die Geschichte seines Lebens wird überdeckt von Legenden, Erfindungen und Klischees über ihn. Bereits die Umstände der Geburt Draculas – oder besser: Vlads, wie sein richtiger Name lautet – liegen im Dunkeln. Vermutlich wurde er 1431 geboren, wahrscheinlich im siebenbürgischen Schäßburg (Sighişoara, Segesvár). Vielleicht war aber Nürnberg sein Geburtsort. Dort hielt sich nämlich sein Vater – ebenfalls Vlad (um 1400–1447) – zur fraglichen Zeit auf, und es ist nicht ausgeschlossen, dass dessen schwangere Frau ihn begleitete, die aus einem moldauischen Fürstengeschlecht stammte; ihr Name ist nicht sicher überliefert. In Nürnberg wurde am 9. Februar 1431 ein Reichstag eröffnet, zu dem Sigismund von Luxemburg (1368–1437), König des Heiligen Römischen Reiches sowie Ungarns und Böhmens, geladen hatte. Das wichtigste Thema des Reichstages bildete der Kampf gegen die Hussiten. Diese religiös-revolutionäre Bewegung wollte Jan Hus (1369–1415) rächen, der 1415 während des Konzils von Konstanz entgegen einer königlichen Zusage für freies Geleit als Ketzer hingerichtet worden war. Er hatte sich geweigert, seine Lehrsätze, mit denen er die katholische Kirche reformieren wollte, zu widerrufen. Mehrere Kreuzzüge, die der König gemeinsam mit dem Papst gegen die Hussiten unternommen hatte, waren fehlgeschlagen. Jetzt forderte Sigismund von den Reichsständen – den Kurfürsten, den Reichsfürsten und den Städten – Geld für einen neuen Kreuzzug. Im Herbst 1431 sollte auch dieser scheitern. Ein endgültiger Friede wurde erst 1485 erzielt. Über seinen Misserfolg konnte sich Sigismund vielleicht damit trösten, dass er im Mai 1431 endlich in Rom zum Kaiser gekrönt worden war.

Um die Stände zur Einheit anzuhalten, wollte König Sigismund am Reichstag von Nürnberg auf eine weitere Gefahr für das Reich hinweisen: auf das vordringende Osmanische Reich. Zu diesem Zweck hatte er Vlad kommen lassen. Weil Sigismund den bisherigen Fürsten der Walachei für unzuverlässig hielt, erhob er in einer feierlichen Zeremonie Vlad zum neuen Fürsten und schlug ihn zum Ritter des Drachenordens. Diesen Orden hatte er 1408 gemeinsam mit seiner Frau, Barbara von Cilli (1390/95–1451), zum Kampf gegen «Heiden und Schismatiker», namentlich gegen die Hussiten und Osmanen, gegründet; einige Forscher gehen von einem früheren Datum aus. In der christlichen Bildkunst symbolisierte der Drache den Teufel, das Böse und das Heidentum. Die Wahl der Ordensbezeichnung sollte somit die Bereitschaft ausdrücken, ganz besondere Anstrengungen zu unternehmen, um die «Nachfolger des Urdrachens» zu vernichten. Zugleich diente der Orden dazu, die Stellung Sigismunds als König von Ungarn zu festigen und die Ritter zu gegenseitiger Hilfe zu verpflichten.

Nach vorherrschender Meinung erhielt Fürst Vlad II. durch die Aufnahme in den Orden den Beinamen «Dracul», «der Drache», sein gerade geborener Sohn die Verkleinerungsform «Drăculea», «der kleine Drache». Vlad Dracul ließ den Drachen auch als sein Zeichen auf Münzen und Siegeln abbilden. Das spricht gegen die These, seinen Beinamen, wie manchmal aufgrund einer zweiten Bedeutung des rumänischen Wortes argumentiert wird, als «der Teufel» zu verstehen. Vlad hätte sich selbst kaum so genannt. Wahrscheinlich sollte die Bezeichnung symbolisieren, dass er so mutig sei wie ein Drachenbezwinger, ähnlich wie es viele Ritter mit der Verwendung des Drachens auf Wappen, Fahnen und Helmzierden ausdrückten. Das Abzeichen des Drachenordens weist ebenfalls darauf hin: Der Drache trägt ein Kreuz auf dem Rücken – das Sinnbild für den Sieg des Christentums über das Böse. Eine weitere Deutung des Beinamens geht davon aus, dass die ursprüngliche Schreibweise «Dragul» und «Dragu(o)lea» gelautet habe, dies bedeute «der Beliebte», «der Liebliche», «der Wohlgefällige».

Warum war die Walachei so wichtig? Diese Landschaft erstreckt sich von den schroffen Bergen, dichten Wäldern und tiefen Schluchten der Südkarpaten, der Transsilvanischen Alpen, über eine fruchtbare Ebene hin zu den Sümpfen und Auwäldern des Donau-Deltas. Ein Fürstentum hatte sich im 14. Jahrhundert im Zuge der Ausdehnung des ungarischen Königreiches nach Osten gebildet. An der Spitze stand ein Woiwode, ein Begriff, der sich ursprünglich auf denjenigen bezog, der im Krieg dem Heer voranzieht, und nun Fürst bedeutete. Das Fürstentum strebte danach, sich von Ungarn unabhängig zu machen. Dazu diente auch die kirchenpolitische Unterstellung unter den Patriarchen von Byzanz: Die Bevölkerung der Walachei bekannte sich damit zur griechisch-orthodoxen Kirche gegenüber dem katholischen Ungarn. Die Bedrohung durch die Osmanen machte allerdings alle Versuche, ein selbständiges Reich zu errichten, zunichte.

Das Kerngebiet der Osmanen lag in Anatolien. Der Stamm, der sich dann seit Ende des 13. Jahrhunderts unter Führung Osmans (1259?–1324?) auszudehnen begann, war vermutlich mit einer von den Mongolen zu Beginn dieses Jahrhunderts ausgelösten Einwanderungswelle ins Land gekommen. Um 1330 wurde der Herrscher der Osmanen – einer inzwischen ethnisch gemischten, aber weitgehend turkisierten und islamisierten Bevölkerungsgruppe – zum ersten Mal als Sultan bezeichnet. Zu Beginn der 1350er Jahre hatten die Osmanen die Meerenge der Dardanellen überwunden und dann in einem schnellen Siegeslauf große Teile Südosteuropas unterworfen. Am 28. Juni 1389 kam es zur Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) zwischen den Truppen des osmanischen Sultans Murad I. (um 1326–1389) und dem Heer des seit 1371 regierenden serbischen Fürsten Lazar (um 1329–1389), in dem Serben, Bosnier und Albaner kämpften. Bis heute dient diese Schlacht zur Begründung des Mythos von Serbiens Opferrolle als Bollwerk des Christentums gegen den Islam. Eigentlich hatte es keinen Sieger gegeben. Beide Seiten erlitten ungeheure Verluste, Sultan Murad und Fürst Lazar fielen. Aber die Osmanen erholten sich schneller, die serbischen und albanischen Herren gerieten unter ihre Oberherrschaft. Der neue Sultan, Bayezid I. (gest.1402), eroberte Skopje und wandte sich dann nach Norden. 1395 musste sich das Fürstentum Walachei geschlagen geben und wurde zu Tributzahlungen verpflichtet.

Ein Versuch König Sigismunds, mit einem weiteren Kreuzzug diesen Vormarsch abzuwehren, scheiterte 1396. Zwar waren den Ungarn zahlreiche französische Ritter zu Hilfe geeilt, doch in der Schlacht beim bulgarischen Nikopolis konnten sie dem überlegenen osmanischen Heer nicht standhalten. Der Sieg der Mongolen über den Sultan 1402 bei Ankara schwächte dann das Reich vorübergehend. Zwanzig Jahre später setzte es, nun unter Sultan Murad II. (1403–1451), seine Eroberungszüge in Europa fort. Erneut musste die Walachei die osmanische Oberherrschaft anerkennen und Tribute zahlen. Im Innern hatte der damalige Woiwode Mircea der Alte (cel Bătrân, ca. 1386–1418) immerhin die Gunst der Stunde genutzt und seine Macht ausgebaut. Das war vor allem der wirtschaftlichen Entwicklung zugute gekommen. Zugleich hatte der Fürst versucht, sich an Ungarn, an das benachbarte Fürstentum Moldau sowie an das seit 1386 in Personalunion verbundene Königreich Polen-Litauen anzulehnen, um langfristig ein Gegengewicht gegen die Osmanen zu schaffen.

Jetzt, 1431, wollte König Sigismund ein neues Bündnis gegen die Osmanen zustande bringen. Der Walachei kam dabei eine wichtige strategische Rolle zu. In der damaligen Zeit war sie keineswegs ein fernes, unbekanntes Land. Deutsche Kaufleute handelten mit den vorwiegend aus Deutschland zugewanderten «Sachsen» – eine unzutreffende Bezeichnung im Blick auf ihre Herkunft –, die die Städte Siebenbürgens im Karpatenbecken besiedelten, und aus den Karpaten selbst bezogen sie Erze für die Rüstungsproduktion. Der Wirtschaftsaufschwung der Walachei begünstigte diese Handelsbeziehungen. Dieses Land sollte nicht in die Hände der «Türken» fallen. Nach einer Zwischenperiode unter einem schwachen Fürsten und erbitterten inneren Kämpfen sollte Vlad II. Dracul, ein Sohn Mircea des Alten, die Gewähr bieten, dass von der Walachei aus die Osmanen zurückgedrängt werden könnten.

Aber es war nicht so einfach, eine gemeinsame christliche Front gegen die muslimischen Osmanen zu schmieden. Das einstmals mächtige Oströmische Reich von Byzanz war längst auch nur noch ein Vasall der Eroberer. Ebenso waren die Herrschaften und Fürstentümer im südosteuropäischen Raum geschwächt, zersplittert und teilweise bereits in osmanischem Besitz. Wo sollten Bündnispartner gewonnen werden? England und Frankreich waren zwar dabei, ihren Hundertjährigen Krieg allmählich zu beenden, nachdem Jeanne d’Arc (geb. um 1412) am 30. Mai 1431 von den Engländern als Hexe verbrannt worden war. Aber beide Länder brauchten Zeit, um sich im Innern wieder...