Unendlich wie die Sehnsucht

Unendlich wie die Sehnsucht

von: Melanie Milburne

CORA Verlag, 2010

ISBN: 9783942031769 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,49 EUR

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Unendlich wie die Sehnsucht


 

1. KAPITEL

Ihr war, als sei die Hochzeit ihrer besten Freundin erst gestern gewesen. Und jetzt … jetzt war sie bei deren Beerdigung. Laura ist tot. Laura … und auch Rick …, dachte Sabrina, während sie mit verweinten Augen auf die Särge blickte, die soeben an ihr vorbei aus der Kirche getragen wurden.

Sie schlug die Augen nieder, als der glutvolle Blick von einem der Männer sie traf, die den Sarg trugen. Wie unpassend, dachte sie, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte. Ein Prickeln lief über ihren Nacken. Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt, konnte sie immer noch diesen Blick auf ihrer Haut spüren, wie den Hauch einer Liebkosung.

Instinktiv drückte sie Liv enger an sich, dann folgte sie langsam der Prozession der Trauergäste. Gott sei Dank wird Liv sich nie an den furchtbaren Unfall erinnern! Den Autounfall, der das vier Monate alte Baby so grausam seiner Eltern beraubt hatte. Sabrina hingegen würde niemals den schweren Geruch der Lilien vergessen können. Auch nicht die Trauer, die sich auf den Gesichtern der Freunde spiegelte, als die Särge in die Erde gelassen wurden und damit die grausame Gewissheit unterstrichen, dass Liv jetzt ganz allein auf der Welt war.

Nach der Beerdigung fanden sich die Trauergäste im Haus von Lauras Stiefmutter noch zu einem kleinen Umtrunk ein.

Ingrid Knowles war als leidgeprüfte Hinterbliebene ganz in ihrem Element. Mit einem stets gut gefüllten Glas Weißwein in der Hand ging sie von Gast zu Gast. Ihr Make-up war wie immer makellos, und jede Strähne ihres wasserstoffblonden, sorgfältig frisierten Haares zeugte von der Hingabe eines teuren Friseurs.

Sabrina hielt sich mit Liv ein wenig abseits, damit das Kind zur Ruhe kommen konnte. Die meisten von Lauras und Ricks engeren Freunden waren nur kurz geblieben – nur einer war noch da: Mario Marcolini. Dieser hatte sich gleich nach seiner Ankunft in eine ruhige Ecke zurückgezogen. An die Wand gelehnt stand er seitdem unbeweglich da. Er aß nichts, er trank nichts. Auf seinem Gesicht lag ein finsterer Ausdruck. Mit steinerner Miene beobachtete er das Treiben um sich herum.

Verstohlen warf Sabrina ihm hin und wieder einen Blick zu – und jedes Mal schien auch seiner gerade auf ihr zu ruhen.

Verlegen wandte Sabrina den Kopf ab. Eine feine Röte überzog ihre Wangen, als sie daran dachte, was bei der letzten Begegnung zwischen ihnen vorgefallen war.

Sie war Liv fast dankbar, als diese plötzlich zu weinen begann und Sabrina sich zurückziehen konnte, um sich um das Kind zu kümmern.

Als sie kurze Zeit später wieder den Salon betrat, war der Platz an der Wand leer. Sie nahm an, dass Mario gegangen war, und seufzte erleichtert auf, doch plötzlich spürte sie hinter sich eine Bewegung und erstarrte.

„Ich habe nicht erwartet, dich so bald wiederzusehen“, erklang Marios sonore Stimme direkt neben ihr.

„Ich … ich auch nicht“, erwiderte sie mit zitternder Stimme und wandte sich um, Liv schützend an sich gepresst. Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Was ist nur mit mir los?, fragte sie sich. Warum fühle ich mich in seiner Gegenwart immer wie ein Schulmädchen, das nicht bis drei zählen kann? Krampfhaft suchte sie nach Worten, um die Spannung zwischen ihnen zu durchbrechen, aber ihr wollte einfach nichts einfallen. Trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre fühlte sie sich diesem gut aussehenden, weltgewandten Mann gegenüber linkisch und unbedarft.

„Es ist wirklich sehr nett von dir, dass du zur Beerdigung gekommen bist. Obwohl du doch kürzlich erst abgereist bist. Und Australien liegt ja nun auch nicht gerade um die Ecke.“

„Das war ja wohl das Mindeste, findest du nicht?“ Marios Stimme hatte einen seltsamen Unterton, als fiele es ihm schwer, zu sprechen.

Wieder breitete sich zwischen ihnen ein spannungsgeladenes Schweigen aus.

Nervös fuhr Sabrina sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Sie versuchte, jeden Gedanken an das, was vor ein paar Wochen zwischen ihnen beiden geschehen war, aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber es wollte ihr nicht gelingen. Wieder war da diese Nähe … diese Nähe, die sie auch damals verleitet hatte …

„Lauras Stiefmutter scheint ja ganz in ihrem Element zu sein“, unterbrach Mario ihre Überlegungen.

„Ja. Sieht ganz danach aus. Ich bin nur froh, dass Lauras Vater nicht da ist. Laura wäre das Ganze so peinlich.“ Sabrinas Stimme versagte. Sie biss sich auf die Lippen und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die in ihren Augen aufstiegen.

Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Die Wärme seiner Finger drang durch den Stoff des Kleides. Sabrina hatte das Gefühl, als würde ihr Blut schlagartig zu kochen beginnen.

Sie hob ihren Blick und sah Mario an. „Es tut mir leid. Ich versuche ja, stark zu sein … allein schon Livs wegen, aber manchmal … manchmal …“

„Du musst dich doch nicht entschuldigen.“ Er betrachtete das schlafende Kind in ihren Armen. „Meinst du, Liv spürt irgendwie, was passiert ist?“

Sabrina blickte auf das winzige Wesen hinab und seufzte tief auf. „Sie ist doch erst vier Monate alt, wer kann schon wissen, was in ihr vorgeht? Sie trinkt ihr Fläschchen wie immer und schläft auch gut. Wahrscheinlich, weil sie an mich gewöhnt ist. Ich habe ja schon öfter auf sie aufgepasst.“

Wieder entstand ein unangenehmes Schweigen. Die Luft zwischen ihnen war zum Schneiden, so aufgeladen war die Atmosphäre.

„Können wir irgendwo in Ruhe reden?“, fragte Mario unvermittelt.

Eine eiskalte Hand schien nach Sabrinas Herz zu greifen. Sie hatte sich damals geschworen, nie mehr mit Mario Marcolini allein in einem Raum zu bleiben. Es war einfach zu gefährlich. Der Mann war ein unverbesserlicher Playboy. Selbst in einem Moment wie diesem versprühte er einen unwiderstehlichen Charme. Seine Augen signalisierten eine deutliche Einladung, die Sabrina selbst in dieser Situation nicht unberührt ließ. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, der aber doch lang genug war, um auf Marios Gesicht, seinem Mund zu verweilen. Wieder dachte sie zurück an die Situation damals … als sie von diesen Lippen gekostet hatte. Als sie in seinen Armen gelegen hatte, eng an ihn geschmiegt. So eng, dass jede Faser ihres Körpers mit dem seinen zu verschmelzen schien.

Genug!, rief sie sich innerlich zur Ordnung. Jetzt war bestimmt nicht der richtige Moment, daran zurückzudenken. An den Augenblick, als sie sich wie ein willenloses, einfältiges Dummchen verhalten hatte. Energisch straffte sie ihre Schultern und deutete mit dem Kinn auf eine Tür. „Dort im Büro. Ich habe Livs Kinderwagen und die Tasche mit den Babysachen da abgestellt.“

Mit leicht zitternden Knien ging sie voran. Sie konnte seinen Blick förmlich in ihrem Rücken spüren. Bestimmt vergleicht er mich mit den strahlend schönen Frauen, mit denen er sich daheim in Europa umgibt, dachte sie unbehaglich. Seine letzte Freundin war ein berühmtes Model gewesen. Gertenschlank natürlich, mit platinblonden Haaren und einem Busen … Aber wahrscheinlich hatte Mario schon wieder eine andere. Er war berüchtigt dafür, dass er seine Freundinnen wechselte wie andere Männer die Hemden.

Das war eine Welt völlig jenseits von Sabrinas Vorstellungsvermögen. Sie selbst sehnte sich nach Liebe, Sicherheit und Nähe. Und jemand wie Mario Marcolini wäre der Letzte, der ihr dies geben könnte. Er war zwar schön wie die Sünde – wenn man das von einem Mann so sagen konnte –, aber irgendwie war er auch nicht von dieser Welt. Zumindest nicht von der, in der sie lebte. Und das würde sich auch nie ändern. Mit ihrem linkischen und ungeschickten Versuch, ihn auf sich aufmerksam zu machen, hatte sie das mehr als bewiesen – damals bei Livs Taufe.

Sabrina betrat das Büro und legte Liv in den Kinderwagen. Sorgsam deckte sie das Kind mit einer rosa Decke zu, bevor sie sich zu Mario umdrehte. Sie kämpfte gegen den Impuls, ihn einfach anzustarren. Er war einfach zu gut aussehend. Atemberaubend geradezu, mit seinem rabenschwarzen gelockten Haar und den dunklen feurigen Augen. Neben ihm kam sie sich vor wie eine graue Maus.

Mario schloss energisch die Tür. Die nun eingetretene Stille lastete schwer auf Sabrina. Sie war sich nur allzu deutlich bewusst, auf engstem Raum mit Mario allein zu sein. Ein, zwei Schritte nur, und er würde sie berühren können.

Sein Blick suchte ihre Augen, und als hätte er irgendeine unerklärliche Macht über sie, stand sie bewegungslos da und sah ihn an. „Wir zwei haben ein Problem … ein Problem, das wir schleunigst klären müssen.“

Sabrina wusste, was nun kommen würde. Sie hatte versucht, sich auf diesen Moment vorzubereiten, doch wenn es hart auf hart kam, hatte sie ohnehin keine Chance. Mario würde Liv nach Italien mitnehmen, und sie würde nichts dagegen tun können. Sie würde ihr Patenkind nie mehr wiedersehen. Wie sollte sie sich mit diesem reichen, mächtigen und rücksichtslosen Mario Marcolini messen können?

„Man hat dir gesagt, dass wir beide zu Livs Vormund bestimmt sind, oder?“

Stumm nickte Sabrina. Vor ein paar Tagen erst hatte der Notar ihr mitgeteilt, Laura und Rick hätten sie und Mario gemeinsam als Vormund eingesetzt, sollte ihnen etwas zustoßen. Er hatte sie auch darauf vorbereitet, dass Lauras Stiefmutter dies anfechten würde. Diese hielt sich – und ihren neuen Ehemann – für weitaus geeigneter, Liv eine gesicherte Zukunft zu bieten.

Der Notar hatte unmissverständlich klargemacht, er sähe wenig Chancen für Sabrina, Liv zu...