Brandung der Leidenschaft

Brandung der Leidenschaft

von: Robyn Grady

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783862950423 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,49 EUR

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Brandung der Leidenschaft


 

1. KAPITEL

Als Nina Petrelle die Augen öffnete, wurden ihr drei Dinge schmerzlich bewusst.

Erstens: Sie hatte eine große pochende Beule am Hinterkopf. Zweitens: Sie steckte mit dem Fußknöchel in etwas fest, das sich wie ein aufgeweichter, zersplitterter Schraubstock anfühlte. Und drittens: Kaltes Salzwasser umspülte ihren Körper … und drang ihr in Mund und Lungen.

Mit einem Schlag kam Nina wieder vollständig zu sich, hustete Meerwasser aus und setzte sich abrupt auf – um sofort vor Schmerz laut aufzuschreien. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt sie sich den Oberschenkel, bis der teuflische Schmerz ein wenig abgeklungen war. Sie nahm sich vor, auf keinen Fall in Tränen auszubrechen, und schlug mit den zu Fäusten geballten Händen in den Sand. Dann ließ sie sich wieder nach hinten sinken.

In den vergangenen zwei Monaten war ihr ihr Leben immer mehr entglitten. Das Gefühl, sang- und klanglos unterzugehen, hatte ihre Willensstärke immer mehr ausgehöhlt – bis sie diesen Nachmittag nach einer besonders anstrengenden, zermürbenden Schicht einfach nur vor allem davongelaufen war. Doch das, was Nina wirklich hinter sich lassen wollte, hatte sie ohne Gnade verfolgt.

Es war diese eine entscheidende Frage, die ihr in letzter Zeit keine Ruhe gelassen hatte: Wer bin ich eigentlich? Nina wusste es einfach nicht mehr.

Früher einmal hatte ihr Leben wie ein verheißungsvoller, golden glänzender Weg vor ihr gelegen. Ihrem Vater hatte ein äußerst erfolgreiches Maschinenbauunternehmen gehört, und während ihrer Kindheit hatte Nina sich über die vielen Hausangestellten ihrer Familie keinerlei Gedanken gemacht und immer nur die schönsten Kleider, das beste Essen und das Beste von allem erwartet. Nach dem Tod ihres Vaters verschleuderte die vergnügungssüchtige Mutter das Vermögen der Familie, und Ninas sonst so verantwortungsbewusste kleine Schwester Jill wurde von einem Nichtsnutz schwanger, der sie kurz darauf sitzen ließ.

Während ihre Mutter immer mehr an Bodenhaftung verlor, krempelte Nina die Ärmel hoch, brachte ihr Studium zu Ende und fand eine Stelle im Verlagswesen – einer intensiven, schnelllebigen Welt, die ihr sehr gefiel. Bis vor Kurzem war sie Redakteurin bei einer erfolgreichen Zeitschrift für Teenager gewesen. Sie hatte die Arbeit bei Shimmer geliebt.

Dann waren ganz plötzlich reihenweise Mitarbeiter entlassen worden.

Zusammen mit einigen anderen Kollegen wurde auch Nina gekündigt. Angesichts ihrer beträchtlichen Hypothek und einiger anderer Verpflichtungen brauchte sie dringend Arbeit, aber gut bezahlte Stellen waren insbesondere in ihrer Branche nicht leicht zu bekommen.

Doch eines Morgens rief ihre alte Freundin Alice Sully an, deren Familie ein Reisebüro gehörte. Sie bot Nina einen Job als Kellnerin in Australiens exklusivstem Urlaubsziel an. Dort würde sie hart arbeiten und jede Menge Überstunden machen müssen, warnte Alice, aber dafür würde die Bezahlung sehr gut sein.

Unendlich erleichtert hatte Nina das Angebot, auf der Insel zu arbeiten, angenommen. Seit nunmehr sechs Wochen schuftete sie im Diamond Shores, der renommiertesten Ferienanlage am Great Barrier Reef – und sehnte sich jede einzelne Sekunde zurück nach Hause.

Denn die anderen Mitarbeiter hatten ihr sofort zu verstehen gegeben, dass man sich eine Stelle in Australiens Urlaubsmekka eigentlich selbst erarbeiten und nicht durch gute Beziehungen ergattern sollte. Die zwei Jahre, die Nina während des Studiums in der Cafeteria ihrer Uni ausgeholfen hatte, genügten nicht als Qualifikation. Doch da sie die Stelle so dringend brauchte, biss sie die Zähne zusammen und lächelte, bis es schmerzte – selbst dann noch, wenn verwöhnte Stammgäste grundlos behaupteten, sie habe bei ihrer Getränkebestellung etwas falsch gemacht. Wenn Nina nach der Arbeit spätnachts erschöpft ins Bett fiel, hatte sie wirre Träume voller verschütteter Cocktails, fallender Teller und einer schier endlosen Reihe schlecht gelaunter, unglaublich reicher Gäste.

Und das war das Schwierigste für Nina Petrelle, denn früher einmal hatte sie selbst zu den Reichen und Schönen gehört: Sie hatte gekühlte Cocktails getrunken und sich außer über ihre kunstvolle Sonnenbräune, ihre makellos manikürten künstlichen Nägel und ihren überquellenden Kleiderschrank kaum über irgendetwas Gedanken gemacht. Jetzt, da sie die Dinge von der anderen Seite erlebte, fand Nina dieses Leben im Überfluss geradezu abstoßend. Am liebsten hätte sie die abgehobenen millionenschweren Gäste kräftig geschüttelt und ihnen gezeigt, dass es da draußen echte Menschen gab, die kein einfaches Leben hatten.

Doch außer Empörung verspürte Nina auch noch etwas anderes, das ihre Wangen vor Scham erröten ließ: Neid.

Ja, insgeheim sehnte sie sich danach, ihre Uniform in die Ecke zu werfen und die müden Beine in einem Liegestuhl in der Sonne auszuruhen. Nur zu gern wäre sie für einen oder zwei Tage in ihr früheres sorgenfreies Leben voller Dekadenz zurückgekehrt. Dieser Wunsch, wieder ein Society-Sternchen zu sein, hatte Nina überrascht. Denn eigentlich führte sie jetzt ein anderes Leben, in dem für grotesken Luxus kein Platz mehr war.

Das Geräusch einer riesigen Welle, die an den Strand schlug, rief Nina ihre beängstigende Situation wieder in Erinnerung. Sie rief um Hilfe, da mit der kommenden Flut immer mehr Wasser den Strand überspülte. Doch wer sollte sie schon hören?

Um sich von ihren Sorgen abzulenken, war Nina nachmittags durch den feinen weichen Pudersand am Strand zur unbewohnten Südspitze der Insel spaziert. Sie hatte einen Baumstamm erreicht, der sich über die gesamte Breite des Strandes erstreckte. Als sie ihn überqueren wollte, war sie hinaufgestiegen und dann mit dem Fuß in verrottendes Holz eingebrochen. Dabei hatte sie das Gleichgewicht verloren und war nach hinten gestürzt, wo sie sich den Kopf an etwas sehr Hartem gestoßen hatte und bewusstlos geworden war.

Nina fiel wieder ein, dass sie einen Moment vor ihrem Sturz einen Engel auf den Klippen gesehen hatte, strahlend vor dem aufgewühlten Himmel – ein Anblick, bei dem ihr Herz wild geschlagen hatte und gleichzeitig fast geschmolzen war.

Sie stützte die Ellenbogen auf und drückte sich mühsam ein wenig hoch. Tropischer Sonnenschein fiel durch die dunklen Wolken auf die Felsen, doch ein Engel war dort nicht zu sehen.

Wirklich schade. Der Engel, dessen Bild sie so deutlich vor ihrem inneren Auge sah, hatte tiefschwarzes Haar und eine Figur wie ein American-Football-Spieler … Und trotz der großen Entfernung war sie sicher gewesen, dass er äußerst markante Gesichtszüge, einen sonnengebräunten nackten Oberkörper und eisblaue Augen hatte. Seine selbstbewusste Haltung hatte nicht nur Macht ausgedrückt, sondern noch etwas anderes … Schicksal vielleicht?

Und warum nur war dieser „Engel“ mit einem so unglaublich starken Sex-Appeal gesegnet? Noch nie hatte Nina so etwas gespürt – und auch noch nie einen so schönen Menschen mit einer solchen Ausstrahlung gesehen.

Bevor ihr schwarz vor Augen geworden war, hatte Nina das Gefühl, ihre Blicke würden einander begegnen und eine Botschaft wäre vom einen zum anderen gesandt worden. Der Engel beruhigte sie: Sie solle sich keine Sorgen machen – er wisse Bescheid und werde sie beschützen.

Nina lachte leicht hysterisch. Das war doch einfach verrückt – aber gleichzeitig sehr passend, denn in den vergangenen Wochen hatte sie dringend einen Schutzengel gebraucht. Und jetzt, als eine weitere mächtige Welle auf den Strand rollte, brauchte sie ihn mehr denn je.

Diesmal drang das Wasser noch weiter auf den Strand vor. Als es sich wieder zurückzog, versuchte Nina ihren eingeklemmten Knöchel zu bewegen. Splitter bohrten sich ihr in die Haut, und sie biss sich vor Schmerz auf die Lippe. Sie setzte sich und versuchte, den Fuß herauszuziehen, doch er saß fest. Nina ließ sich zurücksinken und barg verzweifelt das Gesicht in den Händen.

Vor dem Tod ihres Vaters war ihr Bruder unter tragischen Umständen ums Leben gekommen, sodass Nina außer ihrer Mutter, ihrer Schwester Jill und ihrem Neffen Codie keine Angehörigen mehr hatte. Sie hätte alles dafür gegeben, sich befreien und zu ihnen nach Hause fahren zu können.

Als die nächste Welle an den Strand rollte, konnte Nina gerade noch das Kinn über Wasser halten. Obwohl es ihr normalerweise widerstrebte, Hilfe anzunehmen, wäre sie jetzt unendlich dankbar dafür gewesen. Sie wartete ab, bis der an Lachen erinnernde Gesang eines Kookaburra verstummte. Dann atmete sie so tief ein, wie sie konnte, und rief um Hilfe.

Lange bevor Gabriel Steele aus weiter Ferne den Hilferuf hörte, waren ihm drei Dinge sehr bewusst.

Erstens, dass das Peitschen der unzähligen Zweige, während er den Hang hinuntereilte, sich äußerst schmerzhaft anfühlte. Zweitens, dass seine neuen Outdoor-Laufschuhe in einer solchen Situation Gold wert waren. Und drittens, dass die Zeit knapp wurde.

Mit vor Anstrengung heftig schlagendem Herzen eilte er weiter den Hang hinunter, den Blick aufmerksam auf seinen Weg gerichtet. Denn mit gebrochenem Bein oder Genick würde er der Frau nicht helfen können. Warum, um alles in der Welt, war sie überhaupt so weit weg von der Ferienanlage?

Er hatte oben auf den Klippen gestanden, als er auf sie aufmerksam wurde. Dann hatte Gabriel gesehen, wie sie mit dem Fuß in den Baumstamm eingebrochen...