Wenn der Morgen die Dunkelheit vertreibt

von: Brittainy C. Cherry

LYX, 2019

ISBN: 9783736310742 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Wenn der Morgen die Dunkelheit vertreibt


 

PROLOG


JACKSON


Zehn Jahre alt

Was für ein dummer Hund.

Jahrelang hatte ich meine Eltern bekniet, mir ein Haustier zu kaufen, aber sie waren der Meinung, ich sei noch zu jung, um die Verantwortung für ein Tier zu übernehmen. Ich versicherte ihnen, dass ich schon damit klarkommen würde, auch wenn das nicht stimmte.

Woher hätte ich denn wissen sollen, dass kleine Hunde nie Ruhe gaben oder taten, was man von ihnen wollte?

Dad sagte, das wäre ungefähr so wie bei Kindern – ich würde auch nie den Mund halten oder tun, was sie von mir wollten. »Aber die Liebe ist es wert«, sagte er jedes Mal, wenn ich mich über unser neues Familienmitglied beschwerte. »Die Liebe ist es immer wert.«

»Immer und jederzeit«, stimmte meine Mutter ihm zu.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihnen glauben konnte, denn dieser Hund war eine echte Nervensäge.

Es war schon spät, und ich hätte längst im Bett liegen sollen, aber ich wollte den Sonnenuntergang noch fertig malen. Ma hatte mir eine neue Technik mit Wasserfarben gezeigt, und ich wusste, dass ich es richtig gut hinkriegen würde, wenn ich nur länger wach blieb und weiter übte.

Tucker fiepte und winselte, während ich versuchte, noch ein wenig Orange auf das Bild zu tupfen. Er stupste zuerst gegen mein Bein und stieß dann den Wasserbecher um.

»Mist!«, stöhnte ich und lief los, um ein Handtuch zu holen und die Sauerei aufzuwischen.

Dummer Hund.

Als ich wieder in mein Zimmer kam, stand Tucker in der Ecke und pieselte.

»Tucker, nein!«

Ich packte ihn im Nacken und zog ihn mit hängenden Ohren zur Gartentür.

»Ach, komm schon«, knurrte ich, während ich versuchte, den Hund aus dem Haus zu schieben, damit er sein Geschäft draußen im Regen verrichtete. Er stand da wie festgewachsen. Dieser große schwarze Labrador verhielt sich wie ein kleines Kind, aber er war schließlich auch erst vier Monate alt. Außerdem hatte er Angst vor Gewitter.

»Nun geh schon!«, rief ich und gähnte. Ich wollte das Bild unbedingt noch fertig malen, damit ich es Ma am nächsten Morgen zeigen konnte. Sie würde so stolz auf mich sein.

Eines Tages würde ich genauso gut malen können wie sie – wenn dieser dämliche Hund mich nur einfach mal in Ruhe lassen würde!

Tucker fiepte und versuchte sich hinter meine Beine zu schlängeln. »Ach, komm schon, Tuck! Stell dich nicht so an!«

Ich versuchte ihn in den Garten zu schieben, aber er stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Der Regen prasselte auf die Veranda, und als der nächste Donner über den Himmel grollte, schlüpfte Tucker an mir vorbei und rannte ins Wohnzimmer.

Stöhnend schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn und lief hinter ihm her. Doch je näher ich dem Wohnzimmer kam, desto unruhiger wurde ich, denn ich konnte meine Eltern dort drinnen streiten hören. In letzter Zeit stritten sie sich ziemlich oft, aber immer, wenn ich das Zimmer betrat, taten sie so, als wäre nichts gewesen.

Doch das war es nicht. Ich konnte es spüren, denn Dad lachte nicht mehr so häufig wie sonst, und Ma musste sich immer die Tränen aus dem Gesicht wischen, wenn sie mich sah. Ein paarmal hatte ich sie dabei überrascht, wie sie allein im Zimmer gesessen und so heftig geweint hatte, dass sie nicht sprechen konnte. Ich hatte versucht, ihr zu helfen, aber sie hatte vor lauter Schluchzen kaum Luft bekommen.

Dad hatte mir erklärt, dass Ma manchmal Panikattacken hatte, aber ich verstand nicht, wo diese Attacken überhaupt herkamen. Es gab nichts, wovor sie Angst haben musste; Dad und ich würden immer gut auf sie aufpassen.

Ich hasste es, wenn Ma so traurig war, dass sie nicht atmen konnte.

Mit der Zeit hatte ich gelernt, sie in den Arm zu nehmen, bis es vorbei war. Und dann saßen wir einfach nur da und atmeten zusammen.

Manchmal dauerte es eine ganze Weile.

Und manchmal dauerte es noch länger.

Ich schlich mich leise ins Wohnzimmer, setzte mich hinter der Couch auf den Boden und hörte zu, wie meine Eltern stritten. Tucker kam zu mir und kletterte auf meinen Schoß. Er zitterte noch immer vor Angst vor dem Gewitter. Oder vielleicht auch, weil meine Eltern sich so anschrien.

Dummer Hund.

Ich schlang die Arme um ihn, denn auch, wenn er ein dummer Hund war, war er immer noch mein dummer Hund. Und wenn er Angst hatte, dann tröstete ich ihn.

Mein Magen verkrampfte sich, als ich hörte, wie Dad Ma anflehte, nicht zu gehen.

Gehen? Wohin sollte sie gehen?

»Du kannst uns nicht einfach so verlassen, Hannah«, sagte Dad, und seine Stimme klang so schrecklich müde. »Du kannst nicht einfach deine Familie im Stich lassen.«

Ma seufzte, und es klang, als würde sie weinen. Atme, Ma. »Wir können nicht so weitermachen, Mike. Wir drehen uns im Kreis. Ich …«

»Sag es«, flüsterte er. »Sprich es aus.«

Sie schniefte. »Ich liebe dich nicht mehr.«

Ich sah, wie Dad zurücktaumelte und sich mit zwei Fingern in den Nasenrücken kniff. Ich hatte Dad noch nie weinen gesehen, aber an diesem Abend wischte er sich die Tränen aus den Augen.

Wie konnte Ma ihn nicht mehr lieben?

Er war mein bester Freund.

Sie waren beide meine besten Freunde.

»Es tut mir so leid, Mike. Ich kann einfach nicht mehr … Ich kann mich und meine Familie nicht länger anlügen.«

»Du verwendest das Wort Familie in letzter Zeit ziemlich freigiebig.«

»Hör auf damit, Mike. Jackson ist mein Ein und Alles, und du weißt, wie wichtig du mir bist.«

»Ja, bloß nicht wichtig genug, um bei uns zu bleiben.« Ma sagte nichts dazu, und Dad fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. »Du willst Jackson also wegen eines anderen Mannes verlassen?«

Ma schüttelte den Kopf. »Du sagst das so, als würde ich meinen Sohn im Stich lassen.«

»Was genau tust du denn sonst? Deine Koffer stehen gepackt im Flur, Hannah. Du verlässt uns!«, fuhr er sie an, was er sonst nie tat. Dad war immer so besonnen und wurde sonst niemals laut. Er holte tief Luft, senkte den Kopf und verschränkte die Hände im Nacken. »Weißt du was? Mach, was du willst. Wenn du gehen willst, dann geh. Aber ich schwöre bei Gott: Komm nicht wieder zurück, denn ich bin es satt, dich anzubetteln, bei mir zu bleiben.«

Er ging hinaus, und meine Brust schmerzte wie wahnsinnig. Ma griff nach ihren Koffern, und ich sprang hinter dem Sofa hervor und rannte zu ihr. »Nein! Ma! Geh nicht!«, schrie ich und fühlte mich, als würde alles in mir brennen. Ich durfte sie nicht verlieren. Ich konnte unmöglich zusehen, wie meine Mom durch diese Tür ging und meinen Dad und mich zurückließ. Wir waren ein Team, eine Familie. Sie konnte uns doch nicht einfach verlassen. Sie konnte doch nicht einfach so gehen …

»Jackson, was machst du denn hier? Du solltest doch im Bett sein!«, rief sie erschrocken.

Ich warf mich schluchzend in ihre Arme. »Geh nicht. Bitte, verlass mich nicht. Bitte, Ma, bitte geh nicht. Bitte …« Ich zerrte verzweifelt an ihren Kleidern, und sie schloss mich in ihre Arme. Doch während sie mich tröstete und ich mich zitternd an sie drückte und sie anflehte zu bleiben, spürte ich, wie sie sich von mir zurückzog.

»Jackson, beruhige dich, okay? Alles ist gut«, versprach sie, aber es war gelogen, denn wie konnte alles gut sein, wenn sie fortging?

»Es tut mir leid, dass Tucker gestern ins Haus gemacht hat! Und es tut mir leid, dass ich euch nicht mehr im Haushalt geholfen habe, aber ich verspreche, ich mache es besser, und ich werde auch besser auf Tucker aufpassen. Ich schwöre, Ma. Bitte, es tut mir so leid. Aber bitte geh nicht!«, heulte ich und versuchte sie noch enger an mich zu ziehen. »Bitte, Ma. Bitte bleib hier. Bitte …«

»Jackson, Liebling.« Ihre Stimme war so sanft und so tröstlich, aber auch sie weinte. »Du hast nichts falsch gemacht. Du bist perfekt.« Sie küsste meine Nase. »Du bist mein Ein und Alles. Das weißt du, nicht wahr?«

»Warum gehst du dann weg?«, krächzte ich.

Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht weg, mein Schatz. Ich verspreche dir, dass ich immer da sein werde. In den nächsten Tagen werden wir beide in Ruhe miteinander reden, und ich werde dir helfen, es zu verstehen. Aber ich kann heute Nacht nicht hierbleiben. Wir … dein Vater und ich …«

»Du liebst ihn nicht.«

»Ich … wir …« Sie seufzte. »Du bist noch zu jung, um das zu verstehen. Aber manchmal passiert es, dass Eltern sich … selbst wenn sie sich alle Mühe geben … einfach nicht mehr lieben.«

»Aber er liebt dich noch. Vielleicht kannst du ja wieder anfangen, ihn zu lieben.«

»Jackson … Du bist noch zu jung, um das zu verstehen. Aber glaub mir: Ich gehe nicht weg. Nicht wirklich. Wir werden einfach eine neue...