Die verspielte Gesellschaft (TELEPOLIS) - Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels

von: Nora S. Stampfl

Heise Verlag, 2012

ISBN: 9783936931860 , 128 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Die verspielte Gesellschaft (TELEPOLIS) - Gamification oder Leben im Zeitalter des Computerspiels


 

2 Gamification: Spiele schleichen sich in unser Leben


Etwas Gescheiteres kann einer doch nicht treiben in dieser schönen Welt als spielen. Mir kommt das ganze Leben vor wie ein Spiel.

Henrik Ibsen, norwegischer Schriftsteller, 1828–1906

Willkommen im Leben als Spiel! Wer sich heute noch mit To-Do-Listen herumschlägt und am Ende doch nichts erledigt bekommt, ist selber schuld – heute ist der Abwasch, die Autowäsche, der Einkauf ein Abenteuer, auf das man sich nach Manier von Videospielen begibt: Smartphone Apps verwandeln etwa die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermama in eine aufregende Schatzsuche in einem Fantasieland. Als gewitzter Zwerg oder schwerbewaffneter Krieger meistern wir diese Herausforderung und sammeln am Ende Gold und sonstige Belohnungen für das Erledigen der einzelnen Positionen auf unserer To-Do-Liste. Was früher eine Qual war, ist heute der reinste Spaß? Der gesamte Alltag ein Videospiel? EpicWin nennt sich die Anwendung, mit der noch die langweiligste Aufgabe des Alltags in ein aufregendes Abenteuer verwandelt wird: Wie in jedem Videospiel erschafft man sich dabei als Erstes einen nach eigenem Geschmack und Belieben aussehenden Avatar und legt sodann die Liste der »Quests« an – Babyfüttern, Wäschewaschen und die ganze restliche Hausarbeit werden solcherart in einen abenteuerlichen Kampf gegen den Alltag umfunktioniert und schon geht alles leichter von der Hand. Prokrastination und »Aufschieberitis« finden endlich ein Ende, denn es wollen schließlich Punkte gesammelt und ein Spitzenplatz auf der Rangliste eingenommen werden.

Abb. 1         Epic Win (Quelle: http://www.rexbox.co.uk/epicwin/media.html. Zugriff: 05.03.2012)
Der Alltag wird zum Kinderspiel: »Spieler« definieren für ihre zu erledigenden Aufgaben eine To-Do-Liste und versehen die einzelnen Pflichten mit Terminen (oben links); jeder Spieler wählt einen Avatar, der ihn in der Welt von EpicWin darstellt (oben Mitte); mit erfolgreicher Ausführung der Alltagsaufgaben verbessert sich das Profil des Avatars und er erklimmt höhere Levels (oben rechts); dafür gibt es natürlich auch Belohnungen, die mit Freunden getauscht werden können (unten links); auf einer Spielkarte ist exakt ersichtlich, welche Aufgaben bereits ausgeführt wurden und wann mit der nächsten Belohnung zu rechnen ist (unten Mitte); eine Übersicht der Kollektion von Belohnungsstücken zeigt, wo noch Lücken sind, die es zu füllen gilt, und die Übersicht lässt sich via Facebook und Twitter teilen (unten rechts).

Spiele schleichen sich mehr und mehr in unser Leben ein. Gehen wir einkaufen, so erhalten wir Treuepunkte, verreisen wir, sammeln wir Flugmeilen. Jeder kennt solche Strategien verschiedenster Unternehmen, Interaktionen unterhaltsam und kompetitiv zu gestalten mit der Intention, uns zum Wiederkommen zu bewegen. Auch wenn man bislang solche Maßnahmen niemals als Spiel aufgefasst hat, so weisen diese Kundenbindungswerkzeuge doch diverse Mechanismen auf, die der Spielwelt entliehen sind: das Sammeln von Punkten (oder Ähnlichem), das Erklimmen von höher gelegenen Levels, der Erwerb von Status – all dies sind kaum zu übersehende Parallelen zwischen Loyalitätsprogrammen und Spielen. Das Sammeln von Punkten für die Ausführung bestimmter Aufgaben, das Emporklettern auf Ranglisten, das Jagen nach Schätzen und sonstigen fantastischen Elementen, wie wir es sonst nur aus Videospielen kennen, ist nicht länger der virtuellen Welt vorbehalten. Solche Erscheinungen lösen sich vom Bildschirm und finden immer öfter ihren Weg in die reale Welt – dank Smartphones, Digitalkameras, Sensoren und dem zunehmend allgegenwärtigen Internet. Zudem wird unsere Umwelt bald an allen Ecken und Enden mit Technologie ausgestattet sein. Wir treten in ein Zeitalter der Wegwerf-Elektronik ein: Recheneinheiten, Sensoren und Kameras werden in nicht allzu ferner Zeit so billig sein, dass die gewöhnlichsten Alltagsgegenstände mit Elektronik ausgestattet sein werden – von der Kaffeetasse über Lebensmittelverpackungen bis hin zur Zahnbürste. All diese Dinge werden durch das Internet miteinander verbunden sein und schon haben wir eine Welt, in der alles, was wir tun, gemessen und verfolgt werden kann. Immer mehr fallen dadurch auch die Grenzen zwischen physischer und virtueller Welt, weswegen es nicht verwundert, dass auch Computerspiele immer weiter ins reale Leben vordringen.

Diese Allgegenwart billiger elektronischer Massenware führt auch dazu, dass wir es zunehmend mit Spielen ganz anderer Qualität zu tun haben werden, weil sie sich auf Technologien stützen, die die Fährten unseres Verhaltens lesen, aufzeichnen und messen können wie nie zuvor. Große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang etwa, dass bald kaum noch ein Mobiltelefon existieren wird, das nicht mit GPS ausgestattet ist. Damit ist sichergestellt, dass der Aufenthaltsort von Menschen nachvollziehbar wird, was auch schon zur Grundlage erster Spiele wurde. Beim lokationsbasierten Internetdienst Foursquare gilt es, möglichst oft an bestimmten Orten »einzuchecken« – dafür gibt es Punkte. Wer am meisten Punkte gesammelt hat, wird Mayor von Café, U-Bahnstation oder Supermarkt und erhält eine Krone. Besonders fleißige »Einchecker« werden mit »Badges« ausgezeichnet, außerdem zeigt eine Rangliste die Platzierungen. Nach Eigenauskunft von Foursquare jagen im April 2011 mehr als 8 Millionen Menschen weltweit den begehrten Mayorkronen hinterher, jeden Tag kommen 35.000 neue Nutzer hinzu. Insgesamt bringen es die Nutzer jeden Tag auf über 2,5 Millionen Check-ins. Und die teilnehmenden Partner von Foursquare erhöhen ihren Umsatz, indem ihnen Kunden gleichsam zugeführt werden.

Noch weiter treiben es die Londoner Verkehrsbetriebe mit Chromaroma, indem sie das gesamte öffentliche Verkehrsnetz in ein Spielbrett verwandeln. Ein großer Teil der Fahrten im öffentlichen Verkehrsnetz Londons wird mit der so genannten Oyster Card bezahlt. Im Mittelpunkt des 2003 eingeführten elektronischen Ticketsystems steht eine kontaktlose Smartcard, die jeweils bei Betreten und Verlassen des Verkehrssystems von einem Kartenleser ausgelesen wird. Die Oyster Card soll die Anzahl von Transaktionen an Ticketschaltern und -automaten reduzieren sowie Papiertickets so weit wie möglich ersetzen, gleichzeitig wird durch die weit verbreitete Verwendung der Karte natürlich ein gigantischer Datenschatten geschaffen, der genauestens Auskunft über die Bewegungen der Londoner Bevölkerung innerhalb des öffentlichen Verkehrsnetzes gibt. Und eben darauf baut die Idee von Chromaroma auf, mit der die Verkehrsbetriebe Londons das tägliche Pendeln in U-Bahn, Bus & Co. zu einer angenehmeren Erfahrung machen möchten. Es sind verschiedene Missionen zu erfüllen, Rätsel zu lösen und Badges und Punkte an bestimmten Stationen »abzuholen«. Einmal erhält man Punkte, wenn man die schnellste Verbindung zwischen zwei Stationen schafft, dann wieder hat man die Nase vorn, wenn man in der Rushhour eine Station früher aussteigt und zu Fuß läuft oder das Fahrrad nimmt. Gespielt wird entweder allein oder in Teams. Und Chromaroma hat große Ambitionen: Zum einen können sich die Entwickler des Spiels vorstellen, das Ganze global auszurollen und internationale Städte gegeneinander antreten zu lassen – London gegen Paris, Tokio gegen Moskau. Und zum anderen wird darüber nachgedacht, verschiedene Benutzeroberflächen anzubieten, bei denen sich die Spieler etwa im London des Viktorianischen Zeitalters oder in einem futuristischen London mit Unterwasserwelten wiederfinden.

Abb. 2         Chromaroma (Quelle: http://www.chromaroma.com/. Zugriff: 05.03.2012)
Gamification des Londoner Nahverkehrs: Chromaroma verwandelt die im öffentlichen Personennahverkehr Londons generierten Bewegungsdaten in ein Spiel. Mit jeder U-Bahn-, Bus- oder auch Fahrradfahrt werden Punkte gewonnen, Missionen erfüllt, Rekorde aufgestellt – Reisen wird zum Wettbewerb um die Stadt.

Spielmechanismen durchsetzen unser Leben


Die Liste der Beispiele ließe sich lange fortsetzen – eine Menge solcher Spiele entsteht derzeit und viel mehr werden noch kommen. Immer mehr unserer Lebensbereiche werden zukünftig mit Spielmechanismen durchsetzt sein und immer mehr werden Spiele zu unserem Leben gehören und das Verhältnis zu Unternehmen oder auch anderen Organisationen bestimmen – so wie im vorigen Jahrhundert Werbung einen großen Bestandteil unseres Lebens ausgemacht hat. Jeder Moment in unserem Leben wird zum Spiel, weil wir Punkte sammeln, Trophäen erkämpfen, Missionen erfüllen und dafür Belohnungen und Status erhalten, uns mit anderen messen und unseren Fortschritt stets präsentiert bekommen. Zähne geputzt? 10 Punkte! Hund Gassi geführt? 10 Punkte! Sport gemacht? 10 Punkte! Genauso stellt sich GreenGoose vor, Aktivitäten des täglichen Lebens zum Spiel zu machen, um den inneren Schweinehund zu besiegen: Das Unternehmen verkauft einen kleinen...