Im wilden Meer der Leidenschaft

Im wilden Meer der Leidenschaft

von: Amanda McCabe

CORA Verlag, 2011

ISBN: 9783862956623 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 4,49 EUR

  • Zum Heiraten verführt
    Die dunkle Nacht des Mondes
    Gute Geister - Roman
    Codename Tesseract - Thriller
    Botschafter der unsichtbaren Welt - Wie der Dialog mit dem Jenseits unser Leben bereichert und heilt
    Hartland - Zu Fuß durch Amerika
  • Todesstoß - Thriller

     

     

     

     

     

     

     

     

 

Mehr zum Inhalt

Im wilden Meer der Leidenschaft


 

PROLOG

Venedig, im Jahre 1525

Er war es tatsächlich.

Bianca Simonetti spähte durch einen winzigen Spalt im Vorhang vor dem schmalen Fenster ihrer Kammer hinunter zu dem jungen Mann, der auf der engen Gasse stand. Obwohl sie lediglich sein perlenbesetztes Barett aus rotem Samt und seine glänzenden, schulterlangen dunklen Haare sah, wusste sie, dass er es war. Balthazar Grattiano.

In den vergangenen fünfzehn Jahren ihres jungen Lebens hatte sie noch nie jemanden wie ihn getroffen, der ihr Herz so in Aufruhr versetzte. Es pochte laut in ihrer Brust, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. Ein heißes, aufregendes Gefühl durchströmte sie bis in die Fingerspitzen, wenn sie ihn nur anschaute.

Sie wusste, dass sie bei Weitem nicht das einzige weibliche Wesen in Venedig war, auf das er eine solche Wirkung ausübte. Über seine dunklen grün-goldenen Augen, seine muskulösen Schultern und die markante Wölbung in seinen engen Hosen tuschelten errötende Frauen in der ganzen Stadt, von den Salons der Patrizier bis hin zu den beiden Freudenhäusern. Auch Bianca hatte schon viel über ihn gehört, denn alle diese Frauen, ob Adlige oder Hure, kamen mit ihren geheimen Wünschen zu ihrer Mutter.

Maria Simonetti, die schon seit Langem verwitwet war und ihren eigenen Hausstand führte, war die beste Wahrsagerin und Tarotkarten-Deuterin in Venedig. Natürlich konnte sie ihr Gewerbe nicht offen ausüben; Venedig war zwar nicht ganz so streng von der Inquisition überwacht wie Madrid, doch wollte niemand das Risiko eingehen, der Hexerei beschuldigt zu werden. So war das Untergeschoss von Marias Haus an einen Schneider und einen Perückenmacher verpachtet, während sie selbst der Wahrsagerei in einem verborgenen und diskret verhängten Hinterraum nachging.

Doch jedermann in der Stadt wusste stillschweigend über Marias Talent Bescheid. Besonders die Frauen. Sie kamen, um einen Blick auf ihre Zukunft zu erhaschen, Genaueres über ihre Ehemänner, Geliebten und Geschäfte zu erfahren. Sie kamen in Tränen, voller Hoffnung, manchmal sogar beschwingt und glücklich. Und häufig kamen sie mit flehentlichen Fragen über Balthazar Grattiano. Bianca, die so diskret im Hintergrund saß, beachteten sie nie, und so kam es, dass sie in alle Geheimnisse eingeweiht war.

Balthazar war gut aussehend, einer der attraktivsten Männer Venedigs. Um das zu wissen, reichte ein Blick auf ihn aus. Er war vermögend, denn er war der einzige Sohn des unermesslich reichen und mächtigen Ermano Grattiano. Balthazar war neunzehn, also im heiratsfähigen Alter und erwachsen genug, um die Verantwortlichkeiten eines patrizischen Edelmannes zu übernehmen. Doch er schien nicht geneigt, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen und zog es vor, seine Zeit mit Kurtisanen, Glücksspielen oder Trinken zu verbringen. Seine schockierendste Beschäftigung von allen bestand indes darin, den Schiffbau im Arsenal, der Schiffswerft von Venedig, zu beobachten.

All dies kam Bianca zu Ohren, genauso wie das Getuschel hinter vorgehaltener Hand über seine „Leidenschaftlichkeit“ im Schlafgemach, seine Undurchschaubarkeit und Unerreichbarkeit. Sie hörte die verlegenen, flehenden Fragen – würde er sie eines Tages zur Frau nehmen? Aus ihr seine offizielle Mätresse machen?

Doch Bianca kannte mehr von Balthazar als sein gutes Aussehen, seine Reichtümer und seine Fähigkeiten als Liebhaber. Sie sah in seine leuchtenden grünen Augen und erblickte darin eine Sehnsucht ähnlich der ihren. Eine tiefe, unendliche Traurigkeit.

Sie hatte die Begabung ihrer Mutter nicht geerbt. Die Karten waren für sie lediglich bunt bemalter Karton, die Zukunft ein unbeschriebenes Blatt. Doch seit ihrer frühesten Kindheit war sie in Menschenkenntnis unterrichtet worden. Sie hatte gesehen, wie die Besucher ihrer Mutter im Haus ein- und ausgingen, hörte ihre geheimsten Ängste und Wünsche und gewann Einblick in die guten und die schlechten Seiten der menschlichen Natur. Auf ihre eigene Art konnte sie in ihnen lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Und als sie Balthazar zum ersten Mal sah und in seine wunderschönen Augen blickte, entdeckte sie dort nicht die selbstgefällige Zufriedenheit, die man von solch einem privilegierten jungen Mann erwarten würde. Sie sah darin nur tiefe Traurigkeit – und kaum verhaltenen Zorn.

Normalerweise wäre die Wahrscheinlichkeit gering gewesen, dass sie jemandem wie Balthazar Grattiano begegnete. Sie hatten nicht den gleichen gesellschaftlichen Rang, und sie führten völlig verschiedene Leben. Ihre Mutter erlaubte Bianca hingegen, ihren Wahrsage–Sitzungen beizuwohnen. Maria weihte ihre Tochter in die Realitäten des Lebens ein, doch sie wachte auch über Bianca. So war es ihr nicht erlaubt, mit jungen Männern zu tanzen oder gar nach Einbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen. Dies galt ganz besonders für die gerade anstehende Karnevalszeit. Nur von den Besuchern ihrer Mutter hörte sie über die ausschweifenden Maskenbälle, auf denen reichlich Wein floss.

Auch Balthazars Vater, der mächtige und gefürchtete Ermano Grattiano kam seit einiger Zeit ins Haus ihrer Mutter, um sich von ihr die Karten legen zu lassen. Bianca wurde von ihrer Mutter hinausgeschickt, wenn er kam, doch hörte sie von der Magd, dass Ermano, der bereits drei Ehefrauen beerdigt hatte, wieder heiraten wolle. Er wünschte sich nichts sehnlicher als einen weiteren Nachkommen und glaubte fest, dass Maria ihm die zukünftige Mutter seines Erben enthüllen könne und dass sein Schicksal in den Karten stünde.

Von Zeit zu Zeit kam Balthazar mit seinem Vater zu diesen Sitzungen und wartete immer draußen in der Gasse auf ihn. Dort sah Bianca ihn zum ersten Mal, als sie eines Tages vom Markt nach Hause kam. Er lehnte, in einen pelzbesetzten Umhang gehüllt, an der abblätternden Stuckfassade und hielt ein geöffnetes Buch in den Händen.

Auch Bianca las leidenschaftlich gern, ein ungewöhnlicher Zeitvertreib für eine junge Frau. Sie studierte auch fremde Sprachen, Englisch und Spanisch, sowie Buchführung, sodass sie eines Tages ihr eigenes Geschäft würde führen können. Manchmal lieh ihr ein Buchhändler vom Rialto einige Schriften, nur reichte ihr dies nie aus, um ihre Wissbegier zu stillen. Sie war so erstaunt, einen solch gut aussehenden, reich gekleideten Mann lesend vor ihrem Haus zu sehen, dass sie ihre übliche Schüchternheit überwand und ihn neugierig fragte, was er denn lese.

Er blickte auf, und da sah sie sie – diese tiefe Traurigkeit, diese kaum gezähmte Wut, deren Grund sie nicht benennen konnte. Doch schien sie sich nicht gegen sie zu richten. Stattdessen lächelte er sie an und zeigte ihr sein Buch über die Schifffahrt, überrascht, dass sie Spanisch lesen konnte. Seit diesem ersten Treffen stieg Bianca jedes Mal, wenn Ermano kam, zu Balthazar hinunter, um mit ihm zu reden, zu erfahren, was er las, und um mit ihm über die Wunder der Welt außerhalb Venedigs zu sprechen – über den Glanz und die Pracht Englands, Spaniens, Frankreichs, des Osmanischen Reiches und sogar der neu entdeckten Inseln jenseits des Meeres.

Bianca hatte noch nie jemanden von solchen Dingen reden hören, und sie war fasziniert von diesem Ausblick auf eine neue Welt. Fasziniert auch von Balthazar selbst, von dem winzigen Einblick, den er ihr in seine Wünsche und Träume gewährte, die so tief unter seiner glanzvollen und sorglosen Fassade verborgen lagen. Von dem brennenden Verlangen, alles hinter sich zu lassen und in eine freie, ungewisse Zukunft aufzubrechen.

Doch diese neuen Möglichkeiten, die sich außerhalb ihrer vorgezeichneten Existenz auftaten, und der eigenartige junge Mann ängstigten sie auch.

„Warum“, fragte sie ihn einmal, „würdest du Venedig verlassen wollen? Du hast doch hier alles, was man sich erhoffen kann.“ Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand mehr vom Leben erhoffen könne als all das, wovon Balthazar reichlich besaß: Reichtum, Ruhm, einen alteingesessenen Familiennamen. Konnte sich nicht vorstellen, dass man von einem anderen Ort als Venedig träumen könne, der Stadt, die eine Welt für sich war, goldglänzend und auf Wasser erbaut. Sie selbst würde gewiss eines Tages heiraten und sich um ihre Familie kümmern, ihrem Mann helfen, sein Geschäft zu führen, und ihren häuslichen Pflichten nachgehen. Ihr einziger Trost war, dass sich dieses Leben in Venedig abspielen würde.

Auch Balthazar hatte keinen Grund, die Stadt zu verlassen und sein Glück in der neuen Welt zu suchen. Alles war ihm hier in die Wiege gelegt worden: Reichtum, Ruhm, Anerkennung. Wieso wollte er all das hinter sich lassen?

Doch er lächelte nur liebevoll und traurig und blickte sie aus seinen erfahrenen Augen an, die schon zu viel gesehen hatten. Viel zu viel. „Komm mit mir, Bianca“, sagte er und ergriff ihre Hand. Es war das erste Mal, dass er sie berührte und seine kühlen und starken Finger über die ihren legte. Eine plötzliche Welle wohligen Glücks durchflutete sie, die selbst bei dieser unschuldigen Berührung ihre Sinne übermannte. Sie behielt seine Hand fest in der ihren, bereit, ihm überallhin zu folgen, und sei es in die Tiefen der Hölle.

Doch er führte sie nicht ins Fegefeuer, sondern zum Ufer des nächsten Kanals, wo die Gondel seines Vaters wartete. Menschen hasteten an ihnen vorüber: Mägde mit ihren Marktkörben, ernste Patrizier in langen schwarzen Röcken, die den Staatsgeschäften nachgingen, in Satin gehüllte Kurtisanen, die Balthazar verführerisch anlächelten. Bianca sah und hörte sie alle nicht. Sie fühlte sich, als sei sie im Bann eines lautlosen, sonnendurchfluteten Zaubers. Sie war mit Balthazar zusammen,...