Aktuelle Aspekte der Pathogenese und Therapie der Schizophrenie

von: Hans-Jürgen Möller

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783211291092 , 145 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 29,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Aktuelle Aspekte der Pathogenese und Therapie der Schizophrenie


 

Das Konzept der Entwicklungsstörung in der Schizophrenie-Forschung (S. 81-82)

P. Falkai
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Bundesrepublik Deutschland

Einleitung

Emil Kraepelin führte in seinem Lehrbuch „Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studirende und Aerzte" (1899) aus, dass die Dementia praecox eine degenerative Erkrankung sei. Hierzu legt er dar: „Wir kommen somit zu dem Schlusse, dass in der Dementia praecox höchst wahrscheinlich eine theilweise Schädigung oder Vernichtung von Hirnrindenzellen stattfindet, die sich in einzelnen Fällen wieder ausgleichen kann, meist aber eine eigenartige, dauernde Beeinträchtigung des Seelenlebens nach sich zieht …" (Kraepelin 1899). Für eine Subgruppe von Patienten (20%) will er aber Anzeichen einer gestörten Entwicklung gesehen haben. Hierzu steht geschrieben: „In etwa 20% der Fälle waren von Jugend auf allerlei Eigenthümlichkeiten des Wesens bemerkt worden, Verschlossenheit, Aengstlichkeit, Schrullenhaftigkeit, Reizbarkeit, Neigung zu übertriebener Frömmelei oder zum Verbrechen. Auch körperliche Entartungszeichen fanden sich öfters, Kleinheit oder Verbildungen des Schädels, kindlicher Habitus, …" (Kraepelin 1899).

Es ist erstaunlich, wie modern Kraepelins Sichtweise zur Pathophysiologie der Schizophrenie, der Dementia praecox, in der damaligen Zeit ist und insbesondere, dass er für ca. 20% der Patienten klar umschriebene Störungen der Hirnentwicklung sieht. Im folgenden wird die Evidenz für und gegen die Entwicklungshypothese der Schizophrenie zusammengefasst, die neue Überlegungen zu regionenspezifischen pathopysiologischen Prozessen hervorbringt.

Evidenz für die Hirnentwicklungshypothese der Schizophrenie

Vor ca. 20 Jahren wurde die Hirnentwicklungshypothese der Schizophrenie unter anderem von Weinberger postuliert und als Konzept publiziert (Weinberger 1987). 13 Jahre später wurden die wesentlichen Aspekte erneut zusammengeführt (Marenco und Weinberger 2000). Nachfolgend wird eine eigene Gliederung zu diesem Thema angewandt, um wesentliche Aspekte der Neuro biologie der Schizophrenie darzustellen. Folgende Evidenzen sprechen für die Hirnentwicklungshypothese der Schizophrenie: 1. Klinisch-epidemiologische Evidenz Betrachtet man die einzelnen Entwicklungsschritte eines Menschen, so finden sich z.B. so genannte „minor physical anomalies" gehäuft bei Patienten mit einer Schizophrenie (z.B. Waddington et al. 1998). Diese sind z.B. minimale Formabweichungen in der Nasolabialfalte, des Augenabstandes etc., die über die normale Streuung einer Kontrollpopulation hinausgehen. Darüber hinaus zeigen Menschen, die später eine Schizophrenie entwickeln, in ihrer Kindheit quantitative Normabweichungen in den Bereichen motorische, kognitive und emotionale (soziale) Entwicklung, d.h., sie lernen später laufen, bleiben bezüglich der kognitiven Entwicklung ebenfalls hinter der Kontrollgruppe zurück und haben längere Zeit eine erhöhte Ängstlichkeit im Umgang mit Gleichaltrigen (Jones et al. 1998).

In der Phase der Prodromalsymptome, aber spätestens nach der Ausbildung der Erstmanifestation einer Schizophrenie, sind kognitive Störungen in allen Bereichen vorhanden. Bemerkenswerterweise verbessern sich diese im Verlauf der Erkrankung über zwei bzw. fünf Jahren unwesentlich oder nur in einzelnen Teilbereichen (Albus et al. 2002, Hoff et al. 1999). Insbesondere bei diesem Aspekt würde man bei einer klassischen degenerativen Erkrankung erwarten, dass sich kognitive Veränderungen im Krankheitsverlauf verschlechtern, oder – wenn der Krankheitsprozess mit Ausbildung der Erstmanifestation weitgehend zum Stillstand gekommen ist – dass unter Umständen eine tendenzielle Besserung auftritt.