Fotos sehen, verstehen, gestalten - Eine Psychologie der Fotografie

von: Martin Schuster

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540274933 , 263 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,48 EUR

Mehr zum Inhalt

Fotos sehen, verstehen, gestalten - Eine Psychologie der Fotografie


 

7 Das Porträtfoto (S. 127-128)

Schon zu Urzeiten konnte man sein eigenes Antlitz betrachten. Damals war es der Wasserspiegel, der diese Möglichkeit bot. Das bewegte Spiegelbild schien so etwas wie die Seele zu sein. So ranken sich bis heute um den Spiegel und das Spiegelbild, aber auch um das Abbild allerlei mythische Annahmen, die unsere Gedanken und Gefühle gegenüber der Fotografie beeinflussen. Aus solchen Quellen speisen sich sicher auch die Vorschriften des Feng Shui über Spiegel in Wohnungen. Der Spiegel soll z. B. genügend Platz bieten, um neben dem Gesicht auch noch die Aura aufzufangen.

Die Seele kann sich vielleicht also im Spiegel fangen? In Sterbezimmern wurden die Spiegel abgehängt, damit die Seele des Toten nicht im Spiegel festgehalten wird. Nach deutschem Aberglauben kann ein Verstorbener im Spiegel erscheinen, wenn sein Name gerufen wird (vgl. Hartlaub 1951). Und wer ein Spiegelbild »mitnimmt«, hat ein Stück Seele eingefangen. Die Fotografie ist ja – gleichsam – ein feststehendes Spiegelbild. Aus der Überlieferung heraus dürfen wir also durchaus bei den Menschen die Befürchtung erwarten, dass der Besitz einer Fotografie eine magische Einflussnahme ermöglicht. Die dem Spiegelbild ähnliche Fotografie hat dabei sicher noch eine ganz andere magische Qualität als das gemalte Bild. Spitzing berichtet (1989), dass in der Türkei ein Anschneiden des Kopfes aus einer Fotografie gefürchtet ist. Man fürchtet eine – analoge – magische Einflussnahme auf den so »Beschnittenen«.

Zum Nachweis der Bildmagie wurden sogar wissenschaftliche Studien betrieben. Büchner (1914) befestigte die Fotografie einer (anwesenden) Person zwischen zwei Metallplatten, durch die er dann Strom fließen ließ. Er schrieb das Ergebnis nieder (S. 522):

»Ohne von dem beabsichtigten Versuch unterrichtet zu sein, äußert sich die Wirkung nach Einschalten des Stromes in mannigfacher Weise. Eigenartige Gefühle in den Beinen, teils auch im Kopf und im Magen, zuweilen auch starke Müdigkeit und ein prickelndes Gefühl in den Gliedern zeigen den elektrischen Strom an.« Er glaubt, eine Fernwirkung über mehrere Kilometer nachgewiesen zu haben.

Nadar (1978) schildert uns Balzacs (1799–1850) Ansicht, die Körper bestünden aus kleinen Schuppen oder Blättchen, von denen sich eine Schicht löst und auf die fotografische Platte gebannt wird. Er fürchtete sich davor, fotografiert zu werden. Mit Pendelversuchen wird von esoterischen Forschern die Stimmung der auf Fotos abgebildeten Personen und Tieren ergründet, weil die Fotografie angeblich auch Lebenszeichen ausströme. Die Befürchtung (z. B. heutiger Eingeborenenstämme und auch islamischer Kulturen), im Akt des Fotografierens werde ein Stück Seele weggenommen, ist also tief in unserer Geistesgeschichte verankert und auch wir sehen es normalerweise keineswegs gern, von Fremden fotografiert zu werden. Das aufgeklärte 19. und 20. Jahrhundert hat diese tiefere Schicht von Befürchtungen aber schnell in einen weniger bewussten Hintergrund verdrängt und die Fotografie als technischen Fortschritt gefeiert.

Für Bildnisse von Verwandten, Freunden und prominenten Zeitgenossen gab es schon vor der Fotografie eine rege Nachfrage. Sie wurde von Malern, Kupferstechern und Lithografen befriedigt. Natürlich war es kostspielig, ein Porträtbild anfertigen zu lassen. Je mehr Köpfe darauf abzubilden waren, um so teurer war es.