Anwendungsfelder der medizinischen Psychologie

von: Friedrich Balck

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540276258 , 216 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 8,98 EUR

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Anwendungsfelder der medizinischen Psychologie


 

Psychotraumatologie – Grundlagen und Anwendungen in medizinischen Disziplinen (S. 127-129)

Die Beobachtung, dass extreme, traumatische Ereignisse extreme psychologische Reaktionen hervorrufen, ist schon alt und wurde beispielsweise bereits bei den Römern und Griechen in ihren Annalen kriegerischer Auseinandersetzungen erwähnt. Im 20. Jahrhundert wurde im Gefolge der beiden Weltkriege eine Reihe von Bezeichnungen solcher Störungen geprägt, wie Kriegs- oder Gefechtsneurose oder Granatenschock (»shell shock«) (Babington 1997).

Doch erst 1980 nahm die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft in das maßgebliche Klassifikationssystem für psychische Störungen, das »Diagnostic and Statistical Manual of Diseases – 3. Fassung« (DSM-III), ein neues krankheitswertiges Syndrom auf, anhand dessen die psychischen Folgen extremer Belastungserlebnisse beschrieben werden. Das als posttraumatische Belastungsstörung (Abkürzung: PTB, engl.: »post traumatic stress disorder«, PTSD) bezeichnete Störungsbild wird mittlerweile intensiv erforscht.

Im ersten Jahrzehnt nach der Einführung dieser Diagnose standen die Folgen traumatischer Ereignisse wie Krieg, sexuelle Übergriffe, kriminelle Gewalt und Naturkatastrophen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Im letzten Jahrzehnt erweiterte sich das Forschungsspektrum auch auf Untersuchungen zu weiteren Traumata, wie lebensbedrohliche oder extrem beeinträchtigende Erkrankungen sowie zu den sog. berufsbedingten Traumata bei Rettungs- und Intensivstationspersonal, Polizei und Feuerwehr.

Die enorme Weiterentwicklung der Psychotraumatologie – als der allgemeinen Lehre psychischer Traumafolgen – hat dazu beigetragen, das Feld der möglichen Relevanz des Störungsbildes stark zu vergrößern. Auch für die Anwendungsfelder der Medizin jenseits von Psychiatrie und Psychotherapie scheint diese Entwicklung einen relevanten Erkenntniszuwachs zu erbringen.

Dieser Beitrag über PTB und Traumata in verschiedenen medizinischen Kontexten beginnt mit einem Überblick über relevante Entwicklungen in der Psychotraumatologie. Anschließend wird die Erweiterung des Konzepts der PTB auf verschiedene körperliche Krankheiten und Behandlungen in den Mittelpunkt gestellt, die selbst ein auslösendes Trauma für die Entwicklung von PTB darstellen können. Danach werden Untersuchungsansätze zur berufsbedingten oder sekundären Traumatisierung von Einsatzkräften und helfenden Berufen skizziert. Abschließend werden Implikationen dieser Neuentwicklungen und konzeptuellen Neuorientierung auf die medizinischen Grundlagen- und Anwendungsdisziplinen diskutiert, wobei auch kritisch hinterfragt wird, ob Teilaspekte des neuen Forschungszweiges der Psychotraumatologie teilweise schon zu einer Mode geworden sind. Dieses Kapitel kann keine umfassende Darstellung der Psychotraumatologie bzw. der posttraumatischen Belastungsstörung liefern.

Deshalb soll an dieser Stelle zur Vertiefung auf inzwischen vorliegende deutschsprachige Überblickswerke (Ehlers 1999, Fischer u. Riedesser 2003, Maercker 2003 a, b) oder englischsprachige Fachliteratur (Horowitz 1997, Van der Kolk et al. 1996, Wilson u. Keane 1997) verwiesen werden. 11.1 Die Psychotraumatologie – ein neues Stressfolgenparadigma und neu definierte Störungsbilder Als Psychotraumatologie wird heute das Gebiet definiert, in dem die psychischen Folgen von extrem belastenden und/oder lebensbedrohlichen Ereignissen beschrieben und untersucht werden.

Im Gegensatz zu den physiologischen Stressfolgen, die, beginnend beispielsweise mit Selyes allgemeinem Adaptationssyndrom (1956), seit vielen Jahrzehnten bereits untersucht und in den letzten Jahren durch moderne Untersuchungsmethoden zunehmend differenziert beschrieben werden (Zusammenfassungen der neurobiologischen Grundlagenforschung z. B. Ehlert et al. 1999), waren die langfristigen psychologischen Folgen extrem belastender Ereignisse ein noch lange unbearbeitetes Forschungsgebiet. Es waren eher die kurzfristigen psychologischen Stressfolgen, die im Fokus des Forschungsinteresses lagen.

So haben psychologische Stress-Coping-Konzepte, wie das einflussreiche Modell von Lazarus und Folkman (1984), sich zwar anregend auf die Erforschung auch der nega tiven, krankheitswertigen Folgen von extrem belastenden Ereignissen ausgewirkt, waren aber oft nicht spezifisch genug, um den Teil der Pa tien ten zu identifizieren, der eine weiterführende psycho logische Versorgung zur Wiederherstellung seines Wohlbefindens und seiner Lebensqualität benötigt.