Das Schloss auf den Klippen

Das Schloss auf den Klippen

von: Lee Wilkinson

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783942031721 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,49 EUR

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Das Schloss auf den Klippen


 

1. KAPITEL

Am vierzehnten Februar fand sich in der Tageszeitung folgender Artikel:

Verdientes Valentinsgeschenk für einen verdienten Autor

Zum zweiten Mal hintereinander hat Michael Denver den renommierten Quentin Penman Literaturpreis gewonnen, diesmal für seinen Roman „Withershins“. Nach Meinung maßgeblicher Literaturkritiker ist Denver als Schriftsteller auf dem Gebiet des Psychothrillers nicht zu übertreffen. Mit fünf preisgekrönten Werken ist er einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit.

Dennoch scheut er die Öffentlichkeit, lässt sich nicht fotografieren und verweigert jegliche Interviews. Obwohl er durch seine Scheidung von Supermodel Claire Falconer und die Gerüchte um eine Aussöhnung immer noch in den Schlagzeilen steht, gibt er keine Presseerklärungen.

Die ersten vier Romane Denvers sind alle von Hollywood als Drehbuchvorlagen aufgekauft worden, drei Verfilmungen sind bereits in die Kinos gekommen und haben sich als Kassenschlager entpuppt. „Withershins“, sein bisher bestes und reifstes Werk, wird da keine Ausnahme machen.

Michael stellte das Telefon zurück auf die Station und fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte dunkle Haar. Der Anruf seines alten Freundes Paul Levens hatte seine letzten Zweifel so gut wie beseitigt. Er brauchte Unterstützung und musste eine PA, eine persönliche Assistentin, einstellen, sosehr er sich auch innerlich dagegen sträubte.

Paul, frisch gebackener Direktor bei Global Enterprises, hatte bei einem Treffen vor einiger Zeit eine Mitarbeiterin ins Gespräch gebracht, die ihm für den Job geradezu ideal schien. Michael hatte mit diversen Gegenargumenten aufgewartet, die, völlig untypisch für ihn, alles andere als logisch waren.

„Ich verstehe dich.“ Paul nickte. „Nach deiner Scheidung sehen alle heiratswütigen Frauen in dir das perfekte Opfer, und daher wünschst du das gesamte weibliche Geschlecht auf den Mond. Trotzdem musst du den Tatsachen ins Auge sehen. Du brauchst dringend eine fähige PA, und eine bessere als Jennifer Mansell wirst du nicht finden.“

„Wenn sie so gut ist, warum lässt du sie dann gehen?“, konterte Michael.

„Weil ich keine andere Wahl habe. Jenkins muss aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen, und die Geschäftsleitung nutzt die Gelegenheit, um seine Abteilung an den Export anzugliedern. Aber Cutcliff, der die Exportabteilung seit über zehn Jahren leitet, möchte natürlich seine PA behalten.“

In Michaels grünen Augen funkelte es amüsiert. „Mit anderen Worten, du willst diese Jennifer Mansell an mich abschieben.“

Paul, ein bulliger rotblonder Rugbyspieler mit hellen blauen Augen, seufzte. „Ich will nur eins: dir helfen. Weshalb ich mich allerdings mit dir sturem Bock überhaupt noch abgebe, weiß Gott allein.“

„Ich werde es mir überlegen.“

Paul verdrehte die Augen. „Deine überschwängliche Dankbarkeit ist mir echt peinlich.“

Michael lachte und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Danke, Kumpel.“

Paul mochte es nicht begreifen, aber für ihn, Michael, kam es einer Revolution gleich, eine Bürokraft einzustellen und somit den ganzen Tag jemanden um sich zu haben. Dass es sich dabei um eine Frau handelte, machte die Sache noch komplizierter.

Nach einer Woche Bedenkzeit hatte er sich immer noch nicht entschieden, obwohl er längst in Slinterwood hätte sein wollen, um mit seinem neuen Roman zu beginnen. Zu allem Unglück rief dann auch noch Claire an. Wortreich teilte sie ihm mit, wie sehr sie unter der Scheidung litt und wie gern sie wieder seine Frau wäre. Das trug auch nicht gerade zur Verbesserung seiner Laune bei.

Die Einstellung, sie brauche nur mit den Fingern zu schnippen, und er läge ihr wieder zu Füßen, machte ihn wütend und bestärkte ihn in seiner Voreingenommenheit gegenüber Frauen – besonders Frauen, die Sex als Mittel zum Zweck benutzten.

Und jetzt setzte Paul ihm auch noch die Pistole auf die Brust.

„Dies ist deine letzte Chance, alter Freund“, hatte er am Telefon gesagt. „Freitagabend tritt Jennifer Mansell noch einmal als Organisatorin bei Jenkins festlicher Verabschiedung auf. Das ist deine allerletzte Möglichkeit.“

Als Michael nicht reagierte, redete er weiter. „Warum kommst du nicht einfach zu dem Empfang und lernst sie kennen? Sie sieht super aus, ohne eine auffallende Schönheit zu sein, und ist bestimmt keine Frau, die sich Männern an den Hals wirft. Ich kann dir Jennifer auf der Party ganz zwanglos vorstellen. Wenn du aber selbst das als Zumutung empfindest, beobachte sie einfach diskret aus dem Hintergrund.“

Michael wählte schließlich Letzteres, und Paul war zufrieden.

„Bis dahin werde ich alles Wichtige über sie herausgefunden haben“, versprach er.

Freitag um acht Uhr abends, gut versteckt hinter den Kübelpflanzen des Londoner Luxushotels, beobachtete Michael, was im Ballsaal vor sich ging. Er bereute bereits, auf Pauls Vorschlag eingegangen zu sein. Zugegeben, er benötigte Hilfe. Aber musste es unbedingt eine Frau sein? Um jedoch endlich Ruhe vor seinem Freund zu haben, würde er sich diese Miss Mansell wenigstens anschauen.

Michael hatte sich seinen Platz klug gewählt, denn er hatte freien Blick auf die Bühne, ohne selbst gesehen zu werden. Im Moment spielte dort noch eine Kapelle, und mehrere Paare tanzten. Andere standen in Gruppen im Raum, plauderten angeregt und tranken Champagner, der großzügig ausgeschenkt wurde. Arthur Jenkins war dreißig Jahre lang bei Global Enterprises gewesen, und die Gesellschaft hatte trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage an nichts gespart, um ihn würdig zu verabschieden.

Einen genauen Blick auf Jennifer Mansell hatte Michael bisher noch nicht erhaschen können. Er hatte sie nur von Weitem gesehen, groß und schlank, das dunkle Haar hochgesteckt. Sie trug ein luftiges und zugleich elegantes knöchellanges Chiffonkleid in einem Muster aus Aquamarin, Türkis, Lapislazuli und Gold.

Paul, der einzige Mensch, den Michael hier kannte, hatte ihn zu Anfang unauffällig beiseite genommen und ihm Jennifer Mansell und Arthur Jenkins gezeigt.

„Was hast du über sie in Erfahrung bringen können?“, hatte Michael wissen wollen.

„Nicht viel. Die Personalabteilung wusste nur, dass sie vierundzwanzig ist, sehr zurückhaltend und alle ihre Aufgaben perfekt erledigt. Sie kam direkt nach ihrem Examen an einer Londoner Fachhochschule für Wirtschaftswissenschaft zu Global Enterprises.“

„Und ihr Privatleben?“

„Darüber ist so gut wie nichts bekannt. Von ihren Kollegen erfuhr ich lediglich, dass sie für einige Zeit einen Verlobungsring trug. Vor einigen Monaten war er dann plötzlich von ihrer Hand verschwunden, was mehrere Kollegen zum Anlass nahmen, ihr Glück bei ihr zu versuchen. Sie ließ jedoch alle abblitzen. Wahrscheinlich hat sie genug von Männern.“

Obwohl diese Einschätzung in Michaels Ohren sehr vielversprechend klang, ließ er sich das nicht anmerken. „Danke für deine Bemühungen, alter Freund“, meinte er lediglich.

Paul zuckte die kräftigen Schultern. „Keine Ursache. Ich muss mich wieder unter die Gäste mischen. Soll ich sie dir vorstellen?“

„Bitte nicht.“ Michael schüttelte den Kopf.

„Solltest du deine Meinung ändern, lass es mich wissen.“ Eine kurze Verbeugung, und Paul war schon wieder in der Menge verschwunden.

Michael musste nicht lange warten, dann traten Arthur Jenkins und Jennifer Mansell erneut in sein Blickfeld. Der schlichte, körpernahe Schnitt des Kleides betonte die Vorzüge ihrer Figur auf das Verführerischste, ohne ihre weiblichen Reize zur Schau zu stellen. Als sie näher kam, erkannte Michael, dass sie außer einem schlichten Goldring am rechten Ringfinger und einer eleganten Abenduhr keinen Schmuck trug.

Ihr Gesicht hatte er noch nicht erkennen können, da sie mit Arthur Jenkins sprach und den Kopf zur Seite geneigt hielt. Als sie endlich in seine Richtung blickte und lächelte, verschlug es Michael regelrecht den Atem.

Das Gesicht kannte er – und dies nicht nur, weil es ihn an eine jüngere Ausgabe von Julia Roberts erinnerte.

Wo und wann hatte er diese Frau schon gesehen? Plötzlich fiel es ihm ein, und sein Herz schlug schneller: An einem Spätnachmittag vor fünf oder sechs Jahren hatte er gedankenverloren von der Burgmauer seines Anwesens in den mit Kopfstein gepflasterten Innenhof geblickt. Zwischen den Blumenkübeln entdeckte er eine letzte Besucherin – Jennifer Mansell.

Den Kopf in den Nacken gelegt, verfolgte sie den Flug der ersten Schwalben, der Wind spielte mit ihrem dunklen Haar, und um ihren Mund spielte ein verträumtes Lächeln. Plötzlich wandte sie den Kopf und blickte zu ihm auf. Für Sekunden sahen sie einander an, bis sie schüchtern zu Boden blickte.

Ohne im Geringsten zu wissen, weshalb, war ihm Jennifer Mansell schon damals vertraut vorgekommen, so, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen.

Als sie sich umdrehte, um zum Hauptausgang zu gehen, eilte er ihr sofort hinterher. Doch die steinerne Wendeltreppe des Nordturms war lang und steil, und unten angekommen, war die Fremde verschwunden. So schnell er auch zum Tor lief, alles, was er sah, war ein kleines Auto, das gerade die enge, holperige Auffahrt hinunterfuhr. Er winkte wie wild, doch die Fahrerin setzte ihren Weg fort.

Unsagbar traurig und enttäuscht stieg er wieder auf die Mauer, um den kleinen silbernen Wagen wenigstens mit den...