Kirschblüten und rote Bohnen - Roman

von: Durian Sukegawa

DuMont Buchverlag , 2016

ISBN: 9783832189099 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Kirschblüten und rote Bohnen - Roman


 

8

Die Bohnenpaste im Doraharu schmeckte also jetzt völlig anders.

Sentaro überlegte, ob er mit einem Schild darauf hinweisen sollte. Allerdings bestand dann die Gefahr, dass jemand fragte, was denn mit der bisherigen Füllung los gewesen sei, also beschloss er, die Neuerung nicht zu betonen. Dennoch trat an dem Tag, als er die neue Bohnenpaste einführte, eine Veränderung ein. Die stets kichernden Schulmädchen waren auf einmal ungewöhnlich still und sahen überrascht auf. »Warum sind die plötzlich so viel leckerer?«, fragte eine.

»Wir haben bessere Bohnen bekommen«, sagte Sentaro ausweichend, ohne Tokue zu erwähnen.

Auch die Kunden, die Dorayaki zum Mitnehmen kauften, erkundigten sich, ob er den Lieferanten gewechselt habe.

Als Tokue das nächste Mal kam, berichtete Sentaro ihr davon. Sie freute sich und strahlte, wollte jedoch mit keinem Wort gelobt werden.

»Aber der Verkauf ist nicht gestiegen, oder? Loben können Sie mich, wenn ich Ihnen zu mehr Kunden verhelfe.«

»Ich bin froh, wenn überhaupt jemand kommt.«

»Also macht mein An gar keinen so großen Unterschied?«

»So ist die Welt …«

»Auch wieder richtig.«

Tokue stand, den Holzspatel in der Hand, neben Sentaro und betrachtete unverdrossen die Bohnen in der Schüssel.

Tokues Bohnenpaste war jedes Mal erstklassig.

Ihr ganzes Verhalten bei der Arbeit gab Sentaro das Gefühl, dass er sich uneingeschränkt darauf verlassen konnte. Stets widmete sie den Bohnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Jeden Schritt führte sie so geschickt aus, als hätte die Deformation ihrer Hände keinerlei Bedeutung.

Auf Tokues Vorschlag hin, es mit verschiedenen Bohnensorten zu versuchen, bestellte Sentaro zu den Bohnen aus Kanada auch solche aus Amerika und aus Shandong in China. Obwohl Tokue sämtliche Sorten gleichermaßen zu ihrem köstlich aromatischen An verarbeitete, gab es stets einen Unterschied im Geschmack, und auch der Glanz war individuell. Tokue quittierte dies stets mit einem »Interessant, nicht wahr?«.

Durch die Verwendung wechselnder Sorten wurde die Arbeit auch umständlicher. Die Schwierigkeiten waren nicht zu leugnen, aber Sentaro war stets aufs Neue fasziniert vom Kochen der Bohnen. Ob man »sortenreine« Dorayaki verkaufen konnte, wenn je nach Herkunftsland so starke Eigenheiten hervortraten? Oder ob es profitabler wäre, mit Konfekt wie Yokan oder Kintsuba zu handeln, das nur aus roten Bohnen bestand? So vieles ging ihm durch den Kopf.

Jedenfalls steckte er alle seine Kraft in die Arbeit und beschäftigte sich pausenlos mit Neuerungen und unbekannten Produkten. Das hielt er Tag um Tag durch, bis sich natürlich irgendwann körperliche Erschöpfung einstellte. Hinzu kam eine gewisse Gereiztheit gegen sich selbst, weil er sein Verhalten als irgendwie unsinnig empfand.

In Sentaro erwachte das Gefühl, dass es für ihn vielleicht doch noch ein Leben jenseits der roten Bohnen geben konnte, wenn er es nur ernsthaft wollte. Und das war eine ganz neue, belebende Empfindung. Es stand außer Frage, dass er nicht zum Vergnügen im Doraharu arbeitete. Ob der Tag, an dem er sich ganz dem Schreiben widmen würde, einmal kommen würde oder nicht, er musste sich auf alle Fälle von dem Leben hinter der Backplatte verabschieden. Das war sicher.

Ob es an diesem Entschluss lag oder eben einfach so war, aber an den Tagen, an denen Tokue nicht da war und er allein herumprobierte, misslangen ihm die Bohnen unweigerlich. Kaum dachte er, er hätte es ein bisschen raus, roch es auch schon angebrannt. Oder das Ergebnis war ihm entweder zu zäh und klebrig oder zu suppig oder zu trocken.

Aber weil er die Kanister nicht mehr bestellte, streckte er das An, wenn Tokues Vorrat knapp wurde, trotz allem mit seinem eigenen. Und fühlte sich, als er ihr die Mischung zu kosten gab, wie ein Grundschüler bei einer Klassenarbeit.

Tokue stand aufgerichtet da und steckte sich den Löffel mit seinem An in den Mund. Sie schaute in die Luft und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Das Aroma schwimmt ein wenig«, sagte sie, lehnte aber seine Schöpfung nicht rundheraus ab. »Schmeckt interessant«, fügte sie hinzu.

Sie schien sich sogar an der Mischung zu freuen, obwohl sie bei der Zubereitung ihrer eigenen Paste fast absurde Sorgfalt walten ließ.

»Ich sollte es noch mal neu machen«, sagte Sentaro.

»Es schmeckt jedenfalls viel besser als das vom Händler.«

»Im Ernst? Das überrascht mich.«

»Rote Bohnen können sehr robust sein.«

Wenn ihn der Mut verließ, ermunterte Tokue ihn mit ihrem Optimismus. Dafür war Sentaro ihr dankbar, gleichzeitig machte sie es ihm damit auch schwerer.

Wenn sie die Bohnen fertig hatte, war sie immer ziemlich erschöpft. Und obwohl er ihr unzählige Male gesagt hatte, sie solle gehen, bevor die Kundschaft kam, blieb Tokue noch ein oder zwei Stunden in der Küche sitzen, während die Öffnungszeit näher rückte.

Natürlich war das unvermeidlich. Sie war schließlich nicht mehr die Jüngste. Außerdem recht gebrechlich. Es wurde auch an diesem Tag später und später, während Tokue weiter auf ihrem Stuhl in der Küche ausharrte. Mit abwesender Miene und offenem Mund. Sie sei erschöpft. Die Hüfte. Offenbar hatte sie nicht einmal mehr die Kraft, Tee zu trinken, und saß, ihre Schürze auf dem Schoß, regungslos da. Sie schien noch schlechter zu hören als sonst, schaute bei allen möglichen Geräuschen aus der Einkaufsstraße zu Sentaro auf und fragte: »Was ist?« Natürlich konnte Sentaro sie in diesem Zustand nicht nach Hause schicken. Und gleich würden die ersten Kunden kommen. Mist, dachte Sentaro.

Irgendwie war Tokue gewitzt genug, sich hinter den Regalen zu verbergen, machte aber keine Anstalten zu gehen. Und als eine Kundin mit einem Baby vor der Glastür stand, steckte die alte Frau halb den Kopf heraus, wiegte sich hin und her und sagte »Dududu« dabei. Und sobald eine Schar Kinder auftauchte, rief sie laut: »He, Chef, Kundschaft!«

Nun wurde es Sentaro doch zu bunt. »Jetzt gehen Sie aber mal allmählich!«, schimpfte er, worauf Tokue leise durch die Hintertür verschwand.

Es war an einem heißen Hochsommernachmittag.

Mit einem leisen Stöhnen öffnete Sentaro den Gefrierschrank. Die Kunden standen zwar noch nicht Schlange, aber an diesem Tag hatte er fast unentwegt zu tun. Da seine am Morgen angerührte Bohnenpaste zu Ende ging, wollte er etwas zum Auffüllen herausholen. Aber es war nichts mehr da. Ab jetzt konnte er niemanden mehr bedienen. Und das, obwohl die Sonne noch ziemlich hoch am Himmel stand.

Er entschuldigte sich bei den wartenden Kunden und hängte eine Holztafel mit der Aufschrift »Leider ausverkauft« an die Tür. Sie lag zwischen all dem Krimskrams im Regal, den sein Vorgänger zum Spaß gekauft hatte. Soweit Sentaro sich erinnern konnte, war dieses Schild noch nicht ein Mal zum Einsatz gekommen.

Verwundert fragte er sich, ob er zu wenig An vorbereitet hatte, und schaute sich noch einmal den Zettel an, auf dem er die Menge notiert hatte. Sie unterschied sich nicht von der sonstigen.

Hastig überprüfte Sentaro, wie viel er verkauft hatte. Alles in allem dreihundert Stück. Das war ein Rekord.

Er ließ den Rollladen hinunter und trat auf die in die spätnachmittägliche Sonne getauchte Einkaufsstraße. Ausgelaugt und erhitzt, wie er war, führten ihn seine Schritte zu dem Nudellokal, wo er sich einen Schluck genehmigte.

Dies war nicht der Beruf, den er sich gewünscht hatte, und bisher war es sein einziger und größter Wunsch gewesen, möglichst schnell frei zu sein. Doch nun verspürte er ein Erfolgsgefühl, als hätte er einen Pass überwunden. Sentaro empfand Verwirrung. Am liebsten hätte er ein kleines Hurra ausgestoßen, andererseits war es irgendwie kompliziert … Er verstand sich selbst nicht mehr.

Was sollte er jetzt machen?

Immerhin gab ihm der verfrühte Feierabend die Möglichkeit, unverzüglich darüber nachzudenken.

Sentaro überlegte und trank.

Sollte er von nun an immer einfach das Schild aufhängen, wenn es kein An mehr gab? Oder sollte er die Gelegenheit ergreifen und sein Augenmerk auf das Abendgeschäft richten?

Er erwog das Für und Wider.

Würde er mehr verkaufen, würde auch sein Anteil steigen. Er könnte die Summe erhöhen, die er der Witwe zurückzahlte. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch genügend Gründe, das Handtuch zu werfen. Er konnte sich kaum vorstellen, seinem Körper noch mehr abzuverlangen. Von morgens bis abends Dorayaki zu machen war einfach zu viel. So verrannen die Tage in nicht enden wollender Wiederholung.

Aber trotzdem, dachte Sentaro.

Der Tag, an dem er sich von der Hölle der Backplatte befreien konnte, war gewiss nicht mehr fern, wenn er jetzt den ganzen Tag lang dort arbeiten würde. Sollte es dann nicht sein oberstes Ziel sein, wie verrückt zu schuften und Geld zu sparen? Warum hatte Gott ihm sonst diese alte Frau geschickt? Die die besten roten Bohnen für ein lachhaftes Gehalt machte? Wenn das keine Gelegenheit war, was denn sonst?

»Die Zeit ist reif«, murmelte Sentaro benommen. Jetzt musste er konkret über sein weiteres Vorgehen nachdenken.

Die Einkaufsstraße hatte zwar bessere Zeiten gesehen, aber während des Berufsverkehrs am Abend machten viele Leute auf dem Heimweg dort ihre Erledigungen. Konditoreien und Süßwarenläden in der Innenstadt bereiteten sich tagsüber vor und hatten dann vom späten Nachmittag bis in die Nacht hinein geöffnet. Ungewöhnlich viele Büroangestellte bekamen, nachdem sie ein Gläschen getrunken hatten, noch einmal Lust auf etwas Süßes. Da war es doch eindeutig blöd, den Imbiss so früh zu schließen.

Er musste...