Palliative Care - Handbuch für Pflege und Begleitung

von: Susanne Kränzle, Ulrike Schmid, Christa Seeger

Springer-Verlag, 2007

ISBN: 9783540723257 , 365 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 22,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Palliative Care - Handbuch für Pflege und Begleitung


 

Kapitel 3 · Wenn nichts mehr zu machen ist – Der Beginn der Therapie ist der Anfang von Palliative Care (S. 14-15)

Susanne Kränzle

In Kürze

Ein Mensch bekommt aufgrund mehr oder weniger stark ausgeprägter Beschwerden eine Diagnose, die sein Leben komplett verändert – es wird ihm mitgeteilt, dass er an einer Erkrankung leidet, die nur geringe Chancen auf Heilung verspricht. Schock, Entsetzen, ein Gefühl des Ausgeliefertseins machen sich breit, Verdrängung und Leugnung setzen ein. »Es muss doch etwas zu machen sein, das kann doch nicht alles gewesen sein, ich habe doch noch so viele Pläne und Aufgaben, ich werde gebraucht, ich will meine Kinder und Enkel aufwachsen sehen, ich wollte doch den Ruhestand genießen, warum gerade ich, ich habe doch niemandem etwas getan...« – die unterschiedlichsten Gedanken und Gefühle versetzen den Betroff enen und die Angehörigen in Panik und Hilfl osigkeit. Schwerwiegende Fragen stellen sich wie die Frage nach Schuld, nach dem Schuldigen, die Frage: wie geht es weiter, wird es eine Möglichkeit der Therapie und Genesung geben, oder steht der Tod bevor – wenn ja, wann und wie qualvoll wird er sein...?

Die meisten Menschen, die wir im palliativen Bereich als Patienten oder Klienten erleben, haben bereits eine längere Zeit der Diagnostik und kurativen Therapie hinter sich. Sie sind durch manchmal beinahe unzählige Zyklen von Chemotherapien oder Bestrahlungen gegangen, sie haben regelmäßig vor Untersuchungen und Stagings gebangt, sie haben einmal bessere und einmal schlechtere Nachrichten erhalten. Es ist erstaunlich und bewundernswert, unter welchen Belastungen Menschen sich ihr Leben einrichten, oft sehr isoliert und sich unverstanden fühlend, mit der ständigen Angst und Bedrohung lebend, die Erkrankung könnte unaufhaltsam fortschreiten, es gäbe neue Hiobsbotschaften.

3.1 Sterbephasen

Nach vielen Begegnungen und Gesprächen mit Sterbenden und jahrelanger Forschungsarbeit definierte eine der wohl bekanntesten Sterbeforscherinnen unserer Zeit, die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross († 2004), die folgenden Phasen des psychischen Erlebens als regelmäßig bei schwer Kranken und Sterbenden zu beobachten. Kübler- Ross bemerkte weiter, dass die Phasen nicht in dieser Abfolge und nicht abschließend erlebt werden, sondern sich immer neu und unsortiert wiederholen können.

Phase 1: Schock und Verleugnung

Der Betroffene kann die schwerwiegende Diagnose nicht glauben. Geschockt glaubt er an eine Fehldiagnose, Verwechslung der Befunde, fordert neue Untersuchungen, beschuldigt die behandelnden Ärzte der Unfähigkeit. Oft werden Verordnungen nicht eingehalten, da sie nach Einschätzung des Patienten auf einer »falschen« Grundlage erstellt sind. Die Verleugnung mildert den Schock. So gewinnt der Kranke Zeit, sich zunächst unbewusst und nur teilweise – soweit er es ertragen kann – bewusst mit der Mitteilung auseinanderzusetzen.

Tipps

Was können Sie als Begleitende tun? Begleitende können in dieser Phase nicht sehr viel mehr tun als geduldig zu sein, abzuwarten, nicht zu widersprechen. Sie sollten Gesprächsbereitschaft signalisieren, auf keinen Fall aber versuchen wollen, dem Erkrankten »die Fakten nahe zu bringen« mit der Absicht, er solle die verbleibende Zeit noch nutzen können o. Ä.

Phase 2: Emotionsphase

Hat der Betroffene die tödliche Krankheit als solche anerkannt, wird er zornig und reagiert neiderfüllt auf die anderen, die leben dürfen ( »Warum gerade ich?«). Es kommt zu einer Flut negativ getönter Emotionen, die den Sterbenden mit sich fortreißen können. Dies äußert sich dann oft Unzufriedenheit mit dem Essen, dem Zimmer, den Mitpatienten, dem Pflegeteam und den Ärzten, in Sonderwünschen, aber auch in heftigen Streitigkeiten mit der Familie und aggressiven Beschuldigungen.

Tipps

Was können Sie als Begleitende tun? Begleitende sollten die »Ausbrüche«, die »Verstimmtheit« des Kranken nicht persönlich nehmen, sie sollten sich verständnisvoll zuwenden, zuhören, das Gehörte nicht bewerten. Ebenso ist diese Phase eine gute Möglichkeit, persönliche Zugewandtheit einerseits und Abgrenzung andererseits zu üben.

Phase 3: Verhandlungsphase

In dieser – meist kurzen – Phase wird der bevorstehende Tod als unvermeidbar anerkannt. Weiteres Verdrängen oder Ausweichen ist nicht mehr möglich. Der Sterbende versucht durch Verhandeln einen Aufschub, also mehr Lebenszeit, zu erreichen. Dazu gehört es, zu feilschen mit den Ärzten (z. um andere Therapien) und mit dem Team (Versprechen, sich anzupassen, an Therapien teilzunehmen).

Durch die Bereitwilligkeit, einen hilfreichen Einsatz zu bringen, wird ein einstmals »schwieriger« Sterbender manchmal zu einem »zahmen«, pflegeleichten Patienten. Auch das Schicksal oder Gott werden zu (Handels-)Partnern im Kampf des Sterbenden um eine längere Lebenszeit. Gelübde werden geleistet, Verpflichtungen abgelegt. Dem Inhalt solcher Versprechungen liegen oft Schuldgefühle zugrunde: Der Sterbende gelobt, etwas zu tun, was er als wichtig oder als viel versprechend erkannt, aber noch nicht geleistet hat.