Stalking

von: Jens Hoffmann

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540303855 , 222 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 62,99 EUR

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Stalking


 

Auswirkungen von Stalking auf Betroffene (S. 149-150)

9.1 Psychische und soziale Folgen
9.2 Körperliche Belastung
9.3 Auswirkungen auf den Lebensstil
9.4 Posttraumatische Belastungsstörung
9.5 Vulnerabilität
9.6 Therapeutische Interventionen

Erst in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre wurden die Folgen der Viktimisierung durch Stalking zum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Die wohl erste Untersuchung über die Auswirkungen von Stalking stammte aus Australien und erschien im Jahr 1997. Insgesamt 100 Betroffenen war ein ausführlicher Fragebogen vorgelegt worden. Die Ergebnisse der Studie waren erschreckend: Die Mehrzahl der Opfer litt unter Furcht und Panik sowie unter chronischen Schlafstörungen; auf die fortgesetzte Belästigung wurde oftmals mit sozialem Rückzug reagiert und die Betroffenen verließen etwa aus Angst seltener ihr Haus oder verloren Kontakte zu Freunden (Pathé u. Mullen 1997).

Da es sich hier offenbar um Opfer von schwereren Formen von Stalking handelte – die Teilnehmer der Befragung waren entweder bei einer psychiatrischen Beratung gewesen oder hatten sich hilfesuchend an die Autoren gewandt –, war zu vermuten, dass es im Allgemeinen nur vergleichsweise wenige Personen in der Bevölkerung gab, die einer solchen außerordentlichen Belastung durch fortgesetzten Psychoterror ausgesetzt waren.

Doch die Hoffnung trog, wie schon bald repräsentative Studien auf internationaler Ebene offenbarten. So ließ etwa das US-amerikanische Justizministerium bei 16.000 Bürgern eine Telefonumfrage durchführen (Tjaden u. Thoennes 1998b, 2000). Ein Drittel der weiblichen Betroffenen und ein Fünftel der männlichen gaben demzufolge an, sich aufgrund des Stalkings in psychotherapeutische Behandlung begeben zu haben. Ein Viertel aller Opfer berichtete von zeitweisen Ausfällen bei der Arbeit. In einer weiteren umfangreichen Studie wurde in Großbritannien eine Gruppe von nahezu 10.000 Bürgern untersucht (Budd u. Mattinson 2000). Dabei sagten 3 Viertel aller Stalkingopfer aus, dass der Vorfall ihnen Leid zugefügt oder sie aus dem Gleichgewicht gebracht habe, und 71% gaben an, dass die Belästigungen ihren Lebensstil verändert hätten, etwa dadurch, dass sie bestimmte Orte mieden, weniger ausgingen oder spezielle Maßnah- men für ihre persönliche Sicherheit ergriffen hätten. Ähnliche Zahlen fanden Purcell et al. (2000) in einer Zufallsstichprobe von 1844 australischen Bürgern. Knapp 2 Drittel der Betroffenen sprachen von einer Änderung in ihrem Lebensstil als Auswirkung des Stalkings, wie etwa zusätzliche Sicherungsmaßnahmen an der Wohnung oder die Variation täglicher Routinehandlungen, um Übergriffen seitens des Stalkers aus dem Weg zu gehen.

Doch nicht nur die Zielpersonen der grenzverletzenden Belästigungen sind betroffen, auch deren Umfeld leidet nicht selten unter dem Stalking. Man spricht in solchen Fällen von Sekundäropfern (Pathé 2002). Hier sind zunächst einmal Familienmitglieder zu nennen. Beispielsweise kann der Ehemann oder ein neuer Freund auch körperlich angegriffen werden, wenn der Stalker eine Beziehung mit dem Opfer anstrebte oder in der Vergangenheit gehabt hatte. Aber es ist zumeist vor allem die seelische Belastung, die dem Opfer nahestehenden Personen zu schaffen macht. Auch sie sind dem Psychoterror ausgesetzt, sie müssen mit ansehen, wie der von ihnen geliebte Mensch psychisch an den Rand gedrängt wird und erleben sich dabei selbst nicht selten als hilflos. Gerade der letzte Punkt kann auch das Selbstbild einiger männlicher Sekundäropfer erheblich belasten, erleben sie es doch manchmal als Demütigung oder Schwäche, die Partnerin nicht wirkungsvoll schützen zu können. Auch die Kinder des Opfers leiden regelmäßig unter der Situation.

Außer direkt bedroht zu werden oder Haustiere zu verlieren, erleben sie möglicherweise in einem beträchtlichem Ausmaß elterliche Angst, Depression und Handlungsunfähigkeit. Einige von ihnen sind Sachbeschädigungen, dem Eindringen in die Wohnung oder bizarreren Aktivitäten des Stalkers ausgesetzt, wie beispielsweise das Hinterlassen verstümmelter Tiere an der Haustür. (Pathé u. Mullen 2002, S. 9)

Man kann sich leicht vorstellen, dass solche Erlebnisse für ein Kind oftmals traumatische Qualitäten besitzen. – Eine weitere gefährdete Personengruppe für eine sekundäre Viktimisierung sind Menschen, die dem Opfer beistehen und es sichtbar unterstützen. Sie ziehen nicht selten den Zorn des Stalkers auf sich und werden zum Ziel beispielsweise von anonymen Telefonterror oder von Beschädigungen an ihrem Auto. Allgemein ist es für Stalkingopfer oft nicht leicht, ernstgenommen zu werden, männliche Betroffene haben hier manchmal sogar besondere Probleme. Gerade wenn diese Opfergruppe von einer Frau belästigt wird, reagieren Polizeibeamte nicht selten mit Spott und regen ironisch an, dass sich der Mann doch über die Zudringlichkeiten des anderen Geschlechts freuen sollte. Hall (1998) berichtete von einem Fall, in dem ein Stalkingopfer von seiner Exfreundin verfolgt wurde. Er versuchte auf juristischem Wege, ein Näherungs- und Kontaktverbot zu erwirken, doch der Richter sagte ihm, er solle sich doch lieber von der Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlen. Einige Wochen später wurde er von der Stalkerin ermordet. Tatsächlich kommt es immer wieder auch hierzulande vor, dass offizielle Stellen die Bedrohlichkeit weiblicher Verfolger verneinen oder sogar das Opfer ins Lächerliche ziehen. So gab in einem Fall, in dem der Autor konsultierend tätig war, eine Polizeibeamtin zu bedenken, dass es sich doch nur eine Frau handeln würde und die Angst des verfolgten Mannes wohl übertrieben sei. Die Stalkerin hatte ihn zuvor mit einem Messer attackiert, worauf er sich hilfesuchend an die Polizei gewendet hatte. Die Vorstellung, dass Stalkerinnen ungefährlicher sind, ist bedauerlicherweise weit verbreitet. Tatsächlich ist die Rate der Gewalttätigkeit bei weiblichen Stalkern ebenso hoch wie bei obsessiven Verfolgern männlichen Geschlechts (Purcell et al. 2001; Meloy u. Boyd 2003).