Weil du unwiderstehlich bist

von: Brenda Harlen

CORA Verlag, 2020

ISBN: 9783733729325 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Weil du unwiderstehlich bist


 

1. KAPITEL

Marco kniff die Augen zusammen und spähte durch die Windschutzscheibe seines kleinen SUVs, doch er hätte genauso gut mit verbundenen Augen fahren können, so schlecht war die Sicht.

Es war fast zwanzig Uhr. An diesem Abend im frühen Mai zeigte sich der Himmel nachtschwarz, und es goss wie aus Eimern, sodass die Scheibenwischer völlig überfordert waren. Marco konnte keinen Meter über die Lichtkegel seiner Scheinwerfer hinaussehen. Er rätselte fieberhaft, warum sich jemand bei einem solchen Wetter freiwillig auf die Straße begab, und trotzdem befand er sich hier, weil er seiner Schwester einfach nichts abschlagen konnte.

„Ich habe so schrecklich Lust auf Tiramisu“, hatte Renata ihren Anruf gerechtfertigt. „Ich würde ja selbst zum Restaurant fahren, aber Anna und Bella müssen gleich ins Bett.“

Mit dem Restaurant meinte sie Valentino’s – das von ihren Großeltern Caterina und Salvatore vor fast fünfzig Jahren eröffnete italienische Lokal in der Innenstadt von Charisma. Adrianna und Isabella, genannt Anna und Bella, waren Renatas fünf- und dreijährige Töchter, die Marco abgöttisch liebte. Er unternahm den Abstecher zu Renata also sehr gern, um Zeit mit seinen niedlichen kleinen Nichten verbringen zu können.

„Tiramisu, hm?“

„Ich kann nichts dafür, sondern das Baby!“, hatte Renata sich gerechtfertigt. Sie meinte ihr drittes Kind, mit dem sie gerade schwanger war.

Für plötzliche Schwangerschaftsgelüste war Marcos Meinung nach zwar der Vaters des Babys zuständig, und Marcos Schwager Craig würde bestimmt keine Sekunde zögern, seiner Frau sogar während eines Wolkenbruchs alles zu besorgen, was sie begehrte, aber vermutlich war er gerade bei einem Feuerwehreinsatz und konnte ihre Laune daher nicht erhellen.

„Das Baby wird sich allerdings noch mindestens eine halbe Stunde gedulden müssen“, hatte Marco gesagt. „Ich arbeite heute nämlich nicht im Restaurant.“

„Ach. Tut mir leid, ich dachte …“

„… dass ich rund um die Uhr bei Valentino’s schufte?“

„Ja, so ähnlich“, gab Renata zu.

„Heute ist doch Samstag!“, rief er ihr ins Gedächtnis. An Samstagen zwang er sich immer dazu, zu Hause zu bleiben, damit der Job ihn nicht komplett auffraß. Natürlich hatte er auch sonst manchmal frei, da das etablierte Restaurant praktisch von allein lief, ohne dass seine Geschwister oder Cousins und Cousinen ständig alles im Blick behalten mussten.

„Oh mein Gott, ich wusste ja nicht … Du hast ein Date! Ich störe dich gerade bei einem Date! Es tut mir ja so leid.“

„Nur die Ruhe, Nata. Ich war allein zu Hause und habe dort gearbeitet. Du störst gerade bei gar nichts.“

„Aber heute ist Samstag!“, wiederholte sie seine eigenen Worte. „Warum hast du kein Date?“

Marco schüttelte den Kopf. Renatas abrupter Themenwechsel und ihr strenger und zugleich besorgter Tonfall waren so typisch für sie, dass er nicht wusste, ob er lachen oder genervt seufzen sollte. „Ich bin in einer halben Stunde mit dem Tiramisu bei dir“, sagte er. „Dann kannst du mich persönlich ausquetschen.“

„Worauf du Gift nehmen kannst!“

Marco zweifelte nicht daran. „Steck die Mädchen noch nicht ins Bett, bevor ich da bin“, sagte er und beendete dann das Telefonat.

Also ließ er seine Entwürfe auf seinem Schreibtisch liegen, nahm seinen Autoschlüssel und rannte durch den Regen zu seinem Auto, um zu Valentino’s zu fahren.

Warum hast du kein Date?

Darauf fielen ihm während der Fahrt verschiedene Antworten ein, nur leider nichts Überzeugendes. Mit der Wahrheit – dass er es satthatte, mit den falschen Frauen auszugehen – würde Renata sich nämlich nicht abfinden. Sie würde ihn davon zu überzeugen versuchen, dass er nicht aufgeben durfte, weil die richtige Frau unter Garantie irgendwo da draußen herumlief und genauso sehnsüchtig auf ihn wartete wie er auf sie. Doch Marco hatte auch vom Warten die Nase voll.

Alle seine Geschwister waren inzwischen in festen Händen. Nata und Craig waren seit fast acht Jahren verheiratet, sein ältester Bruder Tony hatte vor neun Jahren seine Highschoolfreundin Gemma geehelicht, und Gabe hatte sich erst kürzlich mit Francesca verlobt, der Frau, in die er sich schon vor über zwei Jahren verliebt hatte, der er seine Gefühle jedoch erst neulich gestanden hatte. Seine Geschwister hatten ihre besseren Hälften gefunden und waren glücklich. Marco wollte das schon auch.

Du spürst es einfach, wenn es die Richtige ist, hallten Nonnas Worte in Marcos Hinterkopf wider. Sie hatte das erst neulich wieder auf Gabes und Francescas Verlobungsfeier zu ihm gesagt.

Caterina liebte es, die Geschichte von ihrer ersten Begegnung mit Salvatore zu erzählen, den sie erst am Tag der Vermählung kennengelernt hatte. „Es war, als würde der Blitz einschlagen. Ich hatte solche Angst, einen Fremden zu heiraten, aber als ich ihn sah, wusste ich, dass ich ihn immer lieben würde.“

Einundsechzig Jahre kamen dem Zeitraum immer ziemlich nahe, fand Marco. Und soweit er das beurteilen konnte, liebten seine Großeltern einander immer noch. Klar stritten sie sich oft – manchmal sehr laut und leidenschaftlich –, aber sie vertrugen sich auch schnell wieder. Nonna sagte immer, der Schlüssel zu einer langen glücklichen Ehe sei, nie allein oder wütend ins Bett zu gehen.

Marco zweifelte nicht daran, dass sie recht hatte. Nein, er war genauso davon überzeugt, dass man die wahre Liebe auf den ersten Blick erkannte. Nur allmählich fragte er sich, ob ihm dieses Glück jemals zuteilwerden würde.

Er war mit zahlreichen sehr sympathischen und zweifellos attraktiven Frauen ausgegangen, doch keine von ihnen war die Richtige gewesen, obwohl er wirklich sein Bestes versucht hatte. Bei jeder hatte er gehofft, in ihr diejenige gefunden zu haben, in die er sich Hals über Kopf verlieben würde. Leider erfolglos.

Also hatte er weiterhin auf die Richtige gewartet, wenn auch von Jahr zu Jahr ungeduldiger. Er war noch nicht ganz so weit aufzugeben, doch seine Zuversicht schwand allmählich dahin, obwohl er schon längst nicht mehr damit rechnete, dass bei ihm der Blitz einschlug. Ein bisschen Prickeln oder Knistern würde ihm schon reichen.

Als er rückwärts in seinen Parkplatz hinter dem Restaurant einparkte und den Motor ausstellte, war der Regen immer noch so heftig, dass Marco beschloss, gar nicht erst auszusteigen, sondern abzuwarten, bis das Schlimmste vorüber war. Nach ein paar Minuten war es endlich so weit. Marco beobachtete, wie sich die Take-out-Tür von Valentino’s öffnete und eine Frau mit einer Pizzaschachtel in einer Hand ins Freie trat. Sie schoss unter der rotweiß gestreiften Markise hervor und eilte über den Parkplatz. Marco sah ihr fasziniert hinterher.

Ihr Haar war kurz, dunkel und nass vom Regen. Sie trug keinen Mantel, nur ein Kleid, das ihre sehr hübsche Figur betonte. Trotz ihrer hohen Absätze war sie überraschend schnell. Als ein Blitz den Himmel durchzuckte und die Welt für den Bruchteil einer Sekunde in ein gleißendes Licht tauchte, blieb Marco fast das Herz stehen.

Die schöne Unbekannte öffnete die Tür eines hellen Wagens und schlüpfte hinters Steuer. Die Pizzaschachtel legte sie auf den Beifahrersitz, bevor sie die Tür schloss und die Innenbeleuchtung erlosch.

Marco hatte sie nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen, spürte jedoch ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust – eine Art Sehnsucht, die nur einen Schluss zuließ: Die Frau war die Richtige. Endlich hatte er sie gefunden!

Doch sein Glücksgefühl löste sich schlagartig in Frustration auf, als er die Rücklichter ihres Wagens in der Dunkelheit verschwinden sah. Was hatte er davon, die Richtige gefunden zu haben, wenn er sie vielleicht nie wiedersehen würde?

Als Marco ein paar Minuten später das Restaurant durch dieselbe Take-out-Tür betrat, sah er seine Schwägerin Gemma hinter dem Tresen stehen. Sie war eigentlich die Wirtin, sprang jedoch auch an anderer Stelle ein, wenn Not am Mann war.

Gemma blickte hoch, als sie die Türglocke hörte. „Was machst du denn hier?“, fragte sie lächelnd. „Es ist Samstagabend.“

„Renata sagt, ihr Baby schmachtet nach Tiramisu.“

„Oha, sie konnte noch nicht mal den Geruch von Kaffee ertragen, als sie mit Adrianna und Isabella schwanger war!“, erwiderte Gemma überrascht. „Wahrscheinlich hat Nonna recht, und es wird diesmal ein Junge.“

„Na ja, die Chancen stehen fifty-fifty.“

„Nonna hat prophezeit, dass Adrianna und Isabella Mädchen werden“, rief Gemma ihm ins Gedächtnis. „Und Christian und Dominic Jungs.“

„Und sie hat auch vorausgesagt, dass du mit Tony sechs Kinder bekommen wirst.“

Marcos Schwägerin lachte. „Tja, wer weiß, was noch alles passiert!?“

„Da wir gerade von Nonnas Prophezeiungen reden – hast du zufällig die Frau gesehen, die gerade hier rausgegangen ist?“

„Viele Frauen gehen hier raus. Manche kommen auch rein. Manchmal sogar Männer“, witzelte Gemma.

Marco verdrehte genervt die Augen. „Ich meine die letzte Kundin, die eine Pizza gekauft hat.“

„Jordyn Garrett?“

Marco sah seine Schwägerin überrascht an. „Du kennst sie?“

„Ja, sie ist die Cousine von Rachels Mann.“ Rachel Ellis – inzwischen verheiratete Garrett – war eine gute Freundin von Gemma.

„Kannst du mir noch mehr über sie erzählen?“

...