Demudis - Ein Krimi aus dem Mittelalter

von: Stefan Blankertz

Virulent, 2012

ISBN: 9783864740589 , 270 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,49 EUR

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Demudis - Ein Krimi aus dem Mittelalter


 

KAPITEL II


»Minne sonder Erkenntnis
dünkt die weise Seele Finsternis.«

Mechthild von Magdeburg

Nein, nicht noch einen Humpen von dem erzbischöflichen Kirschbier, stark, schwarz und süß, so herrlich es auch riechen und so köstlich es auch munden mochte. Mehr fasste Wilhelms Magen beim allerbesten Willen nicht, auch wenn der inzwischen einiges gewohnt war. Er fühlte sich randvoll abgefüllt. Sein hartnäckiger Freund ließ aber nicht locker.

»Einen noch, Bruder Wilhelm«, bettelte Bruder Hermann aufgekratzt, »damit dein Fiedelbogen macht, als wie du ihn heißt.«

Wilhelm gewahrte, dass sich das wundervolle Bier bei Bruder Hermann in schlechten Atem verwandelt hatte, und verzog angewidert das Gesicht. Sein eigener Atem würde wohl nicht besser sein.

»Weitere Sünden?«, lallte er in schwacher Gegenwehr. Sein schwerer Kopf dröhnte ihm, und er nahm das Wirtshaus bloß verschwommen wahr. Es roch muffig in der engen Stube. Vereinzelt züngelten kleine blaue Flammen aus der Glut, wie um sich gegen das unvermeidliche Sterben des Feuers aufzulehnen. Erbarmungslos kroch die Kälte durch die allzu zahlreichen Ritzen der Wände. Wilhelm aber spürte nichts davon. An der Tür, die windschief im Rahmen hing, war auf dem Boden verschüttetes Bier schon gefroren. Nur ganz flüchtig streifte Wilhelm der Gedanke, dass sie, wenn sie denn gingen, aufpassen mussten, dort nicht auszugleiten. Kaum noch andere Gäste befanden sich im Raum. Wilhelm konnte nicht genau ausmachen, ob überhaupt noch welche da waren. Ellikint, die Wirtin von geheimnisvoller Schönheit, wollte schließen. Das wusste er. Sie legte mit deutlich vernehmbaren Klappern den Deckel auf das verbliebene Fass Bier, das neben dem Feuer stand, um es lecker warm zu halten. Auch entzündete sie keine weitere Kerze, und nachdem die vorletzte verloschen war, flackerte nur noch eine vor Hermann und verbreitete den angenehmen Duft von Bienenwachs, den Wilhelm so liebte. Mit einer schnippischen Drehung ihrer Schulter griff Ellikint nach dem letzten Stück Käse, das auf dem Tisch von Hermann lag. Hermann war jedoch schneller und stopfte es sich in den Mund.

Schluss machen, hallte es Wilhelm im Schädel. Was für ein Leben! Ellikints Mägde Gepa und Junta, eine erschien dem bierseligen Blicke betörender als die andere, kauerten dicht beieinander im hinteren Dunkel, wohin sie sich zurückgezogen hatten, denn sie hofften wohl eher, dass sie keine Geschäfte mehr machen würden … Ach ja, Geschäfte, Bruder Hermann zahlte ja gar kein Bettgeld. Das musste einen Grund haben, welcher ihm aber entfallen war. Oder hatte Bruder Hermann ihm den Grund gar nicht anvertraut?

»Sie werden uns abgelassen, die Sünden, alle Sünden, darunter auch die schwersten! Hast du das vergessen, stumpfer Pickel?« Bruder Hermann puffte ihn kräftig und verschluckte sich an dem Käse. Beduselt, wie er war, hatte er zu heftig zugestoßen. Schwer wie ein nasser Sack fiel Wilhelm von dem groben Brett, das ihnen als Sitzgelegenheit diente. Wilhelm hatte wie stets, wenn er mit Bruder Hermann hier verweilte, ganz am Rand gesessen, mit bloß einer Arschbacke auf dem Brett, und war auch nicht weiter in die Mitte gerutscht, nachdem sich die Reihen der Gäste gelichtet hatten.

»So viel Stunden zählt kein Tag«, heulte Wilhelm auf den modrigen und verdreckten Bodendielen liegend, »als dass wir die Sünden beichten könnten, die wir begehen.«

»Elender Jammerlappen«, brachte Bruder Hermann zwischen Husten hervor und einige Käsekrümel flogen im hohen Bogen durch die Luft. Einer traf direkt in Wilhelms Auge, der Rest ging zu Boden und kullerte in die Spalten. Dort würde der Käse vergammeln und den Kriechtieren als Speise dienen. Nachdem Bruder Hermann ausgekeucht hatte, bückte er sich und griff Wilhelm fest in die Kutte, zog ihn hoch und warf ihn Gepa in die Arme.

Wie stark er doch ist, dachte Wilhelm bewundernd, fast wie ein stolzer Ritter voll männlichem Saft, ich wiederum bin ein fetter, wabbliger Mönch. Wenn es Bruder Hermann gestattet wäre, sein dunkles Haar und seinen kräftigen Bart wachsen zu lassen und fürstliche Kleider zu tragen, würde er einen stattlichen Helden abgeben. Er könnte Drachen töten, anstatt seine strahlend blauen Augen beim Lesen von Buchstaben zu verderben; könnte zur Erbauung des Volkes das Herz einer anmutigen Prinzessin im Sturm erobern, anstatt sich heimlich der Huren bedienen und dafür schämen zu müssen.

»Mach, das er diese Nacht nicht vergisst«, befahl Bruder Hermann Gepa, »trotz des zu viel genossenen Bieres. Schließlich muss er morgen vor dem Erzbischof eine ausgezeichnete Figur machen.«

Sich in ihr Schicksal fügend nahm Gepa Wilhelm in Empfang. Sie stützte ihn, damit er es die Treppe hinauf in die Kammer schaffte. Als sie bei Junta vorbeikamen, flüsterte sie ihr etwas zu, doch Wilhelm konnte nicht erfassen, um was es ging.

Wilhelm wusste genau, was er sagen wollte. Aber es war schwierig, den Mund dazu zu bewegen, es auch kundzutun.

»Freundschaft«, brabbelte er schließlich. »Ist sie nicht das herrlichste Geschenk des … des Herrn?«

Gepa legte Wilhelm sanft auf das wacklige Bett mit den einst sorgsam gedrechselten Seiten, die nun jedoch abgestoßen und grau waren. Sie deckte ihn mit einem zerschlissenen Kissen zu, aus welchem das Stroh quoll. Wilhelm merkte erst jetzt, dass er zitterte, anscheinend also frieren musste, und war ihr dankbar. Es war der härteste Winter, seit er denken konnte, und die Älteren, deren Gedächtnis noch weiter zurückreichte, wussten auch kaum von einem schlimmeren Wüten der Kälte, ausgenommen jenes schreckliche Jahr des Herrn 1316, in welchem so viele Menschen erfroren oder verhungert waren. Das warme Bier benebelte die Sinne, konnte den Leib dennoch nicht lange betrügen.

»Ein bisschen raubeinig ist er ja, dein Freund«, sagte Gepa und streckte ihre Füße zu Wilhelm unter die Decke. »Aber na ja. Weißt du, Junta ist auch so eine. Immer borgt sie sich ein paar Pfennige von mir und gibt sie nie zurück, als hätte ich genug davon. Aber jetzt, da kann ich mich auf sie verlassen. Sie wird Hermann so trunken machen, dass er nicht hereinkommt mit ihr und Acht gibt, dass du tust, was er von dir erwartet. Ich kann mich auf sie verlassen. Sie ist meine Freundin. Und er ist dein Freund.«

Ich meinte nicht ihn, dachte Wilhelm, ich meinte dich. Oder euch. Er vergaß aber, es laut auszusprechen.

Gepa kicherte. Dann nahm sie vorsichtig seinen Arm und strich ihm sanft über den Ellbogen. »Tut es weh, wo du draufgefallen bist?«

Sie ist so gut zu mir, dachte Wilhelm. Gepa trug ein gelbes Tuch um den Kopf, derart locker jedoch, dass ihre dicken braunen Haare überall herauslugten. Ihr Gesicht war weiß und fast ebenmäßig. Doch die Härte des Lebens zeichnete sich scharf in ihre Züge ein. Die Lippen schimmerten blau, Wilhelm wusste aber, wie rot sie im Sommer strahlten. Er mochte das Funkeln in ihren dunklen, unergründlichen Augen. Der Kälte wegen hatte sie viele löchrige Kleider übereinander gezogen; so weit er es erkennen konnte, keines in einer anderen Farbe als Gelb, wie es ihr Stand nach dem weisen Ratschlusse der Stadtväter gebot. Der viele Stoff machte ihre Formen fließender und man konnte kaum erahnen, dass ein kräftiges, fast kantiges Weibsbild darunter verborgen war. Wilhelm erinnerte sich gut an das feste Fleisch ihrer Hüften. Verborgen. Das sollte es auch bleiben, heute. Bald werde ich Magister der Theologie, frohlockte Wilhelm. Was habe ich bloß dieserorts zu schaffen? Muss Gott nicht einen solchen Heuchler wie mich bestrafen? Wenn er es aber nicht tut … na, dann ist er halt selbst Schuld. Sagte der Meister Eckhart nicht immer wieder, es komme nicht auf die äußeren Werke an, sondern auf die inneren? Und dass sich im Bösen Gottes Herrlichkeit ebenso zeige wie im Guten?

»Bei den Barfüßern in Aachen«, setzte Wilhelm seinen Gedanken nun laut fort, »wo ich als Waise aufgewachsen bin, habe ich hungern müssen um des Herrn willen. Als sich der elfte Finger aufzurichten begann und manchmal des Nachts … du weißt schon, was, tat …«, Gepa nickte, und Wilhelm nahm es als Zeichen, dass er das Peinliche nicht auszusprechen musste, »habe ich Schläge bekommen. … wurde hierhergeschickt, weil ich einen starken Geist habe … doch mein Fleisch ist schwach … ist es umgekehrt, hier ist es umgekehrt, hier bekomme ich Schläge … von meinem Freund, umgekehrt, wenn ich …« Wilhelms Rede löste sich ins Unverständliche auf. Alles drehte sich in seinem Kopf.

Wie von weiter Ferne hörte er nach einer Weile, in der er völlig weggetreten gewesen zu sein schien, dass Gepa fragte: »Was sollte ich anstatt dessen tun?«

Wahrscheinlich hat sie mir die Geschichte ihres Lebens und Leidens erzählt, dachte Wilhelm, aber ich habe sie nicht mitbekommen. Was soll ich jetzt tun?

»Hast du schon mal daran gedacht, dich den Beginen anzuschließen?«, fragte er und hoffte, dass sie das als Antwort auf das nehmen konnte, was sie gesagt hatte.

Wilhelm sah, wie sich Zornesröte auf dem Gesicht von Gepa ausbreitete. Wie hübsch sie doch ist!, dachte er.

»Dafür muss man im vierzigsten Jahr stehen«, schnaubte sie.

Ja, Wilhelm entsann sich der neuerlichen Verfügung des garstigen Herrn Erzbischofs: Nur Weiber, die mehr als vierzig Lenze zählten, sollten sich den Laienschwestern anschließen dürfen,...