Lassiter 2253 - Die Geiseln des Häuptlings

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732517312 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2253 - Die Geiseln des Häuptlings


 

Es war, als hätte er eine Explosion damit ausgelöst.

Mit schmetterndem Krachen flog hinter ihm das Dickicht auseinander.

Eine finstere Gestalt sprang heraus.

Mit einem riesigen Bowiemesser hatte der ganz in Schwarz gekleidete Kerl die Leinwand von der Rückseite her zerfetzt. Das bunte Kulissenbild von Bäumen und Dickicht war laut und prasselnd zerrissen; daher hatte es sich tatsächlich wie eine Explosion angehört.

Und der Mann in Schwarz machte einen Satz auf den Häuptling zu, bevor dieser reagieren konnte.

Jasper Cronin erschrak zu Tode, als er das auf den Kopf gestellte Abbild dessen sah, was sich abspielte. Vor Schreck löste er das Blitzlicht aus. Die Frauen unter den Anwesenden schrien auf, als eine grellweiße Stichflamme aus der Pulverpfanne aufstieg und das ohnehin erleuchtete Studio wie mit taghellem Wetterleuchten ausfüllte.

Jasper Cronin unter seinem schwarzen Tuch wagte nicht, sich zu rühren.

Die meisten in der kleinen Zuschauerschar waren zusammengezuckt und duckten sich unwillkürlich. Sie begriffen nicht sofort, dass es keine wirkliche Explosion war, was sie gehört und gesehen hatten. Die Schockwirkung indessen war die gleiche, als wenn eine Ladung Dynamit hochgegangen wäre.

Die beiden Personen auf der Fotobühne wirkten ebenso eingefroren wie ihre umgedrehte Wiedergabe auf der Mattscheibe der Kamera.

Chief White Raven saß stocksteif auf seinem Prunkstuhl. Sein schmales, ernstes Gesicht war wie versteinert.

Der blanke Stahl des unterarmlangen Bowiemessers veranlasste ihn dazu.

Die rasiermesserscharfe Klinge lag an seiner Kehle und drückte eine dünne, unbedeutend scheinende Furche in die Haut über dem Adamsapfel.

Der Angreifer stand gebückt hinter ihm, sodass der Häuptling ihm als perfekter Schutzschild diente. Nur das leicht gewellte dunkelblonde Haar und der Ansatz der Stirn des Mannes waren hinter dem Kopf des Häuptlings zu sehen.

Genug für Lassiter, um den Attentäter ausschalten zu können.

Der Mann der Brigade Sieben spannte alle Muskeln, machte sich bereit.

Chief White Raven war eine überaus gepflegte Erscheinung. In seiner Festtagskleidung machte der etwa zwanzigjährige Oglala-Lakota in der Tat einen majestätischen Eindruck. Der Fotograf hatte nicht übertrieben. Selbst im Moment der tödlichen Bedrohung blieb die Haltung White Ravens würdevoll.

Unvermittelt schrie der Mann mit dem Messer einen Befehl.

»Alle raus! Los, raus mit euch. Verschwindet – alle!«

Lassiter nutzte den Moment. Blitzartig erreichte seine Rechte den Revolverkolben, umschloss ihn. Aber noch bevor er ziehen konnte, spürte er den kalten Stahl einer Laufmündung im Nacken. Und eine Stimme flüsterte in sein Ohr:

»Lass stecken, oder du bist tot.«

***

Der Flüsterer hatte sich völlig lautlos angeschlichen. Lassiter brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die Studiotür unverschlossen gewesen war, womöglich nur angelehnt. In der allgemeinen Aufregung hatte niemand daran gedacht, die Tür zuzudrücken.

Die Gedanken jagten sich im Kopf des großen Mannes, suchten nach einem Ausweg.

Ein Dutzend Zuschauer drängten sich an der Wand zu beiden Seiten der Tür. Es war ein großer Tag für alle – für den jungen Häuptling in seinem edlen stahlblauen Gewand ebenso wie für den Fotografen und ganz Presho.

Die kleine Stadt im Lyman County, South Dakota, war zum Schauplatz eines Ereignisses geworden, das für die gesamten Vereinigten Staaten Bedeutung gewinnen sollte. Es handelte sich um einen jener vielfältigen Schritte auf dem Weg zur Verständigung zwischen Indianern und Weißen, die die Regierung angekündigt hatte.

Das Foto des Häuptlings sollte den Menschen vor Augen führen, dass Indianer nicht zwangsläufig blutrünstige Wilde waren, sondern würdevolle, zivilisierte Menschen. Wenn das Bild vergrößert, nachkoloriert und vervielfältigt war, sollte es in öffentlichen Räumen wie Museen, Theatern und Konzerthallen gezeigt werden, aber auch in Rathäusern, Post oder Telegraph Offices und auf Bahnhöfen.

Nicht zuletzt aber sollte das Bild in der Library of Congress in Washington für die Nachwelt aufbewahrt werden.

Zugleich war der Fototermin der äußere Anlass für Lassiters Anwesenheit in Presho. Seine Aufgabe war es, für einen reibungslosen Ablauf der Dinge zu sorgen und – falls nötig – einzugreifen. Im Übrigen hatte ihn die Brigade Sieben als Beobachter der allgemeinen Lage eingesetzt.

Es war durchgesickert, dass bald große Flächen Indianerland in der Pine Ridge Reservation zum Verkauf stehen würden. Die Profiteure witterten schon jetzt ihre Chance, einen Reibach zu machen, indem sie ihre Bestechungsgelder an den Mann brachten und so die Genehmigung erhielten, riesige Landstücke günstig aufzukaufen.

Wenn den Geschäftemachern niemand auf die Finger klopfte, wurden Heerscharen von ahnungslosen Einwanderern über den Tisch gezogen. Bislang war es in Presho ruhig geblieben, und auch in der nahen Reservation, unter den verschiedenen Stämmen der Lakota Sioux herrschte noch Ruhe.

Kluge Häuptlinge wie White Raven würden allerdings zu den Ersten gehören, die sich gegen die Landverkäufe wehrten, wenn sie denn spruchreif wurden. Noch konnte wohl keiner der Chiefs daran glauben, dass ihnen ein Teil der Reservation weggenommen werden sollte. Andernfalls hätte sich White Raven kaum auf den Weg gemacht, um sein Abbild in Presho auf eine Fotoplatte bannen zu lassen.

Lassiter hatte indessen nicht damit gerechnet, dass aus seinem Einsatz in der kleinen Stadt im Lyman County derart frühzeitig blutiger Ernst wurde.

Und verdammt, mit einer Revolvermündung im Nacken konnte der Einsatz enden, bevor er richtig begonnen hatte.

Und Zeit zum Überlegen gab es auch nicht.

Nach einem Augenblick lähmenden Entsetzens unter den Zuschauern handelte der Schwarzgekleidete als Erster.

Mit der freien Hand schlug er White Raven den Bogen und die Pfeile weg, die er dekorativ auf dem Schoß gehalten hatte. Dann packte er den Chief am Oberarm und zog ihn zwischen den Stuhllehnen heraus und rückwärts in das fetzengerandete Loch in der Kulisse.

White Raven wagte nicht, sich zu wehren. Die Klinge an seiner Kehle ruhte wie unverrückbar im schraubstockartigen Griff seines Bezwingers.

Und Lassiter war zum Nichtstun verurteilt.

So sah es aus.

Der Kerl hinter ihm fühlte sich jedenfalls überlegen. Denn er schien überzeugt zu sein, dass er die Situation zusammen mit seinem Komplizen auf der Fotobühne hundertprozentig im Griff hatte. Aus seinem erneuten Flüstern war dieses Überlegenheitsgefühl deutlich herauszuhören.

»Aus der Traum, Freundchen. Jetzt ist Schluss mit dem Rothäute-Verstehen.«

Von diesem Irrtum befreite Lassiter den Bastard, noch während er sprach.

Er führte ihm vor Augen, dass es nachlässig war, ihn nicht festzuhalten, sondern zu glauben, dass die Mündung im Nacken ausreichte, um ihn in Schach zu halten.

Der große Mann beging indessen nicht den Fehler, sich senkrecht absacken zu lassen. Vielmehr warf er sich nach vorn. Damit war er schneller. Es hatte lediglich den Nachteil, dass er das Sengen der Kugel spürte, als er sich mit seiner ganzen Muskelkraft abwärts katapultierte.

Wie ein Peitschenhieb fuhr das Blei durch seinen Haaransatz am Hinterkopf. Doch der Schlag eines harten Treffers blieb aus. Es war nicht einmal ein Streifschuss. Das Geschoss prallte drei Yard entfernt auf den Eisenkübel einer Zimmerpalme, erzeugte ein kurzes Querschläger-Heulen und klatschte dann in den Wandputz, wo es steckenblieb.

In das Krachen des Schusses mischten sich die Angstschreie der anwesenden Frauen. Die Männer – Bürgermeister und weitere Ehrengäste – brüllten sich Befehle zu.

»Volle Deckung!«

»Rettet die Frauen!«

»Schlagt ein Fenster ein!«

»Keiner verlässt den Raum!«

Wüstes Stimmengewirr entstand.

Stumm und ohne einen Blick zu wechseln, lösten sich zwei hünenhafte Männer aus der aufgeregten Menschenschar. Sie trugen dunkelgraue Straßenanzüge und schienen unbewaffnet zu sein. Von den übrigen Anwesenden unterschieden sie sich nur durch ihren Kopfputz – das gescheitelte und straff zurückgebundene jettschwarze Haar. Im Nacken war es zusammengebunden und zu einem Zopf geflochten.

White Ravens Leibwächter.

Scheinbar ohne Eile steuerten sie auf das Loch in der Kulisse zu. In Wahrheit aber waren ihre Bewegungen zielstrebig und entschlossen. Jede ihrer Muskelfasern vibrierte vor Anspannung. Sie hatten den Anschlag auf White Raven nicht verhindern können. Nun aber würden sie alles tun, um ihn zu retten – mit dem Einsatz ihres eigenen Lebens.

Lassiter bemerkte das Geschehen aus den Augenwinkeln heraus – nur wie ein Vorüberhuschen. Er hatte keine Chance, die Begleiter des Häuptlings zu stoppen. Ohnehin beteiligte er sich nicht an dem lautstarken Durcheinander. Vielmehr rollte er sich herum, kaum dass er den Fußboden erreicht hatte.

Ein Hieb wie von einem Vorschlaghammer traf die Dielen dort, wo er eben aufgekommen war. Es war die zweite Kugel, die der Flüsterer abgefeuert hatte. Eine dritte durfte es nicht geben.

Lassiter zog seinen Remington im Liegen, noch bevor er auf dem Rücken landete. Im selben Atemzug kam er mit dem Oberkörper halb hoch. Er streckte er die Arme zum Beidhandanschlag vor, fand die Visierlinie nicht minder schnell – und zog durch.

Der Flüsterer versuchte, was er für machbar hielt. Er schwenkte den Lauf...