Kulturelle Unterschiede in der Europäischen Union - Ein Vergleich zwischen Mitgliedsländern, Beitrittskandidaten und der Türkei

von: Jürgen Gerhards

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531900698 , 318 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 35,96 EUR

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Kulturelle Unterschiede in der Europäischen Union - Ein Vergleich zwischen Mitgliedsländern, Beitrittskandidaten und der Türkei


 

5. Wohlfahrtsstaatliche Ideen in der Europäischen Union (S. 175-176)

Unter Wohlfahrtsstaat versteht man diejenigen staatlichen Interventionen und Maßnahmen, mit deren Hilfe zwei Ziele erreicht werden sollen: die Herstellung sozialer Sicherheit und die Verminderung von sozialer Ungleichheit. Wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen haben primär die Funktion, Dysfunktionen des Marktes zu kompensieren. In der sozialwissenschaftlichen Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der „Sozialstaat eine institutionelle Anpassung an Modernisierungsprozesse darstellt, deren zentrale Elemente der demographische Wandel, die Industrialisierung und die Demokratisierung sind.

Sozialstaatliche Programme sind in dieser Perspektive Losungsversuche von im Modernisierungsprozess auftretenden Problemen" (Alber, Behrendt und Scholkopf 2001: 654f.). Durch die Trennung von Arbeit und Familie sind neue Risiken entstanden, deren Absicherung den Kern des Wohlfahrtsstaates ausmachen (Alber 1989: 30ff., Girvetz 1972). Hierzu zahlt insbesondere der Schutz vor den Folgen von Erwerbsunfähigkeit, etwa durch Alter oder Krankheit (Guillemard 2001:16418). Die Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts mit der Einführung gesetzlicher Sozialversicherungssysteme in mehreren europäischen Ländern.

Der eigentliche Expansionsschub des Wohlfahrtsstaates findet in allen westlichen Ländern nach dem 2. Weltkrieg in den 50er und 60er Jahren statt, allerdings für die verschiedenen Länder auf einem unterschiedlichen Niveau. In der international vergleichenden Forschung gingen die ersten Ansatze von einer Konvergenzthese aus. Die zugrunde liegende Annahme war, dass sich mit der Steigerung der Wirtschaftskraft der Länder auch die Ausgaben für die soziale Sicherung erhöhen würden (Wilensky 1975). Weitere Forschungen haben aber gezeigt, dass sich sowohl die Intensität als auch die Extensität des Wohlfahrtsstaates (Roller 1992) in den verschiedenen Ländern, auch unabhängig von der Wirtschaftskraft, deutlich unterscheiden.

Um die Unterschiede der Wohlfahrtsstaaten zu beschreiben, sind verschiedene Typologien entwickelt worden. Am prominentesten ist in diesem Zusammenhang die Typologie von Gosta Esping-Andersen (1990), der drei verschiedene Wohlfahrtsstaatsmodelle unterscheidet. Er differenziert bekanntlich zwischen einem sozialdemokratischen (z. B. Schweden), einem konservativen (z. B. Deutschland oder Italien) und einem liberalen Regime (z. B. USA).2 Edeltraud Roller (2000a) knüpft in ihren Arbeiten an diese Modellvorstellungen an, entwickelt aber dann eine eigenständige Typologie, die sich für die Messung der Einstellungen der Burger zum Wohlfahrtsstaat bewahrt hat.

Roller unterscheidet vier verschiedene Modelle von Wohlfahrtsstaaten. Diese unterscheiden sich durch die Anzahl der Bereiche, die vom Staat per Interventionsmaßnahme geregelt werden, Dabei nimmt die Anzahl der Bereiche, die reguliert werden, von Modell zu Modell kontinuierlich zu: Das liberale Modell ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat allein die Verantwortung für die Sicherung des Einkommens in Risikofallen (Krankheit, Alter, Arbeitsunfähigkeit) übernimmt.