John Sinclair 706 - Das Galgen-Trio

von: Jason Dark

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783838734361 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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John Sinclair 706 - Das Galgen-Trio


 

Das Galgen-Trio


Dunkelheit!

Schwarz wie Tinte, absolut, ohne einen winzigen Lichtschimmer. Bedrückend, gefährlich und still. Dann die Schritte. Irgendwo in der Dunkelheit klangen sie auf. Hinterließen dumpfe Echos, die im Raum verhallten. Die Person setzte ihre Füße hart auf, und in das Echo hinein erklang ein Schleifen, wenn das eine Bein nachgezogen wurde.

Diese Schrittfolge blieb immer gleich. Als hätte jemand einen Automaten in Bewegung gesetzt. Bis diese Geräusche aufhörten …

Wieder kehrte die Stille zurück und senkte sich bleiern in die Dunkelheit hinein.

Ein Zustand, der nicht lange andauerte, denn die Ruhe wurde unterbrochen.

Diesmal nicht von einem Schritt, es war ein schwerer, seufzender Atemzug, der in sie hineinglitt, allmählich verklang, sich dann wiederholte und dem ein Räuspern folgte.

Irgendwo aus der Dunkelheit erklang eine Stimme. Sehr besorgt im Tonfall, dennoch fragend. »Ist alles in Ordnung, Sir?«

»Ja, William …«

»Das freut mich, Sir. Kann ich dann beginnen? Sind Sie soweit?«

»Sicher.«

Der Frager zeigte sich noch nicht zufrieden. »Sie stehen auch richtig, Sir?«

»William, bitte …« Die Stimme des Sprechers klang ärgerlich und gleichzeitig müde.

»Pardon, Sir.«

Irgendwo in der Dunkelheit erklang ein leises Rascheln und Schleifen. Etwas bewegte sich, erzeugte einen leichten Wind, der die drückende Schwüle durchbrach.

Dann kam die Stille zurück.

»Licht, William, Licht …«

»Sofort, Sir!«

Augenblicke später schimmerten kleine Lampen auf.

»Du kannst beginnen, William!«

»Sehr wohl, Sir.«

Im Hintergrund des Raumes, der nach wie vor im Dunkeln lag, erklang ein leises Summen, als der Filmprojektor Saft bekam. Noch ein kurzes Zucken aus Schatten und Licht, dann erschienen die ersten Bilder.

Eine düstere Landschaft wehte über die Leinwand. Sie konnte irgendwo auf der Welt liegen, es gab keinen Fixpunkt, der zur Orientierung hätte dienen können.

Die Landschaft war nicht flach. Sie zeigte Hügel und Täler. Hänge, die mit Wald bewachsen waren, einen grauen Himmel ohne Sterne, dafür tiefhängende Wolken. Sie sahen aus, als wollten sie alles, was sich unter ihnen befand, einpacken.

Ein gewaltiger Schwenk mit der Kamera. Der Rundblick über die einsame Gegend.

Dann die Konzentration auf einen bestimmten Punkt. Es war einer dieser flachen Hügel, die wie Buckel aus dem Gelände ragten. Die meisten Hügel waren nicht bewachsen.

Dieser schon.

Zuerst nicht richtig erkennbar, dann aber besser zu sehen, weil das Zoom-Objektiv eine Nahaufnahme ermöglichte.

Leer war der Hügel nicht.

Drei makabre Gegenstände erhoben sich wie schaurige Warnungen.

Drei Galgen.

Und in den Schlingen schaukelten drei Gehängte!

*

William stoppte den Film. Er wusste, was er zu tun hatte, niemand brauchte ihm etwas zu sagen.

Und er wartete.

Nach wie vor hielt er sich im Dunkeln auf. Wenn er nach vorn schaute, sah er nicht nur die Leinwand, sondern davor auch den Schatten seines Brötchengebers, der sich nicht bewegte, ihm den Rücken zudrehte und auf die Leinwand schaute.

Es gab wohl keinen zweiten Menschen auf der Welt mehr, der sich dieses makabre Bild mit einer derartigen Intensität angeschaut hätte wie Claus von Aragon, aber es war wie ein Zwang, dorthin zu schauen. Er musste es einfach sehen. Für William grenzte es an Masochismus, sich dies anzutun, aber er sagte nichts, hielt den Mund, denn sein Chef hatte das Sagen, er bezahlte ihn.

Er hörte ihn stöhnen, er sah, wie sich der Rücken des Mannes bewegte. Sein Atem ging schwer. Dabei drangen pfeifende Geräusche über seine Lippen, und mit jedem Atemzug senkte er den Kopf weiter nach vorn und fiel immer mehr zusammen.

Er quälte sich, es ging ihm nahe, aber er musste sich den Film immer und immer wieder ansehen. Es glich einem Ritual, und William, der Butler, fragte sich, wann sein Brötchengeber Claus von Aragon endlich den Mut und die Kraft fand, sein Versprechen einzulösen.

Er hatte es immer wieder gesagt, er hatte es versprochen, aber die Zeit floss dahin, und nichts tat sich. Nur immer wieder die leeren Versprechungen und zuvor die Qual, wenn er vor dem Bild stand, jede Einzelheit in sich einsaugte und dabei litt wie ein Hund in der Hitze.

Mit jeder Sekunde, die verstrich, schien sein Körper an Kraft zu verlieren. William beobachtete sehr besorgt die Reaktionen seines Chefs. So schlimm wie heute war es eigentlich lange nicht mehr gewesen.

Bisher hatten wenige Minuten ausgereicht, um die Qual zu beenden. Darauf lief es auch heute hinaus, aber es war trotzdem anders, denn durch Claus von Aragons Gestalt glitt ein Zittern, und das Stöhnen aus seinem Mund hörte sich schlimm an.

»Sir!«, rief William.

Von Aragon antwortete nicht. Er zitterte nicht mehr, es hatte sich verschlimmert, denn jetzt schwankte sein Körper von einer Seite zur anderen. Es fehlte nicht viel, dann würde er sich nicht mehr auf den Beinen halten können und fallen.

Das wollte der Butler nicht riskieren. Er spürte, dass er seinem Dienstherrn zu Hilfe eilen musste, und bewegte sich mit raschen Schritten voran. Er lief lautlos, Claus von Aragon sollte erst gar nicht auf die Idee kommen, dass etwas anders lief als eingeplant.

Dann war er da, breitete die Arme aus, wollte von Aragon ansprechen, was er nicht mehr schaffte, denn mit einem leisen Schrei auf den Lippen kippte der Mann zurück.

Der Butler stand hinter ihm. Sehr günstig sogar. Er streckte die Arme vor und fing den Mann auf.

Keuchend, wobei sich die Brust unter den schweren Atemzügen hob und senkte, lag der Mann in seinen Armen. William schaute von oben her in sein Gesicht, das ihm so bleich vorkam wie eine Totenmaske. Die Augen waren weit geöffnet, die Lippen zitterten, und kleine Speichelbläschen erschienen vor dem Mund.

»Was haben Sie, Sir?«

»Weg, William … bring mich weg.«

Der Butler war besorgt und trotzdem zufrieden. Claus von Aragon schien vernünftig zu werden. Er hatte wohl endlich eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, sich immer wieder zu quälen. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo er die schon lange versprochenen Maßnahmen endlich einleiten würde.

Zum Glück war William kräftig genug. Er konnte den Mann auf seine Arme legen. Wie ein Kind trug er ihn aus dem großen Raum. Den Projektor stellte er nicht ab, und so blieb das Bild auf der Leinwand wie ein finsteres Omen zurück.

William brachte Claus von Aragon in dessen Arbeitszimmer, wo er ihn auf einer Couch niederlegte.

Er brachte ihm etwas zu trinken. Alten Whisky, ohne Eis, aber mit Wasser dazu.

Allmählich erholte sich der Mann. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Er trank in langsamen Schlucken, ohne jedoch den guten Whisky richtig genießen zu können.

William stand neben ihm und wartete. Es brannte nur eine Lampe im Zimmer. Ihr Licht floss wie ein weicher Teppich über die beiden so unterschiedlichen Männer hinweg.

»Du erinnerst dich, dass ich dir etwas versprochen habe, William?« Die Stimme klang nicht mehr so matt. Sie hatte wieder an Energie zurückgewonnen.

»Ja, Sir.« William sagte immer Sir, obwohl Claus von Aragon kein Brite, sondern Spanier war. Aber sie lebten auf der Insel, und William war nun mal Brite.

»Ich werde es halten, William.«

Der Butler besaß eine breite Stirn. Als er sie krauste, bekam sie die Form eines Waschbretts. »Darf ich das jetzt als endgültig ansehen, Sir?«

Von Aragon lächelte. »Du traust mir nicht, William – oder?«

»Sir, so direkt will ich das nicht sagen. Aber Sie haben schon öfter davon gesprochen.«

Er stellte das Glas weg. »Ich weiß, William, und ich werde dich auch manches Mal enttäuscht haben. Aber diesmal ist es mir ernst. Du kennst unseren Plan noch?«

»Wie könnte ich ihn je vergessen, Sir?«

»Wir werden ihn durchziehen. Und du bist einer der wichtigsten Punkte darin.«

William deutete eine Verbeugung an. »Danke, Sir, ich fühle mich sehr geehrt.«

Claus von Aragon richtete sich auf. Und plötzlich blitzten seine Augen. »Nichts steht ihm mehr im Wege, gar nichts. Ich möchte dich bitten, alles in die Wege zu leiten.«

Wieder deutete der Butler eine Verbeugung an. »Sir, ich werde mein Bestes tun.« Er ging davon, und Claus von Aragon schaute ihm nach. Seine Augen sahen aus, als wären sie mit dunklem Eis gefüllt worden …

*

Es war ein wunderschöner Sommerabend!

Nicht schwül, nicht drückend, nicht durchwebt von zahlreichen Umweltgerüchen, sondern herrlich lau, weich, angereichert von einem leichten Wind, der Kühlung verschaffte, aber trotzdem so mild war, dass die Menschen keine Strickjacken brauchten und den Abend draußen auch im Shirt genießen konnten.

Dann saßen sie oft unter den Bäumen und lauschten den Blättern nach, die der Wind bewegte und gegeneinanderrascheln ließ, sodass ein geheimnisvolles Rauschen erklang, als wollte es Geschichten aus fernen Ländern erzählen, über die der Wind seinen Weg bis nach London hinein gefunden hatte.

Auch ich lauschte dem Rascheln des Blattwerks für die Dauer einer Sekunde nach, als ich aus dem Rover gestiegen war. Dann drückte ich die Wagentür ins Schloss und empfand den dabei entstehenden Laut als ziemlich störend, denn mit einem dumpfen Echo durchbrach er die Stille des Parks, in dem ich angehalten hatte.

Ich stand nicht in völliger Dunkelheit. Außerdem war es noch die späte Dämmerung, aber für einen anderen Termin hatte der Mann, der mich...