Freiwild - Die Odenwaldschule - Ein Lehrstück von Opfern und Tätern

Freiwild - Die Odenwaldschule - Ein Lehrstück von Opfern und Tätern

von: Tilman Jens

Gütersloher Verlagshaus, 2011

ISBN: 9783641054977 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

  • Skandale - Strukturen und Strategien öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung
    Flüchtlingsschutz als globale und lokale Herausforderung
    Starmanager - Medienprominenz, Reputation und Vergütung von Top-Managern
    Kompetenz in der Hochschuldidaktik - Ergebnisse einer Delphi-Studie über die Zukunft der Hochschullehre
    Kleine Leiblichkeiten - Erkundungen in Lebenswelten
    Finanzierungspraxis von Biogasanlagen in der Landwirtschaft - Eine empirische Untersuchung zu Stand und Entwicklungslinien
  • Integration im Bürgerbewusstsein von SchülerInnen
    Die Vermessung der sozialen Welt - Neoliberalismus - Extreme Rechte - Migration im Fokus der Debatte
    Das Kriegsgeschehen 2007 - Daten und Tendenzen der Kriege und bewaffneten Konflikte
    Realitätskonstruktionen
    Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation - Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien
    Mediale Migranten - Mediatisierung und die kommunikative Vernetzung der Diaspora
 

Mehr zum Inhalt

Freiwild - Die Odenwaldschule - Ein Lehrstück von Opfern und Tätern


 

V. VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN (S. 99-100)

Weltabgeschiedene Orte, der Zivilisation weit entrückt, beflügeln seit eh und je die kühnsten Geschichten. Nigger Island ist so ein Flecken, der Schauplatz von Agatha Christies wohl berühmtestem Krimi Und dann gab’s keines mehr, zu politisch weniger korrekten Zeiten unter dem Namen Zehn kleine Negerlein bekannt. Es ist die Geschichte einer Schicksalsgemeinschaft. Zehn Gäste werden unter falschen Versprechungen auf ein gottverlassenes Eiland vor der Küste von Devon gelockt. Sie müssen auf die Insel kommen … ein zauberhafter Ort … Begegnung mit der Natur … Sonnenbaden.

Die Einladung lässt freilich unerwähnt, dass es aus diesem Kosmos für sich kein Entrinnen mehr gibt. Hier darf niemand auf Hilfe von außen hoffen. Vera, auch sie wird bald sterben, hatte sich die Insel anders vorgestellt. Nah an der Küste, gekrönt von einem schönen weißen Haus. Aber es war kein Haus zu sehen, nur die kühnen Umrisse eines Felsens, der an einen gigantischen Männerkopf erinnerte. Er sah irgendwie finster aus. Und das sollte ein Zeichen sein. Bald schon beginnt ein grausiges Morden: vergiftet, erschossen, mit der Axt erschlagen! Keiner der zehn Geladenen wird die geschlossene Gesellschaft lebendig verlassen. In den Siebziger und Achtziger Jahren hat es, so berichten zum Tatort geeilte Journalisten, eine Art Nigger Island an der hessischen Bergstraße gegeben, eine entlegene Kolonie, die geradezu geschaffen scheint für das perfekte Verbrechen.

Gewiss, Ober-Hambach kennt keine Kliffs, das liegt nicht einsam am Meer, ist dafür aber versteckt in waldigen Bergen, wo es nichts anderes gibt als Gegend allein. Unter dunklen Wolken, müssen wir dem Stern entnehmen, könnten die alten Häuser aus Naturstein auch die Kulisse für einen Horrorfilm abgeben. Die Topographie scheint Teil der ruchlosen Tat, geradezu prädestiniert für klammheimlich begangene Delikte. Das Areal entzieht sich jeder fürsorglichen Aufsicht und ist telekommunikativ ein gewaltiges Funkloch. Dem aus der Hauptstadt angereisten Kollegen von der taz wird ganz schwummrig: Die Anfahrt schlängelt sich über fünf Kilometer durch das Hambachtal, keine Bushaltestelle weit und breit. Die OSO liegt tief in der hessischen Pampa. Oder, wie es die Kollegin vom Spiegel benennt: Es gibt die Schule – und die Welt da draußen. Eines der liebsten Bücher von Schulleiter Becker war übrigens William Goldings Herr der Fliegen.

Ein Haufen sechs- bis zwölfjähriger Jungen strandet nach einem Flugzeug-Absturz auf einer unbewohnten Insel im Pazifik. Kein Erwachsener hat die Havarie überlebt. Die Kinder sind ganz unter sich – und bald schon wird das entlegene Idyll zur barbarischen Szenerie roher Gewalt. Dort, wo es an sozialer Kontrolle fehlt, kann das Verbrechen ungestört gedeihen. Gibt es also einen geeigneteren Ort als die Odenwaldschule, um, ganz im Verborgenen, eine kriminelle Vereinigung von Kinderschändern zu etablieren?

Christian Füller, der Kollege von der taz, Buchautor und Aufklärer, sagt Ja – und schürt in einem Interview den finsteren Verdacht, an der OSO habe es so etwas wie eine Verschwörung gegeben, das heißt, mehrere Pädophile verabreden sich, um die Odenwaldschule zu übernehmen und dort die sehr leicht missbrauchsfähige Reformpädagogik auszunutzen, um sich selbst zu befriedigen. Der Verein Glasbrechen, der in seiner praktischen Arbeit eindrucksvolle Hilfe leistet und die Opfer betreut, formuliert es in einer Verlautbarung leider noch ein wenig krauser: In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts machte sich eine Gruppe von Päderasten verschwörerisch auf, um an Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden – auch Schutzbefohlene genannt –, eine unfassbare Vielzahl an pädosexuellen Verbrechen zu begehen.