Neglect und assozierte Störungen

von: Georg Kerkhoff

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840916632 , 117 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 19,99 EUR

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Neglect und assozierte Störungen


 

1 Beschreibung der Störung (S. 2-3)

1.1 Erscheinungsbild
Neglect, Hemineglect oder halbseitige Aufmerksamkeitsstörung bezeichnen die Nichtbeachtung von Reizen in der der geschädigten Gehirnhälfte gegenüberliegenden Raum- oder Körperhälfte sowie den verminderten Einsatz der Extremitäten dieser Körperhälfte. Ein Neglect kann in allen Sinneskanälen wie etwa dem Sehen, Hören, Fühlen und Riechen auftreten, sich in der mentalen Vorstellung (repräsentational) oder bei Bewegungen des Armes oder Beines auswirken (motorischer Neglect). Voraussetzung für die Diagnose Neglect ist, dass eine primäre sensorische Beeinträchtigung (Hemianopsie, Hemianästhesie, periphere Hörstörung) oder ein motorisches Defizit (Hemiparese) als alleinige Erklärung für das festgestellte Defizit ausgeschlossen werden kann. Der Neglect gehört zu den schwer zu behandelnden Störungsbildern, unter anderem wegen der fehlenden Einsicht (Unawareness) der Patienten1 und der vielfältigen Begleitstörungen. Daher weisen Neglectpatienten ein schlechteres Rehabilitationsergebnis auf als andere Patientengruppen und bedürfen intensiver stationärer und ambulanter Rehabilitation (Katz, Hartman-Maeir, Ring & Soroker, 1999).

1.1.1 Visueller Neglect
Patienten mit visuellem Neglect suchen überwiegend mit Augen- und Kopfbewegungen auf der intakten (ipsiläsionalen) Seite, haben eine nach ipsiläsional verlagerte, subjektive Geradeausrichtung im Raum und halbieren Objekte häufig zu weit rechts. Sie übersehen Objekte, Personen und Hindernisse auf der kontraläsionalen Seite oder reagieren zu spät auf sie. Ihr visueller Überblick ist deutlich reduziert und sie beginnen ihre Suche nach einer Person oder einem Gegenstand spontan fast immer auf der ipsiläsionalen Seite. Hier suchen sie wiederholt die gleichen Raumbereiche perseveratorisch ab und können ihren Blick nur schwer in die Kontraläsionale Raumhälfte richten. Viele Patienten in der Akutphase weisen auch eine nach ipsiläsional verschobene Augenposition (konjugierte Blickabweichung) im Ruhezustand auf.

Definition und typische Defizite verschiedener Neglectarten

Visueller Neglect

Patient sucht mit Hilfe von Augen- und Kopfbewegungen vorwiegend in seinem ipsiläsionalen Halbraum oder der ipsiläsionalen Körperhälfte. Auslassungen kontraläsionaler Reize beim Schreiben, Lesen, Zeichnen, Halbieren von Linien, Essen, Tischdecken, Rollstuhlfahren und Gehen. Die subjektive Geradeausrichtung ist nach ipsiläsional verschoben; veränderter Blickkontakt (aktiv = Bl. suchen; passiv = Bl. bemerken).

Auditorischer Neglect
Patient reagiert nicht auf Sprach- oder Umgebungsgeräusche aus der kontraläsionalen Raumhälfte bzw. lokalisiert diese falsch. Patient reagiert nicht oder verspätet auf Ansprache von kontraläsional, wendet sich nach ipsiläsional. Wenn mehrere Personen sprechen, wendet sich der Patient der am weitesten ipsiläsional stehenden zu, unabhängig davon wer gerade gesprochen hat. Ipsiläsionale Abweichung der wahrgenommenen subjektiven Geradeausrichtung im vorderen Halbraum.

Somatosensibler Neglect

Patient reagiert nicht auf Berührungsreize oder Schmerzreize (kalte/ heiße Flüssigkeiten; eingeklemmte Finger im Rollstuhl oder in den Speichen des Rollstuhls). Fehllokalisation von Berührungen in der kontraläsionalen Körperhälfte (z. B. wird die Wirbelsäule oft an einer falschen Position wahrgenommen).

Olfaktorischer Neglect
Gerüche, die ausschließlich dem kontraläsionalen Nasenloch angeboten werden, werden ignoriert. Dies spielt im Alltag nur eine geringe Rolle, da sich Gerüche rasch in beiden Raumhälften verteilen und dann dem ipsiläsionalen Nasenloch wahrgenommen werden.

Motorischer Neglect

Verminderter Gebrauch des kontraläsionalen Armes/Beines (nicht allein durch Parese verursacht); Arm schwingt beim Gehen nicht mit und wird bei beidhändigen Aktivitäten (Tablett halten, Einkaufswagen schieben) nicht oder zu wenig eingesetzt.

Repräsentationaler Neglect
Patient beschreibt kaum kontraläsionale Details aus einer vorgestellten Szene (eigenes Krankenzimmer, Wohnzimmer in der eigenen Wohnung, Städte auf der Deutschlandkarte), kann jedoch bei Perspektivenwechsel 180°-Rotation) durchaus solche Details beschreiben.