Todeshaff - Ein Ostsee-Krimi

von: Katharina Peters

Aufbau Verlag, 2017

ISBN: 9783841213129 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Todeshaff - Ein Ostsee-Krimi


 

1


Der Mann wirkte entschlossen und unnahbar, fast ein wenig finster. Der Blick seiner grauen Augen richtete sich in die Ferne – abwesend und aggressiv zugleich. Er trug das Haar raspelkurz, das Kinn war kräftig wie seine gesamte Statur. Sein Alter war schwer zu schätzen.

»Christoph Klausen ist fünfzig und hat bis vor kurzem zehn Jahre wegen Totschlags gesessen«, führte Johanna mit Blick in die Runde aus und griff nach ihrer Kaffeetasse. »Die Aufnahmen sind relativ aktuell«, erläuterte sie weiter und ließ eine Reihe Fotos über den Wandmonitor laufen.

Es war früh am Morgen, der Nebel hatte sich nur zögerlich aufgelöst, als Emma von Wismar zur Besprechung in die Detektei nach Rostock gefahren war. Wenn sie Johanna am Telefon richtig verstanden hatte, gab es einen neuen BKA-Auftrag. Und warum guckst du so brummig, Kollegin, dachte Emma und gönnte sich ein kleines Lächeln. Das sind doch ausgesprochen gute Nachrichten.

Als ehemalige LKA-Beamtin hatte Emma sich vor einigen Monaten dazu überreden lassen, unter neuer Identität als Wismarer Privatermittlerin zu arbeiten, gemeinsam mit BKA-Kommissarin Johanna Krass und mit Unterstützung einer Rostocker Detektei, die von Florian Kirch und Jens Bormer geführt wurde. Als es darum ging, Jagd auf den Menschenhändler Bruno Teith und seine Organisation zu machen, hätte sie kaum zu träumen gewagt, dass die Zusammenarbeit tatsächlich gelingen würde. Bevor sie in jenem Einsatz mit Teith zu tun hatte, hatte sie sich zwei Jahre vor dem Mann versteckt, der sie in ihrer Vergangenheit eine Nacht lang in seiner Gewalt hatte und dem es beinahe gelungen war, sie zu zerstören.

Sie spürte, dass Florian sie vom anderen Ende des Tisches ansah und blickte auf, tauchte für einen Moment in die Tiefe seiner dunklen und warm schimmernden Augen. Seine Lippen formten einen zarten Kuss und in seinem Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Das ist wohl das eigentliche Wunder dieses Sommers, dachte Emma. Ich vertraue wieder einem Mann, auch wenn mich die alte Angst manchmal packt, im Traum überfällt oder unvermutet aus dem Nichts anspringt – diese Furcht wirkt jetzt fast klein und mickrig … Groß ist dagegen mein Begehren, meine Sehnsucht, meine Lust.

»Klausen stammt aus Schwerin, war Berufssoldat, zunächst bei der NVA und später bei der Bundeswehr, und wir sollen ihn im Auge behalten«, drang Johannas Stimme plötzlich wieder an Emmas Ohr.

»Was hat er denn angestellt?«, fragte Florian.

»Er ist in das Haus von Michael Krüger eingedrungen, einem bayerischen Fachhochschullehrer, seinerzeit einundsechzig Jahre alt, und wurde von dem Mann überrascht. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der Klausen Krüger so schwer verletzte, dass er einige Zeit später starb. Klausen konnte zunächst entkommen, wurde jedoch ein paar Tage später gefasst.«

»Totschlag also.«

»Ja.«

Emma überlegte, warum Krass’ Stimme derart gelangweilt klang. »Was wollte er von dem Typen?«, ergriff sie das Wort.

»Das ist der springende Punkt.«

»Und?«

»Das weiß niemand, bis heute nicht, zumindest gibt es nichts Offizielles zu seinem Motiv.« Johanna hob kurz die Hände. »Klausen verweigerte jede Aussage, ein Tatmotiv ließ sich nicht herleiten, und was Krüger noch schwer verletzt dazu beitragen konnte, war auch herzlich wenig. Die einzige Parallele zwischen den beiden ergibt sich aus der Tatsache, dass Krüger auch aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, doch der Aspekt brachte keine weiterführenden Erkenntnisse. Die beiden sind sich – angeblich – nie zuvor begegnet.«

Emma runzelte die Stirn. »Und weiter?«

Johanna warf Jens einen auffordernden Blick zu. »Gibt es noch Kaffee?«

Der blonde, meist gutgelaunte Hüne mit den freundlichen Augen, der sich ganz hervorragend darauf verstand, säumige Schuldner aufzutreiben und zum Begleichen ihrer offenen Rechnungen zu bewegen, wandte sich rasch zum Sideboard um und griff nach der Kanne. »Klar doch.«

»Johanna – wie viele Liter trinkst du eigentlich am Tag von dem Zeug?«, warf Emma ein.

»Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle mehr in meinem Alter.«

»Ach komm …«

»Danke für die Blumen, aber ich war schon eine ganze Weile auf der Welt, als die Mauer gebaut wurde.«

»Die chinesische?«

Immerhin: Die Kollegin grinste.

»Na schön. Also was steckt deiner Ansicht nach hinter diesem Auftrag?«

»Das BKA geht davon aus, dass Klausen – immerhin ein Exsoldat – seinerzeit im Auftrag handelte. Sie erwarten, dass die Hintermänner sich früher oder später mit ihm in Verbindung setzen werden und wollen mehr dazu wissen.«

Emma ließ sich in die Lehne zurückfallen. »Ein Auftragsmord an einem bayerischen Lehrer? Du liebe Güte, was hat er angestellt? Und warum sollten diese Hintermänner nach all den Jahren Kontakt zu Klausen aufnehmen, und zwar so, dass Außenstehende davon etwas mitbekommen?«

»Gute Frage. Keine Ahnung.«

»Sie sagen uns nicht einmal ansatzweise, worum es geht, stimmt’s?« Florian verschränkte die Arme vor der Brust.

»Davon gehe ich aus.« Johanna nickte. »Es geht wahrscheinlich um eine von diesen unerfreulichen und häufig genug auch unappetitlichen Nachwendegeschichten, bei denen alle möglichen Leute und Dienste genügend Dreck am Stecken haben dürften – den sie bis heute nicht losgeworden sind und der plötzlich wieder anfangen könnte zu stinken. So was in der Art vermute ich. Darum strecken sie ihre Fühler auch über eine externe Ermittlungsgruppe aus. Wir sind unauffällig und effizient. Das haben wir unter Beweis gestellt.«

»Und auf all das hast du keine Lust?«

»Merkt man das etwa?«

Emma blies die Wangen auf. »Ein bisschen. Um ehrlich zu sein, klingst du, als würde dich das Ganze ziemlich anöden, um keine härteren Ausdrücke zu verwenden.«

Johanna winkte ab. »Observierungsjobs haben mich noch nie vom Hocker gerissen, und alte Nachwendegeschichten – sorry – kotzen mich an.«

»Immerhin scheint man unsere Arbeit zu schätzen.«

Johanna lächelte ironisch.

»Oder etwa nicht?«

»Doch, doch.« Johanna nickte langsam. »Sie wollen unbedingt, dass wir weitermachen – und zwar genau in dieser Konstellation: Auf der einen Seite Rostock mit Florian und Jens, die darüber hinaus ihren ganz normalen Detekteibetrieb aufrechterhalten sollen, und auf der anderen Seite deine Außenstelle Wismar, unterstützt durch meine Wenigkeit. Das BKA will sich diesbezüglich auch noch mal persönlich an dich wenden, wenn ich das richtig verstanden habe.«

Emma stutzte. »Warum? Du bist hier unsere BKA-Frau und …«

»Eine von vielen, die zudem noch nicht mal großartig was zu sagen hat.« Johanna räusperte sich. »Kurzum, sie möchten, dass du hinter deiner Deckung als Emma Klar in Wismar bleibst, bis auf weiteres, und nicht etwa als Josefine Emma Rupert ins LKA nach Dresden zurückkehrst. Das wäre ja durchaus möglich – jetzt, da die entscheidenden Leute geschnappt sind, das dreckige Nest nach und nach ausgehoben wird und Dutzende von Akten abgearbeitet werden können.«

Ich will nicht zurück, dachte Emma. Nicht heute, nicht morgen. Dresden kann warten. »Schauen wir uns den Knaben doch mal genauer an«, schlug sie vor. »Vielleicht ist der Job in einer Woche ohne großes Getöse erledigt, ohne dass sich auch nur eine deiner Befürchtungen bestätigt hat.«

Johanna warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Würdest du darauf wetten?«

»Nicht unbedingt.«

Das Gespräch mit Magdalena Grimich lag wenige Tage zurück. Johanna war mit gemischten Gefühlen nach Berlin gefahren. Der Job in Wismar und Rostock war erledigt, und so überaus befriedigend das Ganze auch verlaufen war, machte Johanna sich doch keine Illusionen darüber, dass das BKA auf persönliche Vorlieben Rücksicht nehmen oder gar Karrierewünsche in den Vordergrund stellen würde, sondern ganz sachlich und kühl abwägte, ob und wie es mit der Außenstelle Ostsee weitergehen sollte, wie das Team intern genannt wurde. Dabei gab es nur zwei Möglichkeiten: Emma und Johanna kehrten in ihre jeweiligen Dienststellen zurück, unter Umständen war eine kleine Beförderung vorgesehen oder auch eine Wunschversetzung, die sie dankend annehmen würden, und die Rostocker Detektei konzentrierte sich wieder zu hundert Prozent auf ihr Alltagsgeschäft. Oder das BKA fand eine weitere Verwendung für das gut eingespielte Quartett. Die Idee gefiel Johanna nicht, was weder etwas mit der Ostsee noch mit Emma in Wismar und den Rostocker Privatermittlern zu tun hatte.

Als Grimich ihr dann noch einmal nahezu überschwänglich zum Ermittlungserfolg gratulierte, schwante Johanna, dass die Entscheidung längst gefallen war – ein neuer Auftrag und eine wunderbare Gelegenheit für ihre Vorgesetzte, Johanna weiterhin auf einem Abstellgleis weitab vom BKA zu parken, gerne bis zum Erreichen des Pensionsalters oder auch hundert Jahre darüber hinaus. Viele nervige Fliegen mit einer Klappe.

Grimich begann ohne großartige Einleitung keine Minute später, über den Klausen-Fall zu referieren, der so wenig hergab, dass selbst gutgläubige Frohnaturen und Grimich-Anhänger, die es im BKA ja auch vereinzelt geben sollte, skeptisch geworden wären. »Vier Leute sollen einen Exhäftling im Auge behalten, weil der vor zehn Jahren nichts zu seinen Beweggründen ausgesagt hat und auch ansonsten eher ein schweigsamer Zeitgenosse ist?«, fragte...