Schiffsmord - Ein Rügen-Krimi

von: Katharina Peters

Aufbau Verlag, 2020

ISBN: 9783841219930 , 320 Seiten

3. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Schiffsmord - Ein Rügen-Krimi


 

1


Kommissarin Romy Beccare war auf der Rückfahrt von einer höchst langatmigen und ermüdenden Sitzung im Stralsunder Kommissariat – daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass ihr Mann die Dienststelle leitete –, als Max Breder anrief. Im Stadthafen von Sassnitz war auf einer Motoryacht eine männliche Leiche entdeckt worden. Nähere Einzelheiten waren bisher noch nicht bekannt. Der Kollege hatte angestrengt und unkonzentriert geklungen. Fine war im Urlaub, und so musste er den kompletten Innendienst alleine regeln, statt wie geplant in aller Ruhe Sicherheitsupdates vorzunehmen und sich mit einem neuen Auswertungsprogramm beschäftigen zu können. Aber nun war offensichtlich etwas dazwischengekommen, was seine normale Routine empfindlich störte.

Auch Romys Stimmung war nicht die beste, und daran war keineswegs die langweilige Sitzung schuld. Ihre Eltern waren für einige Tage zu Besuch auf der Insel gewesen, und wenn sie nicht alles täuschte, wurde ihr Vater inzwischen von Quartal zu Quartal nerviger, während ihre Mutter nicht mit spitzen Nachfragen zur Familienplanung von Tochter und Schwiegersohn geizte. Romy und Jan waren seit einigen Monaten verheiratet, und offensichtlich erwarteten ihre Eltern, dass sie endlich anfingen, für Nachwuchs zu sorgen. Romy hatte sich zunächst schlicht taub gestellt – die Methode war schon vor zwanzig Jahren selten erfolgreich gewesen – und hatte ihrer Mutter schließlich unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass Jan und sie sich entschlossen hätten, keine Kinder in diese Welt zu setzen, und diese Entscheidung ganz sicher nicht mit den jeweiligen Eltern diskutieren würden. Das hätte man auch im Ton durchaus behutsamer und freundlicher ausdrücken können, aber Romy hatte die Nase voll gehabt von den Sticheleien und war heilfroh gewesen, als ihre Eltern sich schließlich wieder auf den Weg nach München gemacht hatten. Der Norden war ohnehin nichts für die beiden.

Sie schob die Gedanken beiseite und fuhr mit ihrer Vespa direkt zum Stadthafen. Auf Höhe des Museums erwartete sie ein Kollege von der Hafenpolizei, nach Romys Einschätzung war der Beamte höchstens Mitte zwanzig und stand ganz am Beginn seiner Laufbahn. Er trat auf Romy zu, als sie ihren Roller abgestellt hatte.

»Kommissarin Beccare?«, fragte er. Sein Gesicht war gerötet und verschwitzt.

Romy setzte ihren Helm ab. »So ist es.« Sie warf einen Blick zum Anlegesteg, wo zwei Polizisten standen und den Zugang zur Yacht absperrten. »Können Sie mir schon Näheres sagen, Kollege …?«

»Rico Hausmann«, fügte der junge Beamte rasch hinzu und lächelte verlegen. »Ein Bootsbesitzer hat uns informiert. Er hat die Leiche entdeckt. Sie lag auf dem Deck und weist Verletzungen auf. Der Mann ist Arzt und vermutete zunächst Kreislaufprobleme oder Ähnliches und hat Erste Hilfe leisten wollen. Er hat uns angerufen, sobald er festgestellt hatte, dass der Mann tot war.«

»Ist der Arzt noch da?«

»Ja.« Der Polizeibeamte zeigte Richtung Bootssteg. »Doktor Martin, ein Internist aus Greifswald, der hier gerade Ferien macht. Er wartet nebenan auf seinem Boot. Sie wollen sicherlich mit ihm reden.«

»Natürlich. Weiß man schon, um wen es sich bei dem Opfer handelt?«

»Noch nicht. Unser Dienststellenleiter meinte, dass wir nichts durchwühlen sollen, bevor nicht klar ist, um was es hier geht.«

»Kluge Entscheidung. Die Kollegen von der Technik und Spurensicherung werden sich freuen, falls wir sie brauchen.« Genauer gesagt, würde Marco Buhl, der Leiter der KTU, jeden in der Luft zerreißen, der es wagte, einen etwaigen Tatort zu verunreinigen.

»Aber mit der Bootsnummer könnten Sie schon mal den Eigentümer ermitteln, oder?«

Hausmann nickte. »Ist in Arbeit.«

»Gut.« Romy bedankte sich und wandte sich um.

Die ersten Schaulustigen hatten sich eingefunden, Handys wurden gezückt. Ein knallblauer Himmel strahlte über Sassnitz. Es war heiß – ein perfekter Urlaubstag. Tausende von Feriengästen lagen bereits am Strand, schipperten um die Insel oder waren im Jasmunder Nationalpark unterwegs und verschafften sich in den kühlen Hallenwäldern etwas Abkühlung. Sie hoffte inständig, dass die erwähnten Verletzungen nichts mit einer Straftat zu tun hatten, der Mann auf der Motoryacht eines natürlichen Todes oder bei einem Sturz ohne Fremdeinwirkung gestorben war und keine weiteren Ermittlungen nötig waren, schon gar nicht mitten in der Hochsaison auf Rügen, wo man bereits in den frühen Morgenstunden auf der B 96 nur noch schleppend vorankam.

Romy ging näher, nickte den beiden Polizisten zu, zog sich Handschuhe an und betrat die kleine Motoryacht. Die Leiche lag auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Deck. Romy schätzte, dass der Mann um die dreißig Jahre alt geworden war. Sie hockte sich neben ihn und sah ihn an. Ein ebenmäßiges Gesicht, das auf den ersten Blick keinerlei Spuren von Gewalteinwirkung oder Verletzungen aufwies. Es wirkte nahezu friedlich. Romy spürte zu ihrer eigenen Verwunderung, dass sie plötzlich von tiefer Traurigkeit erfasst wurde. Sie reagierte normalerweise bei aller Emotionalität relativ beherrscht, wenn es darum ging, eine Leiche in Augenschein zu nehmen; darüber hinaus war noch in keiner Weise klar, was hier geschehen war – abgesehen davon, dass dieser junge Mann tot war. Viel zu jung. Wahrscheinlich war es genau das. Eine Möwe schrie über ihr.

»Frau Kommissarin?«

Romy wischte eine Haarsträhne zur Seite und erhob sich wieder. An der Reling des benachbarten Bootes stand ein Mann – groß, grauhaarig, breite Schultern, blaue Segelklamotten und ein freundliches Lächeln auf den Lippen. »Ich bin Doktor Martin.«

Sie nickte ihm zu. »Das habe ich mir fast gedacht. Ich komme gleich zu Ihnen, möchte mir jedoch vorher selbst einen ersten Eindruck verschaffen und …«

»Sie sollten lieber sofort die Rechtsmedizin verständigen.«

»Tatsächlich?« Romy hob eine Braue.

»Er hat keine Verletzungen im Gesicht …«

»Das ist mir auch schon aufgefallen.«

»Aber der Oberkörper ist übersät mit Blutergüssen.«

Romy runzelte die Stirn.

»Ich bin Arzt«, schob Martin rasch nach. »Natürlich wollte ich mich vergewissern, was ihm fehlt.«

»Sie haben ihn ausgezogen?«

»Nein, ich habe lediglich sein T-Shirt hochgekrempelt und sofort die Polizei benachrichtigt, als mir klar wurde, dass hier nichts mehr zu machen ist. Der Mann ist an inneren Verletzungen gestorben, wenn Sie mich fragen, und die hat er sich garantiert nicht bei einem Sturz zugezogen.«

Romy verzichtete auf eine Entgegnung, beugte sich erneut zu der Leiche hinunter und hob das Shirt an. An der Einschätzung des Arztes bestand kein Zweifel. Der Oberkörper war übersät mit Blutergüssen. Der Mann war übel zugerichtet worden – Faustschläge und Fußtritte, soweit sie es beurteilen konnte. Der Widerspruch zu seinem Gesichtsausdruck war frappierend. Romy atmete tief durch, sie rief Max an und bat ihn, umgehend alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, dann schoss sie einige Fotos.

Als sie sich umwandte, stand der Arzt immer noch an der Reling. »Könnte hinkommen, oder?«

»Durchaus. Kannten Sie den Mann?«

»Noch nie gesehen. Ich bin seit ein paar Tagen hier und habe ihn zum ersten Mal gesehen – und wohl auch zum letzten Mal.«

»Wohl wahr. Kennen Sie die Yacht?«

Der Arzt schüttelte den Kopf.

»Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke und eine DNA-Probe – zum Abgleich. Reine Routine, falls sich herausstellt, dass hier eine Straftat vorliegt.«

»Verstehe. Kein Problem.«

»Danke. Die Kollegen von der Technik sind gleich hier und werden sich darum kümmern. Noch etwas – haben Sie die Leiche bewegt?«

Doktor Martin schüttelte den Kopf. »Wie gesagt – ich habe das Shirt angehoben, Puls und Atmung kontrolliert beziehungsweise festgestellt, dass der Mann nicht mehr lebt, und dann gleich telefoniert.«

»Sehr umsichtig, vielen Dank.«

»Ich habe ein Praktikum in der Rechtsmedizin absolviert«, erklärte Martin. »Das liegt zwar schon ewig zurück, aber mir war klar, dass ich nichts verändern darf.«

Romy nickte ihm zu. Ihre Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. In Kürze würde Marco Buhl mit seinen Leuten hier das Kommando übernehmen. Sie ließ den Blick über die Yacht schweifen. Keine Blutspuren, keine Hinweise auf gewaltsames Eindringen – zumindest nicht auf den ersten Blick. Es sah ganz danach aus, als wäre die kleine Yacht nicht der Tatort gewesen. Das Opfer war zusammengeschlagen und dann auf seinem Boot abgelegt worden, wo er seinen Verletzungen erlegen war. Es war auch nicht auszuschließen, dass er bereits tot auf die Yacht gebracht worden war. Diese Details würde die rechtsmedizinische Untersuchung klären – hoffentlich.

Romy instruierte die Kollegen von der Hafenpolizei. Sie brauchten so schnell wie möglich die Aufnahmen der Überwachungskameras im Hafengelände, mussten nach Zeugen suchen und – nicht zuletzt – das Opfer identifizieren. Anschließend fuhr sie ins Kommissariat nach Bergen zurück, wo sie mit Ruth Kranold telefonierte.

Die Kommissarin aus Greifswald stand bei aktuellen Ermittlungen als Springerin zur Verfügung, seitdem Kasper Schneider in Pension gegangen war. Darüber hinaus kümmerte sie sich um einen kleinen Hof und eine Pflegetochter. Vor einigen Monaten hatten sie ihren ersten gemeinsamen Fall gelöst. Romy und Ruth waren...