Sturmnächte - Roman

von: Katharina Winter

Diana Verlag, 2011

ISBN: 9783641057374 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Sturmnächte - Roman


 

ZWEITER TEIL (S. 108-109)

1

Die Nacht war sternenlos. Nur der Vollmond stand am Himmel und tauchte den Garten in seinen matten Schein. In der Ferne läuteten die Glocken, während sich der kleine Trauerzug langsam auf die alte Rotbuche zubewegte. Ein Mann in einer schwarzen Kutte führte ihn an. Eine Kapuze bedeckte seinen Kopf. Auf den Händen trug er den Sarg des Kindes, auf dem eine Laterne stand. Et lux perpetua luceat ei – Und das ewige Licht leuchte ihr. Stumm zogen sie durch den Schnee. Das Glockengeläut verklang. Stille senkte sich herab. Zart umriss das Mondlicht den alten Baum, der auserkoren war, das Grab zu schützen. Unter den dichten Zweigen setzte der Mann den Sarg ab. Requiem aeternam dona ei – ewige Ruhe schenke ihr. Sie stellten Grablichter auf, die durch die Dunkelheit leuchteten. Die Glocken begannen wieder zu läuten. Es war Weihnachten, die Heilige Nacht. In dieser Nacht wurde ein Kind geboren. Und ein anderes verstarb. Requiescat in pace – Ruhe in Frieden. Amen.

»Mama, wach auf!« Wie durch einen Schleier drangen die Worte in Carlas düstere Traumwelt ein. Sie spürte die Kälte der Winternacht, sah den kleinen Sarg inmitten der brennenden Kerzen im Schnee stehen. Da hörte sie erneut die Worte: »Mama, wach auf.« Verschlafen drehte sie sich um und fühlte den Körper ihrer Tochter, die ganz nah an sie herangekrochen war »Es ist jemand im Haus«, flüsterte Pauline mit angsterfüllter Stimme. Erschrocken schlug Carla die Augen auf. Im Zimmer war es dunkel. Der Radiowecker zeigte zwei Uhr nachts an. Sie horchte in die Stille. Alles war ruhig, es gab keine Geräusche.

»Du hast bestimmt nur schlecht geträumt«, murmelte sie. »Nein, habe ich nicht«, erwiderte Pauline. »Ich habe Schritte gehört.« Carla nahm sie in den Arm. »Du musst keine Angst haben. Es ist niemand da. Hör nur, es ist alles still.« Doch kaum hatte sie es ausgesprochen, da hörte auch sie die Schritte. Dielen knarrten. Irgendwo im Haus quietschte eine Tür. Ihr stockte der Atem. Sie starrte zur Decke hinauf. Von dort oben kamen die Geräusche. Jemand lief auf dem Dachboden umher. Pauline hatte sich nicht geirrt. Es war jemand im Haus. Automatisch presste sie ihre Tochter fest an sich. Carlas Schläfen pochten.

Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Wie erstarrt lag sie im Bett und hielt Pauline im Arm. Minuten verstrichen, so lang wie eine Ewigkeit. Wieder knarrte es leise. Danach waren die Schritte nicht mehr zu hören. Eine halbe Stunde verging, in der Carla keinen einzigen Laut vernahm. Irgendwann stand sie auf, mit rasendem Herzen, und schlich zur Tür. Diese öffnete sie einen Spaltbreit und lugte hindurch. Im Haus war es dunkel. Und still. Lautlos huschte sie zurück ins Bett. »Vielleicht hat sich nur eine Katze auf dem Dachboden verirrt«, flüsterte sie Pauline zu. »Das war keine Katze«, gab diese aufgeregt zurück. »Doch, ganz bestimmt«, sagte Carla mit gedämpfter Stimme. Ihr fiel nichts Besseres ein, um ihre Tochter zu beruhigen.