Praxistrainer Allgemeinmedizin - Leitlinienbasierte Fallseminare

von: Hagen Sandholzer

Schattauer GmbH, Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2012

ISBN: 9783794565665 , 416 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 32,99 EUR

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Praxistrainer Allgemeinmedizin - Leitlinienbasierte Fallseminare


 

Ein 45-jähriger „Häuslebauer" mit Krampfadern (S. 173-174)

Was führt den Patienten zum Allgemeinarzt?
Den Patienten führt (Existenz-)Angst zum Arzt. Diese resultiert aus der persönlichen Lebenssituation und aus der Lektüre eines medizinischen Artikels einer landläufigen Illustrierten.

Erstellen Sie eine Rangliste aller Gesundheitsprobleme des Patienten aus allgemeinärztlicher Sicht.
1. (Existenz-)Angst
2.Krampfadern (kosmetischer Aspekt, subjektive Bedrohlichkeit)
3. Verdacht auf Hypertonie. Eine Hypertonie ist erst nach drei Messungen mit erhöhten Werten (systolisch über 140 mmHg, diastolisch über 90 mm Hg) gesichert.
4. Beruflich anstrengende, stehende Tätigkeit, die den natürlichen Verlauf von Krampfadern ungünstig beeinflusst
5.Hausbau mit spezifischen Belastungen: finanzielle Belastung, Eigenleistung, Einschränkung der Freizeit und Sportmöglichkeiten
6.Nikotinabusus (seit 25 Jahren 15 Zigaretten pro Tag)
7.Adipositas und damit wahrscheinlich auch eine der Gesundheit abträgliche Lebensweise, V. a. metabolisches Syndrom 8.Zustand nach Lumbago

Welche allgemeinmedizinischen Funktionen gibt es? Begründen Sie, welche von diesen im obigen Fall relevant sind.

Allgemeinmedizinische Funktionen

Definition
• Primärärztliche Funktion: ärztliche Basisversorgung der ersten Linie (Primary Medical Care) einschließlich des Aussiebens gefährlicher Krankheitszustände und der Notfallversorgung
• Haus- und familienärztliche Funktion: langzeitige, kontinuierliche ärztliche Behandlung und Betreuung von Patienten unabhängig vom Alter und Geschlecht im häuslichen Milieu und im Bereich der Familie (Familienmedizin), bei Identität der Lebensbereiche von Patient und Arzt, Hausbesuchstätigkeit
• Soziale Integrationsfunktion: Integration von Hilfen aller Art in die Behandlung des Patienten und Vertretung des gesundheitlichen Interesses des zu Behandelnden • Gesundheitsbildungsfunktion: umfassende Gesundheitsberatung und Gesundheitserziehung des Patienten einschließlich möglicher Prävention- und Rehabilitationsmaßnahmen • Koordinationsfunktion: Behandlungsmaßnahmen aufeinander abstimmen und Zumutbarkeit für den Patienten beurteilen

Relevanz

Die Relevanz der einzelnen Funktionen ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:

• Herr Hamold wendet sich an Sie als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem. Seinen alten Hausarzt besucht er nicht. Es handelt sich also um einen Erstkontakt, um einen Ihnen bis dato nicht bekannten Patienten mit einem Ihnen nicht bekannten Gesundheitsproblem (eine Seltenheit in der Allgemeinmedizin).

Die primärmedizinische Funktion steht hier somit im Vordergrund. Sie sollten Herrn Hamold gründlich untersuchen, um einen abwendbar gefährlichen Verlauf (Thrombose, Embolie) auszuschließen. Generell umfasst solch eine Untersuchung die Frage nach bestehenden Risikofaktoren für Thrombose und Embolie z. B. in der Familiengeschichte (heriditäre Thrombophilien), nach vorausgehender Immobilisierung, Pilleneinnahme (Frauen) und Raucherstatus. Sie beinhaltet aber auch einen körperlichen Befund zum Ausschluss von Thrombose/Emboliefolgen, z. B. Ödeme und Stauungszeichen, Payr-Zeichen (Druckschmerz auf der Fußsohle) und Tachykardie.

• Im Anschluss daran ist hier die haus- und familienärztliche Funktion gefragt, denn Herr Hamold hat keinen Hausarzt mehr, benötigt aber insbesondere wegen seines kardiovaskulären Risikoprofils eine kontinuierliche Weiterversorgung. Dies erfordert zunächst den Aufbau einer Arzt-Patient-Beziehung.
• Anschließend liegt das Gewicht auf der gesundheitsfördernden Funktion, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken. Koordination und soziale Integrationsfunktion spielen nur dann eine Rolle, wenn der Patient zu einem Spezialisten (z. B. Kardiologe) überwiesen werden muss bzw. eine Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit (AU = Arbeitsunfähigkeitbescheinigung) oder einer Rehabilitationsmaßnahme (Umsetzung am Arbeitsplatz) benötigt. Beides ist vorerst nicht erforderlich.