Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten - Roman

von: Jonas Jonasson

C. Bertelsmann, 2018

ISBN: 9783641231286 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten - Roman


 

INDONESIEN

Als Allan sich mit seinem neu erwachten, relativen Interesse für die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge ausgesöhnt hatte, konnte er mithilfe seines schwarzen Tabletts verlorenen Boden wiedergutmachen. Es begrüßte ihn mit der Nachricht von dem Norweger, der seinen eigenen See besaß und die darin lebenden Rotaugen und Brachsen mit Karotin-Pellets gefüttert hatte. Als die Hechte im See dann diese Fische fraßen, bekamen sie rosa Fleisch, woraufhin der Norweger sie herausfischte, filetierte und als Lachs verkaufte. Er minimierte die Risiken, indem er seinen Schwindelfisch ausschließlich nach Namibia exportierte, wo zufälligerweise prompt ein pensionierter Inspektor des Gesundheitsamts Oslo wohnte. Der Inspektor schlug Alarm, der Norweger wurde eingesperrt, und der Lachspreis in Südwestafrika konnte sich wieder auf normalem Niveau einpendeln.

So ging es weiter. Durch das schwarze Tablett freundete sich Allan wieder mit dem Leben an. Julius war unterdessen immer noch frustriert. Es waren ja bereits Monate vergangen, ohne dass er einen einzigen gaunerhaften Finger gerührt hätte. In seinen letzten Jahren als Krimineller zu Hause in Schweden hatte er sich mit einer harmlosen Variante des norwegischen Hechtlachses befasst. Er hatte Gemüse aus fernen Ländern importiert, es umpacken lassen und dann als schwedische Ware verkauft. Damit ließ sich viel Geld verdienen. Das kühle Klima im Norden, noch dazu eine Sonne, die niemals unterging, ließen Tomaten und Gurken langsam reifen und dabei ein Aroma von Weltklasse entwickeln. Oder, wie der große schwedische Dichter des neunzehnten Jahrhunderts, Carl Jonas Love Almqvist, es einmal ausdrückte: »Nur Schweden hat schwedische Stachelbeer’n.«

Für Stachelbeer’n interessierte sich Julius allerdings eher wenig, da war die Nachfrage zu gering. Aber mit grünem Spargel sah es schon anders aus. Sobald der Frühling in den Frühsommer überging, bezahlten die Leute vier bis fünf Mal so viel für ein Bündel Spargel – solange es nur schwedischer war.

Julius Jonssons schwedischer Spargel wurde damals aus Peru eingeführt. Die Geschäfte gingen lange gut. Aber dann wurde einer von Jonssons Zwischenhändlern übermütig und begann, auf dem Hötorget in Stockholm Gotländer Spargel zu verkaufen, mindestens fünf Wochen bevor man ihn auf Gotland überhaupt zu Gesicht bekommen konnte. Das führte zu Gerüchten über Unregelmäßigkeiten, und da wachte die schwedische Lebensmittelbehörde auf. Auf einmal gab es überall und ständig Kontrollen, wo es früher keine gegeben hatte.

Julius wurde binnen Kurzem drei ganze peruanische Lieferungen los, die beschlagnahmt und im Namen des Gesetzes vernichtet wurden. Außerdem wurden seine Zwischenhändler eingesperrt – im Gegensatz zu Julius. Tja, Zwischenhändlerschicksal.

Aber obwohl der lange Arm des Gesetzes nicht ganz bis zum Mastermind reichte, verlor Julius die Lust. Er hatte es satt, dass schwedische Produkte in den höchsten Himmel gehoben wurden. War etwa schon mal jemand an peruanischem Spargel gestorben?

Nein, ehrenhafte Gelegenheitsdiebe konnten es auch gleich lassen. Da ging Julius eben in Ruhestand. Er brannte zu Hause ein bisschen illegal Schnaps, wilderte ab und zu einen Elch, zapfte bei seinem Nachbarn Strom ab, ohne zu fragen, aber sonst nicht allzu viel. Bis ein alter Mann von hundert Jahren unerwartet an seine Tür klopfte. Der Alte erklärte, er heiße Allan, und er hatte einen gestohlenen Koffer dabei, den sie nach einem netten Abendessen mit Schnaps aufmachten. Wie sich herausstellte, enthielt er mehrere Millionen.

So kam das eine zum anderen und das andere zum nächsten. Julius und Allan schüttelten sämtliche hartnäckigen Typen ab, die ihr Geld zurückhaben wollten, und landeten auf Bali, wo sie jetzt alles sukzessive ausgaben.

Allan sah, dass Julius den Kopf hängen ließ. Er versuchte, seinen gelangweilten Freund zu inspirieren, indem er ihm von seinem schwarzen Tablett von der Unmoral in allen Weltengegenden vorlas. Rumänien, Italien und Norwegen hatten sie schon. Mit dem südafrikanischen Präsidenten Zuma ließ sich ein ganzes Frühstück bestreiten, weil der sich einen privaten Pool und ein Theater aus Steuergeldern finanziert hatte. Auch einer schwedischen Schlagerkönigin wurde die wohlverdiente Aufmerksamkeit zuteil, nachdem sie in ihrer Steuererklärung versucht hatte, sieben Kleider und achtzehn Paar Schuhe als Dienstreisen abzusetzen. Doch Julius ließ weiter den Kopf hängen. Er brauchte etwas zu tun, bevor er noch richtig depressiv wurde.

Allan, der sich in hundert Jahren um nichts und niemand Sorgen gemacht hatte, war gar nicht glücklich darüber, dass seinem Freund die Lebensfreude auszugehen schien. Es musste doch etwas geben, wofür er sich engagieren konnte?

Weiter kam er nicht mit seinen Überlegungen, denn da griff der Zufall ein. Es geschah eines Abends, als Allan mit dem schwarzen Tablett ins Bett gegangen war, während Julius spürte, dass er noch ein paar Sorgen zu betäuben hatte. Er setzte sich in die Hotelbar und bestellte sich ein Glas vom regionalen Arak. Der wurde aus Reis und Zuckerrohr gebrannt, schmeckte nach Rum und war so stark, dass einem die Augen tränten. Julius hatte festgestellt, dass einem ein Glas davon die Sorgen vernebelte und noch eines sie ganz vertrieb. Um noch ein bisschen Spielraum zu haben, gönnte er sich meistens ein drittes, bevor er zu Bett ging.

Das erste des heutigen Abends war schon geleert und das zweite auf bestem Wege, da waren Julius’ Sinne genügend angeregt, um zu bemerken, dass er nicht allein im Lokal war. Drei Stühle weiter saß ein asiatischer Mann mittleren Alters, ebenfalls mit einem Arak in der Hand.

»Prost«, sagte Julius ganz diskret und hob sein Glas.

Der Mann lächelte, woraufhin beide ihr Glas leerten und anschließend eine Grimasse zogen.

»Jetzt wird’s langsam besser«, meinte der Mann, der genauso viel Tränen in den Augen hatte wie Julius.

»Erstes oder zweites?«, fragte Julius.

»Zweites«, sagte der Mann.

»Bei mir auch.«

Julius und der Mann rutschten näher zusammen und beschlossen, sich jeder noch ein drittes davon zu bestellen.

Dann plauderten sie eine Weile, ehe der Mann sich vorstellte.

»Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas«, sagte er. »Angenehm!«

Julius schaute den Mann an, der ihm gerade seinen Namen genannt hatte. Und er hatte genug Arak intus, um laut zu denken.

»So heißt doch kein Mensch.«

Doch, manche schon. Vor allem, wenn sie indischer Herkunft waren. Simran undsoweiter war nach einem unseligen Vorfall mit der Tochter eines gar zu verständnislosen Mannes in Indonesien gelandet.

Julius nickte. Väter von Töchtern konnten verständnisloser sein als fast alle anderen Menschen auf der Welt. Aber deswegen hatte man doch keinen Namen, den auszusprechen man den ganzen Vormittag brauchte?

»Was meinen Sie denn, wie ich heißen sollte?«

Julius fühlte sich wohl in der Gesellschaft des landesflüchtigen Inders. Aber wenn sie hier zusammensaßen und sich anfreundeten, war das einfach nicht das Schlaueste mit dieser ganzen Namensreihe. Er musste die Gelegenheit nutzen.

»Gustav Svensson«, sagte Julius. »Das ist ein guter Name, sehr mundgerecht, kann man sich leicht merken.«

Der Mann sagte, er habe noch nie Probleme damit gehabt, sich Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas zu merken, stimmte aber zu, dass Gustav Svensson schon gut klang.

»Ist schwedisch, oder?«, fragte er.

»Ja.« Julius nickte wieder. »Schwedischer geht’s gar nicht.«

Und genau dann und dort begann seine neue Geschäftsidee in ihm zu keimen.

* * * *

Julius Jonsson und Simran undsoweiter lernten sich richtig schätzen, während das dritte Glas Arak zu wirken begann. Bevor der Abend vorüber war, hatten sie beschlossen, dass sie sich wiedersehen wollten. Am gleichen Ort zur gleichen Zeit, morgen Abend. Außerdem beschloss Julius, dass der Mann mit dem unmöglichen Namen Gustav Svensson heißen sollte. Simran Aryabhat Chakrabarty Gopaldas war es egal. Wie er bisher geheißen hatte, hatte ihm jetzt auch nicht übertrieben viel Glück gebracht.

Die Männer machten ein paar Wochen lang so weiter. Der Inder gewöhnte sich an sein neues Alias. Mochte es.

Er hatte genau an dem Tag unter seinem alten Namen im Hotel eingecheckt, als die beiden sich kennenlernten, und wohnte danach auch noch dort, während Julius und er Pläne zu einer zukünftigen Zusammenarbeit schmiedeten. Als der Hoteldirektor immer lauter sein Geld für den Aufenthalt des indischen Gastes einforderte, erzählte Gustav Julius, dass er vorhatte, diesen Ort endgültig zu verlassen. Ohne zu bezahlen. Und ohne eine Erklärung abzugeben. Die Direktion würde ja doch nicht verstehen, dass man Gustav nicht wirklich für Simrans Rechnung verantwortlich machen konnte.

Julius hingegen verstand es durchaus. Wann Gustav denn fortzugehen gedenke?

»Möglichst innerhalb der nächsten Viertelstunde.«

Auch das verstand Julius. Aber er wollte deswegen doch nicht seinen neuen Freund verlieren, also gab er ihm das Handy mit, das Allan ihm geschenkt hatte.

»Hier, ein Handy, damit man dich erreichen kann. Ich ruf dich vom Hotelzimmer aus an. Und jetzt lauf. Nimm den Küchenausgang – so hätte ich’s gemacht.«

Gustav befolgte Julius’ Rat und war weg. Später am Abend tauchte der Hoteldirektor auf, nachdem er über eine Stunde auf der Suche nach dem indischen, mittlerweile verschwundenen Gast herumgeirrt war.

Julius und Allan verfolgten gerade den Sonnenuntergang am Strand, auf je einem bequemen Stuhl mit...