Hedwig Courths-Mahler - Folge 133 - Es gibt ein Glück

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732521647 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 1,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Hedwig Courths-Mahler - Folge 133 - Es gibt ein Glück


 

Jetzt müssen wir aber hineingehen, Rosemarie. Ich habe noch zu arbeiten.“

„So geh nur allein, Heinz! Es ist noch so schön sonnig und warm. Lass mich noch eine Weile im Freien bleiben.“

„Aber dann setze dich hier im Sonnenschein auf die Bank. Du darfst dich nicht erkälten.“

Ein unbehaglicher, trüber Ausdruck flog über Rosemaries Gesicht. „Ja, doch – ich weiß schon, Heinz. Quäle du mich nicht auch noch mit solchen Vorsichtsmaßregeln. Es ist so schrecklich, dass ich immer an Schonung denken muss. Und deine Mutter predigt sie mir von früh bis spät. Ich möchte am liebsten nichts mehr von Schonung hören, möchte mich viel lieber ganz unvernünftig austollen, bis ich todmüde bin“, sagte sie aufseufzend.

„Aber Rosemarie! Das würde dir schlecht bekommen, das weißt du doch“, erwiderte Heinz mitleidig.

Rosemarie seufzte wieder tief und schwer. „Ja, ja, ich weiß es“, sagte sie fast ungeduldig. „Tante Herta lässt es ja nie an Ermahnungen fehlen. Ach, Heinz, es ist schlimm, wenn man kränklich ist, kränklich und hässlich. Das ist eine garstige Mischung, nicht wahr? Aber sie passt zusammen.“

Heinz sah seine Kusine einen Moment nachdenklich an. Er wollte etwas erwidern, zögerte aber unbeholfen.

Aber schließlich sagte er doch energisch: „Ach, weißt du, hässlich kann ich dich nun wirklich nicht finden. Nein, ganz gewiss nicht.“

Rosemaries Lippen umspielte ein seltsam müdes, schattenhaftes Lächeln, das dem jungen Gesicht einen unfrohen, resignierten Ausdruck gab.

„Man gewöhnt sich eben an alles, Heinz, auch an die Hässlichkeit. Deshalb fällt es dir kaum noch auf, dass ich hässlich bin. Du hast mich in meiner ganzen Herrlichkeit neben dir aufwachsen sehen. Mir fällt es ja selbst nicht mehr auf oder viel mehr, es ist mir nie zum Bewusstsein gekommen, bis mich Tante Herta schonend darauf aufmerksam machte. Deine Mutter wird es dir jederzeit bestätigen. Sie sagt, ich soll mir nichts daraus machen, und sie versichert mir, dass ihr mich trotzdem lieb habt, alle beide. Es würde mich auch wenig bedrücken, wenn ich nur gesund wäre wie andere Menschen. Eigentlich fühle ich mich gar nicht krank. Aber Tante Herta prägt es mir immer wieder ein, dass ich es nur ja nicht vergesse.“

Heinz schob den leichten Hut weit aus der Stirn, als sei es ihm zu heiß geworden. „Mama meint es gut, Rosemarie, sie sorgt sich so sehr, dass du dich überanstrengst. Aber ich meine, sie sollte es dir nicht zu oft sagen, es wäre besser, du könntest es zuweilen vergessen. Na – und hässlich bist du nun wirklich und wahrhaftig nicht, mir gefällst du sogar sehr gut“, schloss er mitleidig.

Wieder huschte das unfrohe Lächeln um ihren Mund. „Lass nur, Heinz! Kränklich und hässlich ist eins. Nur gesunde Menschen sind schön. Das sagt Tante Herta auch. Nun, alle Menschen können nicht gesund und schön sein, es muss auch kranke und hässliche geben, sonst merkt man den Unterschied nicht.“

Es lag etwas wie Bitterkeit in diesen Worten. Heinz reckte sich unbehaglich in den Schultern. „Sei nur nicht traurig, Rosemarie! Wenn ich dich nur so recht wirksam trösten könnte. Aber mir fällt nichts ein. Was dir Mama immer zum Trost sagt, dass ein gutes, edles Herz mehr wert ist als alle Äußerlichkeiten, selbst wertvoller als die Gesundheit, das kann ich nicht unterschreiben. Gut und edel ist man für andere, gesund aber für sich selbst. Weißt du, ich an Mamas Stelle hätte dir gar nichts davon gesagt, dass du ein inneres Leiden hast. Dazu wäre es noch immer Zeit, wenn du selbst etwas davon gemerkt hättest. Vorläufig fühlst du ja Gott sei Dank noch nichts davon, und Onkel Steinau sagt, es sei überhaupt fraglich, ob es zum Ausbruch käme. Er glaubt es nicht. Aber wenn auch – du hättest dann doch wenigstens einige frohe, sorglose Jahre gehabt, hättest dich bis jetzt wenigstens deines Lebens freuen und dich für gesund halten können.“

Rosemaries Augen leuchteten auf, und ein leises Rot stieg in ihr Gesicht, das zart, aber nicht kränklich aussah. „O ja, das wäre schön gewesen – wunderschön! Nur ein einziges Mal möchte ich wissen, wie es ist, wenn man nicht auf seine Gesundheit zu achten braucht. Ich fühle mich doch ganz frisch und kräftig. Aber ich darf nur einmal etwas tun, das ich gerne mag, dann ist Tante Herta gleich so furchtbar ängstlich und verbietet es mir. Sie ist wirklich zu sehr besorgt um mich, und dass sie mich das so merken lässt, bedrückt mich sehr. Oft ist eine ganz brennende Sehnsucht in mir, alle ihre Ermahnungen in den Wind zu schlagen und wie irrsinnig herumzutollen – meinetwegen, bis ich tot umfalle. Dann wäre es doch mit einem Mal aus und vorbei.“

„Aber Rosemarie, liebe Rosemarie! Sei doch nicht so betrübt! Es tut mir so Leid, dass ich dir nicht helfen kann. Weißt du, ein bisschen mehr Freiheit könnte dir Mama schon gewähren, das denke ich manchmal auch und habe es Mama auch schon gesagt. Aber sie will nicht hören, dass ich davon spreche. Gleich wird sie ängstlich und nervös und läuft mir davon, ohne zu antworten. Sie hat dich eben zu lieb und sorgt sich namenlos um dich. Onkel Steinau sagt auch, du bist ihr ein anvertrautes Gut, und dein Wohlergehen ist ihre vornehmste Sorge.“

Rosemarie zeichnete mit ihrem Schirm rätselhafte Runen in den Kies, mit dem die Wege im Park bestreut waren. „Ich weiß es, Heinz, dass ich Tante Herta viel Dank schuldig bin, und es ist nicht recht von mir, dass ich mich gegen ihre Fürsorge auflehne. Aber du glaubst nicht, wie ich mich nach ein bisschen Freiheit sehne. Manchmal komme ich mir vor wie in einem Kloster oder in einem Gefängnis.“

Heinz rüttelte sie gutmütig an den Schultern. „Du törichte Rosemarie – du bist doch die Herrin von Waldeck! Und ich meine, dieser schöne, große Park hat so gar nichts von einem Gefängnis an sich.“

Rosemarie seufzte und zeigte nach der Parkmauer hinüber. „Aber da sind die Klostermauern – sie umgrenzen meine enge Welt.“

„Nun – und lässt du sie nicht oft hinter dir, wenn wir zum Beispiel nach Steinau fahren?“

Sie drückte lächelnd seine Hand. „Du bist ein guter Junge, Heinz, und wirst nie müde, mich zu trösten. Dabei bist du doch drei Jahre jünger als ich.“

Er lachte, froh, dass sie getröstet schien. „Dafür bin ich ein Mann, Rosemarie. Aber nun muss ich an meine Arbeit gehen. Pflicht geht vor Vergnügen. Also adieu für den Augenblick, Rosemarie!“

„Adieu, Heinz!“

Die junge Dame setzte sich aufseufzend auf die Bank im Sonnenschein und sah ihrem Vetter nach. Der schritt schnell dem Haus zu und winkte noch einmal zurück.

Nach einer Weile nahm Rosemarie Hut und Schirm, hing beides an den Arm und ging mit schnellen, elastischen Schritten, die durchaus nichts von Kränklichkeit verrieten, tiefer in den wunderschönen alten Park hinein.

Sie verhielt erst ihre Schritte, als sie bis zu der hohen steinernen Parkmauer gelangt war. Dicht neben dieser stand ein alter, breitästiger Lindenbaum. Um den dicken Stamm war eine Art Wendeltreppe aus Holz befestigt, so dass man bequem in die weit ausladende Baumkrone gelangen konnte. Zwischen zwei starken Asten war da oben ein hölzerner Sitz befestigt.

Das war Rosemaries Lieblingsplatz. Schnell und behänd stieg sie die etwas unbequeme Treppe zu dem luftigen Bau empor. Sie verschwand vollständig zwischen den frischgrünen Blättern der Linde.

Mit einem Aufatmen ließ sie sich oben nieder und lehnte sich an den Stamm der Linde. Von hier aus konnte sie weit über die Parkmauer hinaussehen, konnte auch ein großes Stück des schmalen Weges übersehen, der draußen vorüberführte.

Sie hatte jetzt einen frohen Ausdruck im Gesicht. Hier oben saß sie immer gern. Schon vor Jahren hatte sie sich dieses Lieblingsplätzchen schaffen lassen – seit dem Tod ihres Vaters.

Aber seit kurzer Zeit hatte dieses Plätzchen noch eine ganz besondere Anziehungskraft für sie gewonnen, gerade um diese Stunden.

Sie sah auch jetzt nach der Uhr. „Noch zehn Minuten bis elf Uhr da muss er bald kommen“, sagte sie leise vor sich hin. Und erwartungsvoll sah sie den Weg entlang.

Aber es regte sich noch nichts, und sie verfiel in eine grüblerische, träumende Stimmung.

Rosemarie von Waldeck war eine Waise und zugleich die Herrin eines schönen großen Besitzes und eines bedeutenden Vermögens. Sie hatte beide Eltern infolge eines Unglücksfalls verloren. Vor ungefähr zehn Jahren hatte sich ihr Vater, als einer der ersten im ganzen Umkreis, ein Automobil angeschafft. Er und seine Gattin huldigten eifrig jedem Sport – und beide sollten zu den ersten Opfern dieses Sports gehören.

Auf einer Ausfahrt versagte die Steuerung, und sie fuhren gegen einen steinernen Brückenpfeiler. Das Gefährt wurde vollständig zertrümmert. Frau Maria von Waldeck wurde als Leiche unter den Trümmern hervorgezogen, und Herr von Waldeck hatte sich eine schwere Rückgratverletzung zugezogen. Er blieb zwar noch vier Jahre am Leben, aber dieses Leben war ein elendes, jammervolles. Hilflos und gelähmt verbrachte er seine Tage in einem Rollstuhl.

Gleich nach dem Tod seiner Gattin hatte Ernst von Waldeck seine Schwägerin, die Schwester seiner Frau gebeten, nach Waldeck zu kommen und sich des Haushalts und der Wirtschaft anzunehmen. Herta von Ribnitz war die Witwe eines Offiziers, der, nachdem er das Vermögen seiner Frau durchgebracht und sich in allerlei galante Abenteuer verstrickt hatte, im Duell erschossen worden war. Ein Kamerad hatte ihn als Rächer seiner Ehre gefordert.

Herta von Ribnitz und ihr Sohn waren...