Letzte Entscheidung - Thriller

Letzte Entscheidung - Thriller

von: Tom Clancy, Mike Maden

Heyne, 2020

ISBN: 9783641246792 , 544 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

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Letzte Entscheidung - Thriller


 

2

Festhalten und Pobacken zusammenkneifen, mehr konnte Jack jetzt nicht tun. Die Welle rammte ihn wie ein großer, grauer Stier und schmetterte seinen behelmten Kopf mit der Seite gegen die Stahlleiter, aber irgendwie ließ er nicht los.

Eine Sekunde verging, und das wütende graue Monster brauste davon in die Dunkelheit.

Jack konnte sein Glück kaum fassen und wollte es nicht weiter herausfordern.

So schnell er konnte, löste er den Klammergriff und machte sich an den Aufstieg, wobei er einiges an salzigem Meerwasser ausspuckte und hustete. Er kletterte so zügig nach oben, wie er es auf dem vereisten Stahl wagen konnte, angetrieben von John Clarks Reibeisenstimme, die in seinem Kopf widerhallte: »Aller bösen Dinge sind drei.« Der Ausfall der Funkgeräte und die Monsterwelle standen für zwei. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was Nummer drei sein könnte.

Die ersten paar Schritte fielen ihm leicht, obwohl er vor Nässe triefte, doch auf der nächsten Sprosse rutschte sein linker Fuß weg. Wieder begann sein Herz zu rasen, doch seine schnellen Reflexe verhinderten, dass er von der Leiter stürzte. Er war wieder klarer im Kopf – dem Tod zu entrinnen hatte diese Wirkung auf das menschliche Gehirn. Sofort setzte er den gefährlichen Aufstieg fort und kletterte vorsichtig, aber zügig nach oben.

Erst nach mehreren Sprossen spähte er nach oben, um festzustellen, wo die anderen waren. Sie kletterten schnell und waren schon fast oben, nicht ahnend, dass er nur knapp dem Tod entronnen war. Offensichtlich wurde Adara von der Schussverletzung am Bein, die sie letztes Jahr in Chicago erlitten hatte, nicht behindert.

Jacks Tritte wurden sicherer, und er legte einen Zahn zu. Das Adrenalin befeuerte ihn jetzt und milderte die Kälte, obwohl er völlig durchnässt war, und die körperliche Anstrengung hielt ihn trotz des Schneetreibens warm. Das Brennen in seinen Oberschenkeln war ein gutes Zeichen. Er lebte noch. Und das Salzwasser, das noch in seinen Nebenhöhlen juckte, half ihm sogar, den Kopf wieder klar zu bekommen.

So weit, so gut.

Er drosselte das Tempo, als er das Fallschutzgitter am Ende der Leiter erreichte, denn er rechnete damit, dass ihn Adara per Handzeichen zum Warten auffordern würde. Laut Plan sollten sie sich am Einstieg sammeln, dann aufteilen und ihre jeweiligen Ziele angreifen, die rund dreißig Meter auseinander lagen. Er streckte den Kopf über die Kante und ließ den Blick über die Plattform huschen.

Adara und Midas waren verschwunden. Was zum Teufel …?

So viel zum Plan.

Er kletterte aus dem Fallschutzgitter und ging auf dem Gitterrostboden, der die Ansammlung von Meerwasser verhindern sollte, in die Hocke. Der meiste Schnee fiel durch, sodass keine deutlichen Fußstapfen zu erkennen waren, denen Jack hätte folgen können.

Er spähte nach links, wo die Mannschaftsquartiere lagen. Er entdeckte weder Midas noch Adara, doch laut Plan mussten sie diese Richtung eingeschlagen haben. Wie aus dem Grundriss der Plattform hervorging, befand sich die Eingangstür hinter der Ecke vor ihm. Wenn sich die beiden dort postiert hatten, konnte er sie jetzt ohnehin nicht sehen.

Er blickte auf seine Uhr. Wenn das andere Team an seinem Platz war, würde es in den nächsten dreißig Sekunden eine Tür eintreten.

Zeit, sich an die Arbeit zu machen.

Jack lud die MPX durch. Die Terroristen würden bei dem Wetter alle drin sein. Keine Frage. Er grinste in sich hinein. Welcher Idiot würde bei so einem Sauwetter schon rausgehen? Es schneite und windete mittlerweile so stark, dass man fast von einem Schneesturm sprechen konnte. Jack wischte die Eiskruste von seinen Handschuhrücken.

Er probierte noch einmal das Funkgerät, erhielt aber keine Antwort. Selbst wenn Adara und Midas direkt neben ihm gekauert hätten, hätten sie nicht miteinander sprechen können – bei dem Wind hätten sie schreien müssen und dabei riskiert, ihre Position zu verraten.

Jack sah zu, wie die Sekunden heruntertickten. Er war dankbar für die langen, ermüdenden Trainingsstunden, die er in der letzten Woche auf einer Bohrplattform zugebracht hatte, die so ähnlich wie diese hier war, besonders jetzt, wo er, von Orkanböen gepeitscht, in Kälte und Dunkelheit hockte und die Zeit knapp wurde. Er sah wieder auf die Uhr.

Los!

Er rannte geduckt an einem Gitterkasten vorbei und bog um die Ecke, als ihm etwas auf dem Deck ins Auge stach. »Augen offen halten!«, hatte ihm Ding bei den Übungen immer wieder zugebrüllt. Es rettete ihm auch diesmal den Arsch.

Jack blieb abrupt stehen, die Stiefelspitze nur Zentimeter vor einer Linie aus Schnee.

Ein Stolperdraht. Er war über den Stahlgitterrost gespannt, und große Schneeflocken hockten darauf wie fette Tauben auf einer Stromleitung.

Jack ging in die Knie, schaltete das Taclight an seiner Waffe ein und folgte dem Draht bis zu seinem Endpunkt – eine MRUD, die jugoslawische Kopie einer Claymore-Mine.

Hinterhältige Scheißkerle.

In Gavins Lagebild war von Minen keine Rede gewesen, aber Clark hatte ihnen eingeschärft, dass sie mit allem rechnen sollten. Vielleicht hatten diese Arschlöscher von der Green Army auch einen Störsender am Laufen, der ihre Funkgeräte lahmlegte. Aber jetzt fragte sich Jack: Hat der Gegner nur einen Schutzzaun gezogen oder hält er noch Schlimmeres für uns bereit?

Er stieg vorsichtig über den Stolperdraht und hielt im wirbelnden Schnee und flimmernden Grün seiner Nachtsichtbrille aufmerksam nach weiteren Ausschau. Er entdeckte keine. Dann erreichte er seine Position rechts neben der nach außen aufgehenden Stahltür.

Nach dem Grundriss, der ihnen vorgelegen hatte, maß der quadratische Kontrollraum, an dessen Außenwand er jetzt lehnte, zehn auf zehn Meter – genau wie die anderen drei Module auf der Plattform. Jack sollte auf der Ostseite eindringen. Gegenüber in der Westwand war eine weitere Tür, die in die Wohnquartiere führte. In der Nordwand war eine Tür zum Maschinensaal. Der war sein Ziel.

Wenn ich lebend durch den Kontrollraum komme, rief er sich in Erinnerung.

Im Kontrollraum gab es keine Innenwände. Alle Steuerkonsolen, Schreibtische und Arbeitsplätze reihten sich an den Außenwänden. War er erst einmal drin, konnte er nirgends in Deckung gehen.

Er sah wieder auf die Uhr. Noch zehn Sekunden. Er legte eine behandschuhte Hand auf den Türknauf und drehte ihn vorsichtig. Unverschlossen. Gut.

Schüsse ertönten vom anderen Ende der Plattform. Klang nach AK-47. Das bedeutete, dass Ding und Dom drin waren. Aber die hatten keine AKs. Er hörte keine Feuererwiderung. Vielleicht drang das dumpfe Husten der schallgedämpften Waffen bei dem Wind nicht bis zu ihm.

Jack spürte, wie ihm das Blut durch die Adern schoss. Seine Freunde waren in Schwierigkeiten. Auf einmal war ihm überhaupt nicht mehr kalt. Zeit zum Losschlagen.

Jack riss die Tür auf, sprang zur Seite und drückte sich gegen die gewellte Stahlblechwand, überzeugt, dass die Terroristen auf die Türöffnung feuern würden.

Doch es geschah nichts.

Jack spähte hinein und zuckte nach einer Sekunde wieder zurück. Durch die Nachtsichtbrille hatte er nichts gesehen, nur die Tür an der Nordseite des Raums, die halb offen stand. Er war dankbar für die Segnungen der Nachtsichttechnik.

Er huschte geduckt durch die Tür …

Wums!

Licht stach wie Dolche in seine Augen.

Seine weit geöffneten Pupillen hinter der Nachtsichtbrille verwandelten das Licht der Deckenleuchten in Photonenschrapnells. Jack warf sich zu Boden und rollte sich in dem Moment zur Seite, als aus der halb offenen Tür in der Nordwand Gewehrfeuer losbrach. Blind riss er seine Waffe hoch, betätigte den Abzug und jagte einen Feuerstoß in Richtung des Lärms, doch der GAF-Schütze stellte sofort das Feuer ein, als sein Magazin leer war.

Jack schnellte in die Höhe, riss die Brille herunter und rannte, sich die geblendeten Augen reibend, zur Nordwand. Als er sich dort neben der Tür an die Wand warf, war sein Sehvermögen fast wiederhergestellt. Er fragte sich, ob ein Bewegungsmelder oder eine flinke Hand das Licht im Raum eingeschaltet hatte. Aber eigentlich spielte es keine Rolle.

Ein kurzer Check bestätigte, dass er nicht getroffen worden war. Das wunderte ihn, denn an der Stelle, wo er sich hingeschmissen hatte, war der Linoleumboden zerfetzt.

Er dachte nur: Aller bösen Dinge sind drei. Und das war Nummer drei gewesen.

Aber sein Gefühl sagte ihm, dass bei drei noch nicht Schluss war.

Er schob ein frisches Magazin in die Waffe und lud durch.

Die Tür in der Nordwand führte, wie er wusste, auf ein kurzes Freideck und weiter zum Maschinensaal. Dort erwartete ihn eine weitere Tür, die nach außen aufging.

Und vermutlich auch das Arschloch, das gerade auf ihn geschossen hatte.

Und vielleicht sogar seine Freunde.

In einiger Entfernung hörte er wieder Schüsse. Möglich, dass sein Team noch kämpfte. Oder die Gegenseite brachte gerade die Geiseln um.

Ohne Funkkontakt konnte er nur raten.

Keine Zeit zu verlieren.

Jack ging in die Knie und streckte den Kopf zur Tür hinaus. Das kurze Freideck war leer, die Tür am anderen Ende zu.

Sie wussten, dass er kam. Sie brauchten nur die Tür aufzustoßen und das Feuer auf ihn zu eröffnen. Zwischen den Geländern würde er in der Falle...