Die Auslese Band 1-3: Nur die Besten überleben / Nichts vergessen und nie vergeben / Nichts ist, wie es scheint (3in1-Bundle) - Die komplette Trilogie - Drei Romane in einem Band

von: Joelle Charbonneau

Blanvalet, 2018

ISBN: 9783641231651 , 1120 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Auslese Band 1-3: Nur die Besten überleben / Nichts vergessen und nie vergeben / Nichts ist, wie es scheint (3in1-Bundle) - Die komplette Trilogie - Drei Romane in einem Band


 

Kapitel 1

Heute ist also der Tag der Abschlussfeier.

Ich kann kaum still stehen, während meine Mutter meine rote Festtagstunika glattstreicht und mir eine Strähne meines hellbraunen Haares, die sich vorwitzig gelöst hat, hinters Ohr steckt. Endlich gibt sie sich zufrieden und dreht mich an den Schultern herum, sodass ich mich in dem Spiegel betrachten kann, der an der Wand unseres Wohnbereichs hängt. Rot. Ich trage Rot. Kein Rosa mehr. Ich bin jetzt eine Erwachsene. Den augenfälligsten Beweis dafür vor mir zu sehen, das verursacht ein durchaus kribbeliges Gefühl in meinem Magen.

»Bist du so weit, Cia?«, fragt meine Mutter. Auch sie trägt Rot, doch ihr Kleid ist aus einem hauchfeinen Stoff gemacht, der in geschmeidigen Wellen bis auf den Boden fließt. Neben ihr sehen meine ärmellose Tunika und die Lederstiefel kindlich aus, aber das ist schon in Ordnung. Ich habe noch genug Zeit, in meinen neuen Lebensabschnitt hineinzuwachsen, schließlich bin ich mit sechzehn Jahren ohnehin noch jung für diesen Schritt, ja sogar bei Weitem die Jüngste in meiner Klasse.

Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel und hoffe, dass der heutige Tag nicht das Ende meiner Ausbildung bedeuten wird, aber diese Entscheidung liegt nicht in meiner Hand. Mir bleibt nur mein großer Traum, dass ich für die Auslese ausgewählt werde. Ich schlucke krampfhaft und nicke. »Ja, lass uns gehen.«

Die Abschlussfeier findet auf dem Marktplatz der Kolonie statt, mitten zwischen den Ständen, an denen es Backwaren und frische Milch zu kaufen gibt, denn die Schule ist nicht geräumig genug, um all den Leuten Platz zu bieten, die anwesend sein werden. Die gesamte Kolonie wird nämlich kommen, was nicht zuletzt daran liegt, dass praktisch jeder Bewohner mit mindestens einem der Schüler verwandt ist, die heute ihren Übergang ins Erwachsenenalter vollziehen oder ihre Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe feiern. Dieses Jahr gibt es die größte Abschlussklasse, die die Five-Lakes-Kolonie je gesehen hat. Acht Jungen, sechs Mädchen: ein deutlicher Beweis dafür, dass es aufwärtsgeht mit der Kolonie.

Mein Vater und meine vier Brüder, alle in das Purpurrot der Erwachsenen gekleidet, warten vor unserem Haus auf uns. Mein ältester Bruder, Zeen, wirft mir ein Lächeln zu und zerzaust mir die Haare. »Bist du bereit dafür, die Schule endgültig hinter dir zu lassen und mit uns anderen Strolchen hinaus ins wahre Leben zu ziehen?«

Meine Mutter runzelt die Stirn.

Ich lache.

Zeen und meine anderen Brüder sind alles andere als Strolche. Die Mädchen werfen sich ihnen praktisch an den Hals, und zwar ständig. Doch während meine Brüder gewiss nichts gegen einen Flirt einzuwenden haben, scheint keiner von ihnen ein besonders großes Interesse daran zu finden, sesshaft zu werden. Sie finden es spannender, eine neue Hybrid-Tomatenplantage anzulegen, als eine Familie zu gründen. Zeen allen voran. Er ist groß, blond und klug. Sehr, sehr klug. Und trotzdem ist er nicht für die Auslese ausgewählt worden. Dieser Gedanke lässt meinen großen Tag in einem trüberen Licht dastehen. Vielleicht ist das die erste Lektion, die ich in meinem Leben als Erwachsene zu lernen habe: Man bekommt nicht immer das, was man sich wünscht. Ganz bestimmt hätte Zeen gerne die Universität besucht, um in Dads Fußstapfen zu treten. Ohne jeden Zweifel weiß er genau, wie mir im Augenblick ums Herz ist. Einen Moment lang wünsche ich mir, ich könnte mit ihm sprechen und ihn fragen, wie er damals mit dieser Enttäuschung fertiggeworden ist, die heute vermutlich auch auf mich wartet. Unsere Kolonie würde sich glücklich schätzen können, wenn überhaupt jemand aus der Abschlussklasse für die Auslese ausgewählt würde. Es ist zehn Jahre her, dass man sich zum letzten Mal für einen Prüfling aus Five Lakes entschieden hat. Ich bin gut in der Schule, aber es gibt andere, die besser sind. Viel besser. Welche Chancen habe ich da schon?

Mit einem gezwungenen Lächeln erwidere ich: »Na klar. Ich kann ja wohl kaum ewig in der Schule bleiben, wenn ich irgendwann – bis dahin seid ihr anderen alle längst verheiratet – der Kolonie vorstehen will.«

Hart und Win erröten. Sie sind zwei Jahre älter als ich, und allein die Vorstellung, sich mit Mädchen zu verabreden oder zu heiraten, macht ihnen gehörige Angst. Die zwei sind glücklich, wenn sie Seite an Seite in der Gärtnerei arbeiten können, wo sie die von Dad gezüchteten Blumen und Bäume hegen und pflegen, um der kaum noch fruchtbaren Erde am Rand der Kolonie zu trotzen.

»Wenn wir nicht endlich aufbrechen, wird keiner von euch in Zukunft viel zu tun haben.« Mutter ist schon vorausgegangen, und ihre Stimme klingt scharf. Meine Brüder und unser Vater folgen ihr rasch. Die Tatsache, dass es keineswegs den Anschein hat, als ob Zeen oder Hamin in nächster Zeit heiraten würden, macht unserer Mutter schwer zu schaffen.

Dads Arbeit ist der Grund dafür, dass unser Haus weiter vom Zentrum der Kolonie entfernt liegt als die meisten anderen. Meine Brüder und mein Vater haben die Erde rings um unser Zuhause urbar gemacht, sodass dort inzwischen üppige Pflanzen und Bäume gedeihen, doch schon ein paar Hundert Schritte von unserer Haustür entfernt ist der Boden rissig und aufgesprungen. Dort wachsen nur einige Gräser und ein paar niedrige, armselige Bäume. Dad hat mir erzählt, dass es um den Erdboden Richtung Westen noch viel schlimmer bestellt ist, was der Grund dafür sein dürfte, dass die Verantwortlichen der Five-Lakes-Kolonie diesen Ort hier für die Ansiedlung bestimmt haben.

Gewöhnlich fahre ich mit dem Fahrrad. Einige der Koloniebewohner besitzen eigene Autos, aber Benzin und Solarzellen, die groß genug wären, um sie anzutreiben, sind viel zu wertvoll für den alltäglichen Gebrauch. Heute trotte ich hinter meiner Familie her, als wir die beinahe fünf Meilen zu unserem Marktplatz zu Fuß zurücklegen. Dieser Platz hat die Form einer Schildkröte mit einer ovalen Mitte und vier Anhängseln an den Seiten. Im Zentrum befindet sich ein wunderschöner Springbrunnen, der klares, glitzerndes Wasser in die Luft schleudert. Dieser Brunnen ist ein wahrer Luxus, denn es ist ansonsten nicht immer leicht, an frisches Wasser zu kommen. Wir halten an dieser Verschwendung fest, um den Mann zu ehren, der herausgefunden hat, wie man nach dem Stadium Sieben die Kontaminierungen aus den Seen und Teichen herausfiltern kann. Das, was von den Weltmeeren noch übrig ist, ist weitaus schwieriger zu reinigen.

Der Boden unter meinen Füßen wird immer grüner, und je näher wir dem Mittelpunkt der Kolonie kommen, desto lauter wird der Gesang der Vögel. Mom spricht unterwegs nicht sehr viel. Zeen zieht sie damit auf, dass sie mich nicht erwachsen werden lassen will, aber ich denke, dass das nicht der Grund für ihre Schweigsamkeit ist.

Vielleicht aber auch doch.

Mom und ich sind an sich immer gut miteinander ausgekommen, aber seit ein paar Jahren schon werden wir uns zunehmend fremder. In der letzten Zeit hat sie mir nicht mehr so bereitwillig bei den Hausaufgaben geholfen, und sie ist nur noch daran interessiert, die Jungs zu verheiraten und darüber zu sprechen, was für eine Ausbildung mir nach meinem Schulabschluss vorschwebt. Jeder Hinweis darauf, dass ich ja auch für die Auslese ausgewählt werden könnte, ist unerwünscht. Und so spreche ich schon seit Längerem immer weniger mit ihr und immer mehr mit meinem Vater. Er wechselt nämlich nicht das Thema, wenn ich von der Universität anfange, obwohl auch er mich nicht in meinen Träumen bestärkt. Ich schätze, er will nicht, dass ich enttäuscht werde.

Die Sonne brennt heiß, und als wir den letzten Hügel erklimmen, rinnt mir der Schweiß den Rücken runter. Unmittelbar hinter der Kuppe höre ich Musik und Gelächter, was mich dazu veranlasst, meine Schritte zu beschleunigen. Kurz bevor wir den Gipfel des Hügels erreichen, legt mir Dad einen Arm um die Schultern und bittet mich, die anderen schon mal vorgehen zu lassen.

Die aufgeregte Stimmung auf der anderen Seite des Hangs zieht mich magisch an, aber ich bleibe stehen und frage ihn: »Stimmt etwas nicht?« In seinen Augen sehe ich dunkle Schatten, obwohl sein Lächeln strahlend ist.

»Nein, nein, es ist alles in Ordnung«, sagt er. »Ich will nur einen Augenblick mit meinem kleinen Mädchen allein sein, ehe der Trubel losgeht. In dem Augenblick, wenn wir auf der anderen Seite des Hügels ankommen, wird nichts mehr so sein wie früher.«

»Ich weiß.«

»Bist du nervös?«

»Vielleicht ein bisschen, ja.« Aufregung, Angst und andere Gefühle spielen in mir verrückt, und ich kann kaum sagen, was ich wirklich empfinde. »Es ist seltsam, dass ich nicht weiß, was ich tun werde, wenn ich morgen früh aufstehe.« Die meisten meiner Klassenkameraden haben ihre Wahl für die Zukunft längst getroffen. Sie wissen, wo sie in die Lehre gehen oder ob sie in eine andere Kolonie ziehen werden, um sich Arbeit zu suchen. Einige haben sogar beschlossen zu heiraten. Bei mir hingegen ist alles noch offen, obwohl mein Vater sehr deutlich gemacht hat, dass ich mit ihm und meinen Brüdern zusammenarbeiten kann, wenn ich das möchte. Für mich ist das eine eher trostlose Aussicht, denn mein Daumen ist alles andere als grün. Als ich meinem Vater das letzte Mal zur Hand gegangen bin, habe ich beinahe die Sonnenblumensetzlinge zerstört, für deren Heranziehen er Monate gebraucht hatte. Alles Mechanische kann ich mühelos reparieren, aber Pflanzen bringe ich dazu einzugehen.

»Du wirst aus dem Bett steigen und dich dem stellen, was dann auf dich wartet, egal, was es ist. Ich werde stolz auf dich sein, was auch immer der morgige Tag bringen...