Aus dem Feuer geboren

Aus dem Feuer geboren

von: Linda Howard

MIRA Taschenbuch, 2011

ISBN: 9783862780501 , 304 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Aus dem Feuer geboren


 

1. KAPITEL


Sonntag

Dante Raintree stand mit verschränkten Armen da und beobachtete die Frau auf dem Bildschirm. Das Bild war schwarz-weiß, so konnte man die Details besser erkennen; Farben lenkten nur ab. Er konzentrierte sich auf ihre Hände, beobachtete jede ihrer Bewegungen. Was ihm am meisten auffiel, war allerdings, wie ungewöhnlich ruhig sie dasaß. Sie rutschte nicht auf ihrem Stuhl hin und her, sie spielte nicht mit den Chips, sah nicht die anderen Spieler an. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre erste Karte und fasste sie danach nicht mehr an. Dass sie eine weitere Karte wollte, signalisierte sie, indem sie mit dem Fingernagel auf den Tisch klopfte. Aber nur, weil sie den anderen Spielern keine Beachtung zu schenken schien, war sie keineswegs so harmlos, wie sie wirkte.

„Wie heißt sie?“, fragte er.

„Lorna Clay“, antwortete der Kopf seiner Sicherheitsleute, Al Rayburn.

„Ist das ihr richtiger Name?“

„Sie ist vollkommen sauber.“

Wenn Al sie nicht schon überprüft hätte, wäre Dante enttäuscht gewesen. Er bezahlte schließlich eine Menge Geld, damit Al effizient und gründlich arbeitete.

„Erst habe ich gedacht, sie zählt“, sagte Al. „Aber dafür ist sie nicht aufmerksam genug.“

„Sie ist aufmerksamer, als du glaubst“, murmelte Dante. „Man sieht es ihr nur nicht an.“ Ein Kartenzähler musste sich an jede gespielte Karte erinnern. Eigentlich galt es als unmöglich, Karten zu zählen, bei der großen Anzahl an Decks, die in einem Kasino verwendet wurden, aber trotzdem wollte kein Kasino einen Kartenzähler an seinen Tischen haben. Nichtsdestotrotz gab es diese seltenen Individuen, die sich ihre Gewinnchancen sogar bei mehreren Kartendecks ausrechnen konnten.

„Das habe ich auch gedacht“, sagte Al, „aber sehen Sie sich das an. Jemand, den sie kennt, kommt zu ihr, redet mit ihr, sie dreht sich um und unterhält sich mit ihm, bekommt überhaupt nicht mit, wie die Leute links von ihr spielen – und dreht sich nicht einmal um, als sie wieder an der Reihe ist, sie klopft nur mit dem Finger auf den Tisch. Und hol mich der Teufel, wenn sie nicht gewinnt. Da. Schon wieder!“

Dante sah sich die Aufnahme an, spulte sie zurück, sah sie noch einmal an. Dann ein drittes Mal. Es musste irgendetwas geben, was er übersah, aber er entdeckte nicht ein einziges verräterisches Zeichen.

„Wenn sie betrügt“, sagte Al mit einem Anflug von Respekt, „dann ist sie die Beste, die ich je gesehen habe.“

„Was sagt dein Bauch?“ Dante vertraute seinem Sicherheitschef. Al arbeitete seit dreißig Jahren im Kasinogeschäft, und einige Leute schworen darauf, dass er einen Betrüger erkannte, sobald er zur Tür hereinkam. Wenn Al glaubte, dass sie betrog, dann würde Dante etwas dagegen unternehmen – und sie würden sich diese Aufnahme nicht gemeinsam ansehen, wenn Al diesen Verdacht nicht hätte.

Al kratze sich am Kinn und dachte nach. Er war ein großer, breit gebauter Mann, aber er war alles andere als träge. Schließlich sagte er: „Wenn sie nicht betrügt, ist sie der glücklichste Mensch, der auf Erden wandelt. Sie gewinnt. Woche für Woche gewinnt sie. Nie große Summen, aber ich habe die Zahlen überprüft, und sie erleichtert uns jede Woche um etwa fünf Riesen. Verdammt, Boss, wenn sie das Kasino verlässt, steckt sie einen Dollar in einen Spielautomaten und ist um fünfzig reicher. Es ist nie die gleiche Maschine. Ich habe sie beobachten lassen, ich habe sie beschatten lassen, ich habe sogar überprüft, ob sich gleichzeitig mit ihr immer die gleichen Gesichter auf den Bändern finden lassen, aber ich kann keinen gemeinsamen Nenner finden.“

„Ist sie gerade hier?“

„Sie ist vor etwa einer halben Stunde gekommen. Spielt Blackjack, wie immer.“

„Wer ist ihr Geber?“

„Cindy.“

Cindy Josephson war Dantes beste Kartengeberin, und sie erkannte einen Betrüger fast ebenso gut wie Al. Sie arbeitete bei ihm, seit er das Inferno eröffnet hatte, und er vertraute darauf, dass sie ein ehrliches Spiel leitete. „Bring die Frau in mein Büro“, entschied Dante sich schnell, „und mach keine Szene.“

„Geht klar“, sagte Al, drehte sich auf der Stelle um und verließ das Sicherheitszentrum, wo Wände voller Bildschirme jede einzelne Ecke des Kasinos überwachten.

Auch Dante ging hinaus und in sein Büro. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Normalerweise würde er es Al überlassen, sich um einen Betrüger zu kümmern, aber er war neugierig. Wie stellte sie es an? Es gab eine Menge schlechter Betrüger, einige gute, und manchmal kam einer daher, der Geschichte machte: Der Betrüger, den man nicht erwischen konnte, auch wenn alle ihn beobachteten und die Kamera auf ihn gerichtet war – oder in diesem Fall auf sie.

Es war natürlich möglich, dass man einfach Glück hatte – zumindest das, was die meisten Menschen darunter verstanden. Das Schicksal konnte aus einem ewigen Verlierer einen Gewinner machen, und im Grunde lebten Kasinos ja von genau dieser Hoffnung. Aber das Glück selbst war alles andere als gewöhnlich, und er wusste, dass das, was viele dafür hielten, nicht selten etwas ganz anderes war: Betrug. Und dann gab es noch diese andere Art von Glück – jene nämlich, die ihm selbst hold war. Sie hing nicht vom Schicksal ab, sondern von dem, was er war; sie war eine angeborene Kraft und nicht eine von Fortunas Launen. Doch diese Kraft war selten, und die Chancen standen gut, dass die Frau, die er beobachtete, nur eine sehr gute Betrügerin war.

Ihre Fähigkeit ermöglichte ihr einen hohen Lebensstandard, dachte er bei sich, und rechnete nach. Fünf Riesen die Woche machten zweihundertsechzigtausend Dollar im Jahr, und das nur aus seinem Kasino. Wahrscheinlich besuchte sie alle, und achtete darauf, nicht zu viel zu gewinnen, damit sie nicht auffiel.

Er fragte sich, wie lange sie ihm schon ihre Besuche abstattete, wie lange sie schon ein wenig hier, ein wenig da gewann, ehe sie Al aufgefallen war.

Die Vorhänge vor der verglasten Außenwand seines Büros waren immer noch offen. Auf den ersten Blick wirkte es, also würde man einen überdachten Balkon betreten. Die Doppelglasfenster zeigten nach Westen, sodass er die Sonnenuntergänge betrachten konnte. Die Sonne stand schon tief am violett und gold getönten Himmel. Zu Hause in den Bergen zeigten die meisten Fenster nach Osten, in Richtung Sonnenaufgang. Irgendwie war es ihm ein Bedürfnis, die Sonne sowohl zu begrüßen als auch zu verabschieden. Ihr Licht hatte ihn schon immer angezogen, vielleicht, weil das Feuer sein Element war.

Er überprüfte seine innere Uhr: Noch vier Minuten bis Sonnenuntergang. Er wusste genau, wann die Sonne hinter den Bergen verschwinden würde. Er besaß keinen Wecker. Er brauchte keinen. Er war so fein auf den Stand der Sonne eingestimmt, dass er nur in sich selbst hineinhorchen musste, um die genaue Zeit zu wissen. Er war einer der Menschen, die sich nur vornehmen mussten, zu einer bestimmten Zeit aufzuwachen, und es dann auch taten. Diese besondere Gabe hatte nichts damit zu tun, dass er ein Raintree war, also musste er sie nicht verbergen; viele andere Menschen teilten diese Fähigkeit mit ihm.

Andere seiner Talente hingegen verlangten es, gründlich verborgen zu werden. Die langen Sommertage verliehen ihm ein fast sinnliches Hochgefühl, er konnte die Energie, die in ihm brummte, dicht unter seiner Haut spüren. Er musste in dieser Zeit besonders aufpassen, dass sich Kerzen in seiner Nähe nicht einfach entzündeten, oder dass er mit nur einem Blick in einen Busch, der trocken wie Zunder war, ein Lauffeuer verursachte. Er liebte Reno; er wollte es nicht abbrennen. Nur fühlte er sich so verdammt am Leben, wenn das Sonnenlicht auf ihn hinabströmte, dass er die Energie durch sich hindurchfließen lassen wollte, statt sie in sich zu verwahren.

So musste sich sein Bruder Gideon fühlen, wenn er Blitze anzog und sich ihre heiße Kraft durch seine Muskeln und seine Adern ausbreitete. Das hatten sie gemeinsam, diese Verbindung mit den Naturgewalten. Alle Mitglieder des weit verzweigten Raintree-Clans hatten eine Gabe, eine besondere Fähigkeit, aber nur Mitglieder der königlichen Familie konnten die Energien der Erde einfangen und kontrollieren.

Dante war nicht nur Mitglied der königlichen Familie, er war der Dranir, der Führer der gesamten Sippe. „Dranir“ war ihre Bezeichnung für „König“. Dante war der älteste Sohn des letzten Dranirs, aber die Position wäre ihm aberkannt worden, wenn er nicht auch dessen Macht geerbt hätte.

Gideon stand an zweiter Stelle. Wenn Dante etwas zustoßen sollte, oder er kinderlos starb, würde Gideon Dranir werden – eine Möglichkeit, die seinem Bruder überhaupt nicht gefiel, was auch den Fruchtbarkeitszauber auf Dantes Schreibtisch erklärte. Er war gerade am Morgen mit der Post gekommen. Gideon schickte sie ihm regelmäßig, nur teilweise als Scherz. Tatsächlich setzte er alles daran, dass Dante einen Nachkommen zeugte und er damit die Chancen erhöhte, selbst niemals diese Stellung zu erben. Immer, wenn es ihnen gelang, sich zu treffen, musste Dante sorgfältig jede Ecke, jeden Winkel und jede Falte seiner Kleidung durchsuchen, um sicherzugehen, dass Gideon nicht einen seiner cleveren kleinen Zauber versteckt hatte.

Gideon wurde, wie Dante feststellte, immer besser darin, diese Zauber zu fertigen. Übung machte schließlich den Meister, und wirklich, er hatte eine Menge dieser Zauber hergestellt in den letzten Jahren. Sie waren jetzt nicht nur mächtiger, er benutzte auch eine andere Herangehensweise. Einige von ihnen waren offensichtlich kleine silberne Schmuckstücke,...