Caesar - Roman

von: Gisbert Haefs

Heyne, 2012

ISBN: 9783641101077 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Caesar - Roman


 

Geduldete Gäste sollten keine Forderungen stellen, sondern den Wünschen der Gastgeber nachkommen. Ich war nicht mittellos, als ich hier eintraf, doch würde das karge Vermögen keinesfalls für eine solche Unterkunft reichen. Ein geräumiges Haus, zwei Dienerinnen, Brot und Wein, dazu Bücher und Papyros und der weite Blick über die grüne Hochebene  – können Flüchtlinge mehr erhoffen? Die Herren der Festung, die in den Hügeln am Rande der Hochebene die Nordgrenze hütet, versorgen mich mit allem, dessen ich bedarf; dafür erwarten sie nichts als Aufzeichnungen, Berichte über den Feind im Westen. Zunächst jedenfalls; wer weiß, was geschieht, wenn die Aufzeichnungen abgeschlossen sind oder nicht den Wünschen genügen?

Berichte über den Feind, seine wichtigsten Männer, die großen Einrichtungen, die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte, die unveränderlichen Grundlagen. So will ich, o ihr Herren der Festung, all das aufschreiben, was mir wesentlich erscheint – Dinge, die lange vor meiner Zeit geschahen, und anderes, was ich miterlebt habe.

Beginnen sollte ich wohl mit einem Ende, dem Ende des Kriegs gegen Hannibal. Er brachte Rom Sieg und Unheil. Iberien, im Krieg erobert, kam nie zur Ruhe; Makedonien, im Krieg mit den Puniern verbündet, wurde in mehreren Feldzügen niedergeworfen; das große Reich der Seleukiden, deren Herrscher Antiochos dem Hannibal Zuflucht gewährte, wurde besiegt und entkräftet; im Dritten Punischen Krieg schließlich wurde Karchedon, das die Römer Karthago nannten, völlig zerstört, im selben Jahr auch das ehrwürdige Korinth, und in diesen Städten starb fast eine Million Menschen durch römisches Schwert und Feuer. In den durch Hannibals Heer, aber fast schlimmer durch römische Strafzüge verwüsteten Landen Italiens wurden zahlreiche römische Kolonien gegründet, und da viele Bauern als Soldaten gestorben waren, geriet immer mehr Boden in die Hände großer Grundherren, die ihn von Sklaven bearbeiten ließen. Dies geschah auch mit Bauernlanden, deren Besitzer den Krieg überlebten, die aber wegen ihres langen Waffendienstes den Boden nicht hatten bestellen können.

Hinzu kam, daß nun billiges Getreide aus Sizilien, Sardinien und Afrika eingeführt wurde, so daß der Getreideanbau zumindest in den küstennahen Gebieten sich nicht mehr lohnte. Wo guter Boden verfügbar war, pflanzte man daher statt Getreide Weinstöcke und Ölbäume an – die nicht bald Erträge bringen konnten. Zu ihrer Nutzung waren viel Geld und noch mehr Zeit nötig, und beides besaßen die kleinen Bauern nicht. Daher wurden immer mehr Ländereien immer billiger verkauft und im Auftrag der Reichen von Sklaven bearbeitet.

Diese erhielten keinen Lohn, was die Erzeugnisse billig machte, was weitere Bauern, die nicht so billig arbeiten konnten, zum Aufgeben und zur Flucht ins Elend der Städte zwang, in denen Getreide für immer mehr arbeitslose Menschen unerschwinglich wurde.

Gewinner waren die Ritter: Männer, die über ein Vermögen von mindestens vierhunderttausend Sesterzen verfügten und es sich leisten konnten, zum Kriegsdienst ein eigenes Pferd mitzubringen. Kurz vor dem Krieg gegen Hannibal hatte man beschlossen, daß Senatoren sich nicht mit Geschäften, vor allem nicht mit dem Fernhandel, abgeben sollten. Eigentlich war dies eine kluge Entscheidung; man wollte sicherstellen, daß jene, die über Krieg und Frieden bestimmten, ihre Beschlüsse im Sinne des Gemeinwohls fällten, ohne an eigene Vorteile zu denken.

Während des langen, furchtbaren Krieges konnten die Legionen sich nicht im Winter auflösen und sich im Sommer dann weitgehend selbst versorgen, dazu waren es zu viele, und sie waren über allzu große Gebiete verstreut. Die Soldaten mußten ausgerüstet und genährt werden; hierzu waren Heeresversorger nötig, und dies mußten Leute mit Vermögen sein. Da die Senatoren nicht in Frage kamen, übertrug man diese Aufgaben Männern aus dem Ritterstand. Sie machten ungeheure Gewinne, waren an Kriegsbeute und der folgenden Auswringung der eroberten Länder beteiligt, versorgten die Heere auch in den nächsten Kriegen, gründeten Banken, verliehen Geld zu Wucherzinsen, pachteten Staatsland und ließen es von Sklaven bebauen, die es dank all der Kriege überreichlich gab. Sklaven hatten aber keinen Kriegsdienst zu leisten; die kleinen Bauern der Nachbarschaft mußten immer wieder zu den Waffen greifen, um Ruhm und Ansehen von Senat und Volk und den Reichtum der Ritter zu mehren. Sie konnten nicht so billig arbeiten wie die Sklaven, und oft wegen der Kriege gar nicht, so daß die reichen Grundherren nach und nach auch dieser Bauern Land aufkauften.

 

Dies wäre, sehr vereinfacht und verkürzt, eine Beschreibung der Lage, durch die sich kaum fünfundsechzig Jahre nach dem Ende des Kriegs gegen Hannibal einige Männer in Rom zum Handeln gedrängt sahen: Tiberius und Gaius Gracchus. Sie waren die Söhne eines ebenfalls Tiberius Gracchus genannten ehemaligen Konsuls, der sich mit Cornelia vermählte, Tochter von Publius Cornelius Scipio Africanus, Sieger gegen Hannibal.

Man sagt, dieser Tiberius habe einmal auf seinem Lager ein Schlangenpaar gefangen. Schlangen kriechen jedoch nach Überzeugung der meisten Römer nie ohne die unsichtbare Bürde gewichtiger Vorbedeutungen; da Tiberius diese nicht zu erfassen vermochte, zog er Seher zu Rate. Sie befanden, er dürfe weder beide Tiere töten noch beide entschleichen lassen, sondern müsse sich für eine der Schlangen entscheiden. Der Tod des Männchens bedeute Tod für Tiberius, der des Weibchens für Cornelia.

Tiberius liebte seine Frau, die noch jung war, und sagte sich, als dem Älteren gezieme es ihm, in den Tod zu gehen. Wie allgemein bekannt, ist es außerdem für Kinder besser, von einer liebevollen Mutter versorgt und erzogen zu werden als von einem zerstreuten Vater, der sich mit Schlangen, Sehern und der Politik befaßt. Vielleicht hat Tiberius auch dies bedacht; jedenfalls tötete er das Schlangenmännchen.

Zum Ruhm der trefflichen Seher, denen nichts teurer ist als die Bestätigung ihrer Vorhersagen, starb er bald darauf und ließ Cornelia mit zwölf Kindern zurück. Die Priester drangen darauf, daß ihre Klugheit in den Archiven verewigt werde, und damit waren alle so beschäftigt, daß man Nahrung und Gesundheit auch der besseren Kreise nachlässig behandelte. So kam es, daß von Cornelias zwölf Kindern nur eine Tochter und zwei Söhne am Leben blieben. Die Tochter heiratete den jüngeren Scipio, die Söhne waren Tiberius und Gaius Gracchus.

Tiberius war neun Jahre älter als Gaius. Dadurch war es ihnen nicht möglich, ihre Kraft jemals gemeinsam einzusetzen und die großen Ziele in gemeinsamer Anstrengung zu verfolgen. Daß die Reichen den Göttern gedankt hätten, weil diese statt eines Altersunterschieds von, sagen wir, drei Jahren neun verhängten, ist wohl ein böswilliges Gerücht.

Als ganz junger Mann hatte Tiberius bereits so viel Ansehen erworben, daß er ins Priesterkollegium der Auguren aufgenommen wurde. Man sagt, dies habe er keineswegs seiner edlen Abkunft, sondern seiner Tüchtigkeit zu danken; in jedem Fall gehörte er damit zu den Sehern, und es ist nicht bekannt, daß einer von ihnen jemals Schlangen gesichtet und ihn damit behelligt hätte.

Unter dem jüngeren Scipio, dem Gatten seiner Schwester, machte er einen Feldzug in Afrika mit. An Pflichterfüllung und Tapferkeit übertraf er, wie es heißt, all seine jungen Waffenkameraden. Als Schwager des Feldherrn hatte er Zugang zu dessen engstem Kreis und ließ sich von Scipio gründlich beeinflussen.

Nach dem Feldzug wurde er zum Quästor gewählt und hatte mit dem Konsul Gaius Mancinus nach Iberien zu gehen, um den Aufstand der Bewohner von Numantia niederzuwerfen. Diese umnachteten Menschen mochten nämlich durchaus nicht einsehen, daß es ihnen nach dem Ratschluß der Götter, des Senats und des Volks von Rom beschieden war, sich des drückenden Jochs der Freiheit zu entledigen und hinfort jene Verzückung zu genießen, welche die Wonne der Knechte Roms ist.

Es gelang jedoch nicht, sie mit geschliffenen Reden oder wohlgesetzten Schwertern davon zu überzeugen; der Krieg zog sich mit Unterbrechungen viele Jahre hin. Mancinus war vom Unglück verfolgt – aber wie wir wissen, nimmt Unfähigkeit, aus der Ferne betrachtet, oft die Gestalt eines Verhängnisses an, und die Gestalt des Feldherrn, von weitem winzig, ist aus der Nähe oft gar nicht wahrzunehmen.

Nach schweren Niederlagen wollte Mancinus seine Stellung aufgeben und bei Nacht abziehen. Die Numantiner besetzten sogleich das Lager, fielen über die Fliehenden her und machten die Nachhut (falls man bei Fliehenden davon sprechen kann) nieder. Dann umzingelten sie das gesamte Heer und drängten es in ein schwieriges Gelände, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Mancinus bot den Gegnern Waffenstillstand und einen Vertrag an. Die Numantiner jedoch erklärten, sie verlangten Tiberius als Unterhändler, da sie keinem Römer außer ihm vertrauten. Dies lag daran, daß sein Ruf der Rechtschaffenheit bis zu ihnen gelangt war; außerdem war die Erinnerung an seinen Vater bei ihnen noch lebendig. Dieser hatte in Iberien Krieg geführt und viele Völker unterworfen, dann aber mit Numantia Frieden geschlossen und das römische Volk dazu gebracht, den Vertrag einzuhalten, was nicht zu den liebsten Gepflogenheiten der Römer gehört. Tiberius konnte die Feinde zu Zugeständnissen bewegen, nahm seinerseits ihre Bedingungen an und brachte schließlich ein Abkommen zustande, das zwanzigtausend römischen Bürgern das Leben rettete, Sklaven und Troß nicht gerechnet.

Was sie im Lager vorfanden, behielten die Numantiner oder vernichteten es. Unter der Beute waren auch die Unterlagen des Tiberius mit den Abrechnungen und...