Denken. - Ein Propädeutikum mit Ausblicken auf die Pädagogik

von: Jürg Blickenstorfer

DUV Deutscher Universitäts-Verlag, 2007

ISBN: 9783835054684 , 166 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 40,46 EUR

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Denken. - Ein Propädeutikum mit Ausblicken auf die Pädagogik


 

Wie das Denken entsteht (S. 13)

Erster Streifzug

«Was heisst Denken?» Vielleicht können wir einer Antwort auf die Spur kommen, wenn wir das Denken in seinen Ursprüngen, gleichsam durch das Vergrösserungsglas der Denkentwicklung beim Kind, näher erforschen. Wie sollen wir das anstellen?

Ideal wäre es, wenn uns das Kind spontan gleich selbst mitteilen würde, was das Denken ist, sei es in seinem Verhalten, sei es, ab einem gewissen Alter, verbal. Aber es tut dies freilich nicht spontan beziehungsweise zu wenig häufig, um uns klare Angaben zu geben. Wir müssen also andere, effizientere Wege suchen.

Zunächst werde ich dir zwei Hauptwege genauer aufzeigen, ein dritter folgt später. Du kannst Kinder befragen und auf diesem Weg herausfinden, was sie denken. Du kannst zudem Situationen inszenieren, in denen Kinder durch ihr Verhalten zeigen können oder müssen, wie sie denken.

Beide Wege hat der Genfer Biologe, Philosoph und Psychologe Jean Piaget beschritten. Zeitlebens trieb ihn die Frage um, wie Geist naturwissenschaftlich zu erklären sei. Rein biologisch konnte er sie nicht beantworten, also wandte er sich auch der Philosophie und der Psychologie zu. Er studierte zum Beispiel Lévy-Bruhls Untersuchungen bei Naturvölkern, Brunschvicgs Studien zur aristotelischen Physik oder die entwicklungspsychologischen Theorien von Hall und Baldwin.

Die Antworten beruhten allerdings häufig auf gedanklichen Konstruktionen, abgehoben von der sicht- und messbaren Welt der Tatsachen. Als Naturwissenschaftler war er es gewohnt, die Aussagen auf Tatsachen zu stützen, in seinen Jugendjahren hatte er leidenschaftlich Weichtiere gesammelt, geordnet, klassifiziert. Nach demselben Muster wollte er nun auch die Frage nach dem menschlichen Geist klären.

Er versuchte also, bestehende Theorien auf die Basis von überprüfbaren Tatsachen zu stellen und sie entsprechend zu konkretisieren beziehungsweise weiterzuentwickeln. Wenn wir nun eintauchen in Piagets Forschen und Denken, so erwartet dich, wie einleitend erwähnt, keine brave Zusammenfassung seiner Werke.

Ich stelle eines ins Zentrum, ein Frühwerk: La représentation du monde chez l’enfant von 1926. Da werden wir uns durchaus frei tummeln, ähnlich, wie sich vielleicht Piaget selbst in der Thematik getummelt haben mag, damals. Was du darüber hinaus dann noch wissen musst, werde ich dir im Anschluss kompakt nachliefern.

Wir beginnen mit dem Weg, der über die Befragung von Kindern führt. Wie würdest du konkret vorgehen? Ich könnte Kinder, wohl ab etwa fünf Jahren, direkt fragen, was das Denken sei. Ein Vergleich der Antworten unter Gleichaltrigen und bei unterschiedlichem Lebensalter dürfte mir Regelmässigkeiten aufzeigen, die sich dann vielleicht in Form von allgemeinen Gesetzen formulieren liessen.

Gut. Fragen wir also: «Was ist das Denken?» Wir erhalten Antworten wie: «Man denkt an etwas, was man tun will.» – «Wenn jemand gestorben ist, und man an ihn denkt.» – «Wenn man sich an etwas nicht mehr erinnert, denkt man nach.» – «Wenn man an etwas denkt.» Offensichtlich stossen wir hier auf ein Problem. Wie sollen wir solche Antworten vergleichen? Die Kinder scheinen mit der platten Frage überfordert zu sein – wie die Erwachsenen wohl ja auch.

Wir müssen also nachhaken, weitere Fragen stellen. So ergibt sich zum Beispiel mit dem gut siebenjährigen Falq das folgende Frage-und-Antwort-Spiel:

Weißt du, was das Denken ist? – Man denkt an etwas, das man tun will.