Hedwig Courths-Mahler - Folge 081 - Verkaufte Seelen

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732503230 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 081 - Verkaufte Seelen


 

Rose Rietberg war ein zwölfjähriges Mädchen, als ihr Vater starb, ihre Mutter hatte sie schon zwei Jahre früher verloren. Die Mutter war bei der Geburt eines Sohnes gestorben, den sie nach dreizehnjähriger Ehe ihrem Gatten schenkte, und der kleine Sohn folgte ihr am nächsten Morgen in die Ewigkeit!

Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau, genau an dem Tag, da sie ihm den Sohn geschenkt hatte, erlitt Albert Rietberg auf dem Weg zur Universität, wo er als Professor wirkte, einen schweren Autounfall. Er war Professor der Philologie, ein bekannter Sprachforscher, der vor seiner Verheiratung viele Länder bereist hatte und als ein Sprachgenie galt.

Der schwere Unfall, der ihn traf, brachte ihm den Tod. Es blieb ihm nur noch Zeit, sein Testament zu machen, in dem er seine Tochter zur Universalerbin seines beträchtlichen Vermögens einsetzte, und zu bestimmen, dass sein Vetter Herbert Rietberg, der einzige männliche Verwandte, den er noch besaß, Roses Vormund werden sollte. Dieser Vetter, schnell herbeigerufen, versprach ihm, seine Tochter treu zu behüten. Albert Rietberg traf noch einige Bestimmungen für Roses ferneres Leben. Er kannte seinen Vetter nicht sehr genau, hielt ihn aber für einen Ehrenmann, der zwar nicht mit Glücksgütern gesegnet war, sich aber in einer guten Stellung befand und in gesicherten Verhältnissen lebte. Und da er sein einziger Verwandter war, hielt er ihn am geeignetsten, Roses Vormund zu werden.

Der Vetter ihres Vaters brachte Rose zu seiner Frau. Diese nahm sie erst mit wenig Freude auf und schalt ihren Mann, dass er sich eine solche Last hatte aufbürden lassen. Rose hörte das, und es traf wie ein Dolchstich ihr armes, zuckendes Herz. Der Onkel übergab sie einer Dienerin und führte seine Frau in ein anderes Zimmer. Hier hatten die Gatten eine lange Unterhaltung, und als sie wieder zum Vorschein kamen, war die Tante völlig verändert. Sie kam Rose jetzt plötzlich mit einer überschwänglichen Freundlichkeit entgegen, aber das sensitive Kind empfand dieses so plötzlich veränderte Wesen als unecht und unwahr. Rose konnte kein Herz fassen zu dieser Frau, auch nicht zu dem Onkel, und nicht nur, weil sie bisher mit diesen beiden Menschen nur selten zusammengetroffen war und sie ihr ziemlich fremd waren. Nein, sie empfand instinktiv, dass die Liebenswürdigkeit ohne Wärme, die scheinbare Güte ohne Wahrheit war, und verschloss ihr Herz scheu vor diesen Menschen. Und das wurde nie anders, wenn sie sich auch still und gefügig zeigte. In ihr Inneres konnten diese Menschen nicht dringen, das hielt sie vor ihnen verschlossen, obwohl sie nicht gehört hatte, was Onkel Herbert an jenem Tag mit seiner Frau gesprochen und was deren völlige Umänderung bewirkt hatte.

Rose setzte dieser unechten Güte eine stille Passivität entgegen und zog sich in sich selbst zurück. Aber das empfanden die beiden eigennützigen Menschen nur als angenehm. Gleich nach der Beerdigung Albert Rietbergs zog sein Vetter mit seiner Frau und Rose in die bisherige Wohnung des Verstorbenen. Rose behielt ihr Zimmer, in den übrigen machte sich Frau Helene breit, als sei sie hier von jeher zu Hause gewesen.

Rose war froh, wenn sie in ihrem Zimmer allein sein konnte. Es tat ihr weh, als sie bemerkte, wie Onkel und Tante sich in den Zimmern breit machten, die ihre Eltern benutzt hatten. Onkel Herbert saß jetzt an des Vaters Schreibtisch, lag auf dem Diwan, auf dem der Vater sein Schläfchen gehalten hatte und benutzte das Glas, aus dem der Vater trank. Und Tante Helene benutzte den Toilettentisch der Mutter; sie saß an Mutters Nähtisch, pflegte ihre Blumen und kramte in ihrem Wäscheschrank. Bei Tisch saßen ihr die beiden auf den Plätzen gegenüber, wo früher die Eltern gesessen hatten.

Das alles erschien Rose wie eine Entweihung all ihrer Kindheitserinnerungen. Sie litt seelisch sehr darunter und wurde immer blasser und stiller.

Dass sie ungeheuer ausgenutzt wurde, erschien ihr wenig wichtig, denn sie hatte noch keinen Begriff von Geld und Geldeswert. Sie hätte es kaum bemerkt, wenn nicht die Dienstboten, die noch von ihren Eltern her im Haus waren, in ihrer Gegenwart darüber gesprochen hätten. Dienstboten sind scharfe Richter ihrer Herrschaften, und diese beiden klugen Berliner Mädel sahen den Dingen auf den Grund und mokierten sich zuweilen in Roses Gegenwart. Rose lief dann davon, sie wollte das nicht hören, aber die Dienstboten sprachen immer wieder davon, dass Onkel und Tante es sich auf ihre Kosten wohl sein ließen, mit ihr reisten, Gesellschaften gaben und Theater und Konzerte besuchten – alles von ihrem Geld.

Rose bewertete das alles viel geringer, als dass sie so pietätlos die Gegenstände der Eltern benutzten. Sie hätte ihnen gern alle anderen Vorteile gegönnt. Sie fragte nie, was dies und jenes koste, ob dies oder das nötig sei – nur einmal wurde sie energisch: als Frau Helene ihre Sprach- und Musikstunden absagen wollte, weil sie unnötiges Geld kosteten.

„Du hast es doch gar nicht nötig, dich damit herumzuplagen, Rose, wir wollen diese Stunden aufgeben“, hatte sie gesagt.

Da hatte sich Rose kampfbereit aufgerichtet. „Das wäre ganz bestimmt nicht in Vaters Sinn, er wollte, dass ich mein Sprachtalent, das ich von ihm geerbt habe, ausnütze. Die Sprachstunden behalte ich bei, bis ich die vier Sprachen beherrsche, deren Studium ich begonnen habe. Und auch die Musikstunden setze ich fort, wie Vater es gewollt hat.“

Frau Helene hatte eingesehen, dass Rose in dieser Frage nicht zu beeinflussen war. Eigentlich war sie es überhaupt nicht, aber weil sie meistens zu allen Anordnungen von Onkel und Tante schwieg, glaubten sie, dass sie sich ihrem Einfluss füge. Jedenfalls nahm Rose ihre Stunden weiter.

Dann brach der Krieg aus. Vier Jahre dauerte das Ringen, bis der Zusammenbruch kam. Ihm folgte nur wenig später die Inflation. Nicht nur Herbert Rietbergs in den vergangenen Jahren gehortete Ersparnisse wurden wertlos, auch Roses Vermögen schmolz von Tag zu Tag mehr zusammen.

Rose hatte inzwischen die Schule bis zur Oberstufe besucht und füllte ihre Zeit mit ihren Sprachstudien aus, die sie immer mehr erweiterte. Sie vergrub sich mehr und mehr in die vom Vater hinterlassenen Bücher.

Aber dann wurden ihr die Sprachstunden energisch gestrichen. Die Freundlichkeit, die Onkel und Tante ihr entgegengebracht hatten, kühlte sich mit dem Hinschwinden ihrer Einkünfte ab. Sie wurde oft rau und hart angefasst, und als man endlich die Dienstboten entlassen musste, wurden Rose all die Arbeiten aufgebürdet, die sonst die Dienstboten geleistet hatten. Es wurde aus dem Besitz von Roses Eltern ein Stück nach dem anderen verkauft, das Silber verschwand, die kostbaren Teppiche und teilweise auch die Möbel, die durch die Möbel von Onkel und Tante ersetzt wurden. Herbert Rietberg und seine Frau hatten sich so sehr an das gute Leben gewöhnt, dass sie nicht davon lassen wollten – bis alle Quellen erschöpft waren.

Und Rose bekam nun täglich harte Vorwürfe, wie sehr man sich verrechnet habe und welch eine Last sie für Onkel und Tante sei.

Nur zu gut begriff Rose jetzt, wie Recht die Dienstboten gehabt hatten. Sie wusste nun gewiss, dass alle Freundlichkeit und Liebe nur ihrem Geld gegolten hatten.

Mit großen, bangen Augen sah sie in die harten, unfreundlichen Gesichter der Verwandten. Tante Helene klagte über die teure Wohnung, die ihnen aufgehalst worden sei und über die viele Arbeit, die sie habe. Dabei schob sie alle grobe und schwere Arbeit Rose zu, die sich jetzt von früh bis spät plagen musste und dafür nur Scheltworte erntete.

Trotz aller Not war Rose zu einem schönen Mädchen herangewachsen. Sie hatte eine schlanke Gestalt, wundervolles braunes Haar und einen blütenzarten Teint. Ihre grauen Augen leuchteten mit einer intensiven Klarheit aus dem lieblichen Gesicht heraus, und ihre Bewegungen waren voll Anmut und Vornehmheit. Aber all diese Lieblichkeit war von einer stillen Trauer überschattet. Nur selten sah man ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie, die ein so heiteres Kind gewesen war, schien in Leid und Unglück gleichsam erstarrt zu sein. Wieder und wieder zuckte sie schmerzhaft zusammen, wenn Onkel und Tante mit unverdienten Vorwürfen über sie herfielen. Sie hatte nie ein Wort der Erwiderung darauf.

Aber eines Tages, als man ihr vorhielt, welche Last sie sei, raffte sie sich aus ihrer Erstarrung auf und sagte heiser vor Erregung. „Lasst mich fort! Ich will mir eine Stellung suchen. Ich habe mancherlei gelernt und hoffe, mir mein Brot verdienen zu können.“

Da fiel die Tante mit Schmähreden über sie her. Ob sie denn glaube, dass sie mit ihren fremden Sprachen eine Stellung ausfüllen könne? Dazu gehöre mehr!

Rose nahm alle Kraft zusammen. „Ich kann ja noch lernen, was nötig ist.“

Tante Helene blitzte sie mit bösen Augen an. „Ah, das ist der Dank für all die Opfer, die wir dir gebracht haben! Jetzt willst du uns den Stuhl vor die Tür stellen. Jetzt, wo wir uns kein Mädchen halten können und mit der großen Wohnung dasitzen, willst du mir alle Arbeit allein aufbürden. Schämst du dich nicht deiner Undankbarkeit?“

Rose war fassungslos diesem Ausfall gegenüber, aber sie wagte doch zu erwidern: „Ihr sagt doch, dass ich euch eine Last sei, und davon wollte ich euch befreien. Wenn ihr mich braucht, dann will ich gewiss nicht fortgehen.“

In ihrer Herzenseinsamkeit berührte es sie seltsam, als sie eines Tages Onkel und Tante von einer Kusine Herbert Rietbergs sprechen hörte. Erst dadurch erinnerte sie sich daran, dass auch ihr Vater ihr einmal von dieser Kusine erzählt hatte. Sie lebte in Argentinien, und es fiel Rose auf, dass Onkel und Tante sehr abfällig...