Heinz' Life - 1962-2032. Kleine Geschichte vom Kommen und Gehen des Computers

von: Lutz Heuser

Carl Hanser Fachbuchverlag, 2010

ISBN: 9783446424142 , 354 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Heinz' Life - 1962-2032. Kleine Geschichte vom Kommen und Gehen des Computers


 

1985 ENC - Heidelberger Alternativen zum Internet (S. 109-110)

16. Juli 1985

Mein Studium als Wirtschaftsinformatiker an der TU Darmstadt läuft inzwischen recht problemlos - vorausgesetzt, dass ich mich ans permanente Büffeln gewöhne. Betriebsblind möchte ich darüber aber nicht werden, deshalb versuche ich, mich über Fachzeitschriften in der Uni-Bibliothek und weitere Quellen ständig über technologische Neuentwicklungen, neue Trends oder Kommunikationsmöglichkeiten auf dem Laufenden zu halten. Auf die Ankündigung und Beschreibung der Gründung des European Networking Center1 in Heidelberg durch IBM bin ich in der Süddeutschen und der FAZ gestoßen. Der Gründungstag ist heute! In dieser Einrichtung möchte ich gern mal Mäuschen spielen. Insgesamt geht es hier um neue Wege, große Datenmengen über weite Entfernungen möglichst rasch zu transportieren. Aber auf welcher Basis? Am liebsten möchte ich dort mal ein Praktikum machen, fürchte aber, dass das meinen Horizont doch übersteigen dürfte.

Wenn ich mir die derzeitige Lage so anschaue, dann ist die Informations- und Kommunikationstechnik (ITK) durch Großrechner gekennzeichnet, die lose miteinander verbunden sind. Die IBM ist technisch und wirtschaftlich ihrer despektierlich unter dem Sammelbegriff BUNCH2 zusammengefassten Konkurrenz mit der SNA3 meilenweit voraus. Die analoge Kommunikation wird von den nationalen Telekomgesellschaften bestimmt. Beide Welten existieren separat nebeneinander und leben gut davon.

Die Wissenschaft ist sich einig, dass es nicht dem Fortschritt dienen kann, wenn die übertragung von ein paar digitalen Fotos von Heidelberg nach Hamburg mit einer Rechnung von DM 25.000 bestraft wird. Diese Form der ITInfrastruktur ist also schlicht zu teuer. Nicht nur die Ingenieure wissen, dass IuK4 technisch zusammenfinden müssen, wenn man billigere und attraktivere Dienste haben will. Ob dieses technische Wissen allerdings die Motivation für die Gründung des ENC 1985 in Heidelberg ist?

Dafür lösen sich die Ideen, wie Telekommunikation und Datenverarbeitung in Zukunft organisiert sein sollten, einfach zu rasant ab. Nachtrag vom 12. Juni 2007 Komme gerade von einem amüsanten Abend nach Hause. Es gab einen Empfang anlässlich eines hochkarätig besetzten Symposiums an unserer Fakultät. Dort habe ich Professor Müller kennengelernt. Wir standen zufällig zusammen in der Schlange vom Buffet, und er erklärte mir die Warteschlangentheorie5. Ich war baff. Selbst beim Warten auf das Essen bringen diese Informatik-Professoren nebenbei ihr Wissen an. Auf meine Rückfrage, was er denn so mache, erzählte er mir - während wir uns langsam der reichen Speisenauswahl näherten - aus seinem beruflichen Werdegang.

Und da erwähnte er, dass er der ehemalige Gründer und erste Direktor jenes ENCs war, das ich vor 17 Jahren als mein Wunschziel für ein Praktikum ausgeguckt hatte. Das musste ich Müller gleich erzählen. Er schien allerdings inzwischen ein recht gespaltenes Verhältnis zum ENC und seiner Entwicklung zu haben. Er warf jedenfalls einen eher kritischen Blick zurück auf die Entwicklungen im ENC und dessen Einflüsse auf die ITK-Landschaft. Als wir die Pasta à la Panna vom Buffet genommen und uns an einen Tisch in der Ecke zurückgezogen hatten, begann er, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Ich habe jetzt zwar über 15 Jahre Abstand, seit meinem Ausscheiden dort, trotzdem kann ich diese Zeit nicht objektiv analysieren.

Dafür war ich zu sehr in die Geschehnisse involviert. Zwar entstand das ENC erst 1985, aber schon lang vor der Gründung wurden in vielen Begegnungen und Gesprächen seit 1981 die neu entstehenden Rechnernetzaktivitäten in aller Welt analysiert. So entstand die überzeugung, dass OSI6 das beste Konzept sei, um die IuK-Vision in naher Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Es gab aber noch viele andere Kandidaten. Und das Internet erschien als die unwahrscheinlichste Option. Es verfügte gerade einmal über vier Knotenpunkte und wurde von damals wenig angesehenen Wissenschaftlern namens Vinton Cerf und Robert Kahn in Stanford vorangetrieben."