Melanie, die Liebesbotin

Melanie, die Liebesbotin

von: Michelle Douglas

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783862950812 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,49 EUR

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Melanie, die Liebesbotin


 

1. KAPITEL

Zwei Wochen später war Jazmin wieder nach Clara Falls unterwegs, dieses Mal im hellen Sonnenschein. Da die Zufahrt zum Parkplatz hinter dem Haus durch einen Müllwagen blockiert wurde, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Hauptstraße hinunterzufahren, wenn sie nicht wenden und die Flucht ergreifen wollte.

Ihr Mund wurde trocken.

Die Versuchung war groß. Einen Moment lang umklammerte sie das Lenkrad. Vor acht Jahren hatte sie sich geschworen, nie mehr zurückzukehren, um sich nicht ihren quälenden Erinnerungen stellen zu müssen.

Vor allem den Erinnerungen an Connor Reed.

Nicht dass sie erwartet hätte, ihm allzu oft über den Weg zu laufen. Er würde sie von sich aus meiden wie die Pest, und das kam ihr mehr als entgegen.

Jazmin straffte entschlossen die Schultern. Nein, sie würde nicht klein beigeben. Es war die richtige Entscheidung gewesen, nach Clara Falls zurückzukehren, um die Buchhandlung vor dem Bankrott zu retten und so das Andenken an ihre Mutter zu bewahren. Das war sie ihr schuldig, das verlangte ihr Stolz.

Warum nur hatte sie das nicht vor ein paar Monaten, vor einem oder vor zwei Jahren schon getan, als ihre Mutter es noch hätte erleben können? Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.

Das Schuldbewusstsein nagte an ihr. Heute tat ihr alles so unendlich leid. Warum war sie nicht zurückgekommen, als Frieda Harper noch gelebt hatte? Glaubte sie denn allen Ernstes, dass die Rettung eines Buchladens irgendetwas ändern würde?

Denk nicht darüber nach. Falscher Zeitpunkt. Falscher Ort.

Sie legte den Rückwärtsgang ein und fuhr die paar Meter zur Hauptstraße zurück.

An einem Zebrastreifen musste sie anhalten und hatte Zeit, die Straße hinunterzuschauen. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Sie hatte ganz vergessen, wie schön der Ort war.

Clara Falls gehörte zu den beliebtesten Touristenorten in den Blue Mountains. Keine Frage, Echo Point und die Drei Schwestern waren traumhaft, ebenso Jamison Valley. Aber Clara Falls …

Wahrscheinlich hatte sie seine Schönheit damals für viel zu selbstverständlich genommen.

Als sie jetzt langsam die Hauptstraße hinabfuhr, spürte sie eine wachsende Erregung, die ihren Widerstand und ihr Unbehagen langsam verdrängte. Einige Läden waren inzwischen renoviert worden. Wo einstmals Tarot-Karten und Kristallkugeln verkauft wurden, saßen jetzt Teddybären im Schaufenster, und aus der zementgrauen Verkehrsinsel war ein mit Gras und Blumen bewachsenes Rondell mit Bänken geworden. Nur bei den zahlreichen Cafés und Restaurants schien sich nichts verändert zu haben. Sie waren immer noch so gut besucht wie damals. Es war die alte Hauptstraße ihrer Kindheit und Jugend.

Die Stadt hatte sich einen Ruf für ausgefallene Kunstwerke und anspruchsvolles Kunstgewerbe erworben, für originelle Künstlercafés und Restaurants, in denen man vorzüglich essen konnte. Ob sie wollte oder nicht, Jazmin musste zugeben, dass es ihr hier gefiel.

Da direkt vor dem Buchladen ein Lieferwagen stand, fand sie dort keinen Stellplatz, wendete und versuchte es auf der anderen Straßenseite. Wie vertraut ihr die kleine Stadt immer noch war!

Sie parkte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. In all der Zeit, in der sie versucht hatte, die Erinnerung an Connor Reed auszulöschen, war auch einiges andere auf der Strecke geblieben.

Auf einmal erschien ihr der Tag wieder düster und schwer. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass sie zurückkommen und sich den bösen Geistern stellen müsse. Erst dann würde sie Ruhe finden. Vielleicht hatte sie recht gehabt. Denn was Jazmin in Clara Falls erlebt hatte, hatte ihr ganzes erwachsenes Leben überschattet.

Sie wollte endlich ihren Frieden finden. In den letzten acht Jahren war ihr das nicht gelungen – nicht dass sie ihn sich jetzt verdient hätte.

Schwerfällig stieg sie aus dem Wagen, wartete auf eine Lücke im Verkehr und überquerte die Straße dann bis zur Verkehrsinsel. Ein älterer Mann vor ihr geriet ins Stolpern, und sie hielt ihn am Arm fest, bis er wieder sicher stand. Als Kind und Teenager war sie hier öfter über die Straße gelaufen, als sie sich erinnern konnte, fast immer unterwegs in den rettenden Buchladen. Drei Stufen hinauf, fünf Schritte quer darüber, dann wieder drei Stufen nach unten auf der anderen Seite.

Der Mann murmelte seinen Dank, ohne sie auch nur anzusehen, und eilte weiter.

„Spielverderberin“, zischte jemand neben Jazmin und dann in Richtung zu dem Mann: „Eines Tages wirst du tatsächlich noch einmal auf dem Hosenboden landen, Boyd Longbottom!“

Die ältere Frau auf der Bank drehte sich zu Jazmin um. „Meine einzige Unterhaltung heutzutage besteht darin, dass der alte Boyd tagein, tagaus über dieselbe Stufe stolpert.“ Sie zwinkerte Jazmin zu. „Aber nachdem Sie jetzt wieder in der Stadt sind, Jazmin Harper, habe ich größte Hoffnungen, dass hier wieder ein bisschen mehr los sein wird.“

„Mrs. Lavender!“ Jazmin lachte übers ganze Gesicht. Mrs. Lavender hatte der Buchladen gehört, bevor Frieda ihn vor zwei Jahren gekauft hatte, und sie war ihr immer eine mütterliche Freundin gewesen. „Offenbar sind Sie in Form wie eh und je. Ich freue mich, Sie zu sehen.“

Mrs. Lavender klopfte mit der Hand auf den freien Platz neben sich, und Jazmin setzte sich bereitwillig. „Leider sind meine alten Knochen auch nicht mehr, was sie einmal waren. Ständig schreibt mir irgendein Arzt irgendwas vor oder verbietet mir meinen Spaß. Ich freue mich darüber, dass Sie zurückgekommen sind, Jazmin.“

Jazmin lächelte. „Danke.“

Mrs. Lavender machte eine kleine Pause. „Es tut mir leid, was mit Ihrer Mutter passiert ist“, sagte sie dann.

„Danke“, erwiderte Jazmin noch einmal, aber das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden.

„Ich habe gehört, dass Sie in Sydney eine Messe für sie haben lesen lassen?“

„Ja.“

„Ich war da leider gerade im Krankenhaus, sonst wäre ich gekommen.“

Jazmin schüttelte den Kopf. „Es ist nicht so wichtig.“

„Natürlich ist es wichtig. Frieda und ich waren schließlich befreundet.“

Jazmin fand ihr Lächeln wieder, auch wenn es nicht mehr ganz so froh ausfiel. In den Augen der achtbaren Bürger mochte es Frieda an einer gewissen Ehrbarkeit gemangelt haben, aber ganz sicher hatte es ihr nicht an Freunden gefehlt. Der Gedenkgottesdienst jedenfalls war gut besucht gewesen.

„Nachdem Sie weggegangen waren, war es einfach nicht mehr dasselbe.“

Jazmin stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus. „Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen.“

„Dass Sie Clara Falls verlassen haben, war das Beste, was Sie tun konnten.“

Nein, da irrte sich Mrs. Lavender. Wenn sie geblieben wäre, wäre ihre Mutter jetzt nicht tot. Sie hatte geschworen, nie mehr zurückzukommen, und damit hatte sie ihrer Mutter das Herz gebrochen. Für ihren Tod trug sie allein die Verantwortung, auch wenn Connor seinen Anteil daran hatte. Hätte er an sie geglaubt, so wie er es immer beteuert hatte, dann wäre sie nie gegangen und hätte vor allem nicht wegbleiben müssen.

Schluss damit!

Jazmin gab sich einen Ruck. Nicht um Rache zu üben, war sie zurückgekommen. Was du nicht willst, dass man dir tu … Nach diesem Motto hatte Frieda Harper immer gelebt, und daran würde auch sie sich halten. Sie würde den Buchladen wieder in die schwarzen Zahlen bringen und ihn dann verkaufen – aber nicht an Gordon Sears. Und dann würde sie Clara Falls wieder verlassen, dieses Mal endgültig.

„Sie waren immer ein gutes Kind, Jazmin. Und so intelligent.“

Wobei es nicht besonders intelligent gewesen war, Connor seine Versprechen zu glauben.

Aber vorbei war vorbei, und Jazmin wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der alten Freundin ihrer Mutter zu.

„Wie lange werden Sie bleiben?“

„Zwölf Monate.“ Sie wollte nichts überstürzen, aber sie musste sich auch eine Grenze ziehen, damit sie dieses Jahr überhaupt aushielt. Vorher würde sie es wohl nicht schaffen, den Laden zu sanieren.

„Dann würde ich sagen, es wird Zeit, dass Sie sich an die Arbeit machen, meine Liebe.“ Mrs. Lavender wies über die Straße. „Sie haben einiges vor sich.“

Jazmin folgte ihrem Blick. Unwillkürlich verkrampfte sie sich am ganzen Körper. Die kleinen Reparaturen hätten eigentlich alle schon letzte Woche abgeschlossen sein müssen. Das war ihr fest versprochen worden.

Ihre Schläfen begannen zu pochen. „Frieda’s Fiction Fair“ hatte über der Ladentür gestanden, „Friedas Geschichtenecke“, und jetzt war da auf einmal zu lesen: „Jazzies Joint“, „Jazzies Kaschemme“.

Jazmin sprang wutentbrannt auf. Sie hatte den Auftrag gegeben, die Schrift auszubessern und die Farbe aufzufrischen, und nicht, einen neuen Namen anzubringen – und diesen schon gar nicht! Mit Mühe unterdrückte sie den Impuls, über die Straße zu rennen und den Maler mitsamt seiner Leiter umzuwerfen.

„Wir sehen uns doch, Jazmin?“

Jazmin holte tief Luft. „Unbedingt, Mrs. Lavender.“

Dann zwang sie sich, dreimal tief...