Intramurale Medizin - Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug

von: Thomas Hillenkamp, Brigitte Tag

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783540284475 , 303 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 99,99 EUR

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Intramurale Medizin - Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug


 

Ärztliche Versorgung im Strafvollzug: Äquivalenzprinzip und Ressourcenknappheit (S. 35-36)

Bernd-Dieter Meier
I. Einleitung

Fragt man danach, an welchen Prinzipien sich die ärztliche Versorgung im Strafvollzug orientiert, stößt man auf den Begriff der Äquivalenz. Die ärztliche Versorgung im Vollzug soll zur Versorgung „draußen", genauer: zur Versorgung in der GKV, äquivalent, gleichwertig sein. Der Strafvollzug soll nach heutigem Verständnis nur die Freiheit nehmen, nicht aber durch schlechtere medizinische Versorgung bestrafen. Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag, das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich anzugleichen und den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 1 und 2 StVollzG), soll der Gefangene im Vollzug eine medizinische Versorgung, Beratung und Behandlung erhalten, die den außerhalb des Vollzugs erprobten und bewährten Standards und Leitlinien entspricht.

Dass sich die intramurale ärztliche Versorgung am Äquivalenzprinzip orientiert, ist nicht selbstverständlich. Die medizinische Versorgung der Gefangenen ist teuer. So wandte die Freie und Hansestadt Hamburg im Jahr 2003 für die Gesundheitsfürsorge der Gefangenen 8.388.000 € auf, was einem Anteil von knapp 8 % der Gesamtausgaben für den Strafvollzug entspricht. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass das rechtlich von der GKV abgekoppelte eigenfinanzierte Gesundheitssystem des Strafvollzugs für den Fiskus immer noch günstiger ist als die flächendeckende Einbeziehung sämtlicher Strafgefangener in die GKV, muss man befürchten, dass derartige Beträge bei Justiz- und Finanzpolitikern Begehrlichkeiten wecken und zu politischem Nachdenken über die Notwendigkeit des Äquivalenzprinzips Anlass geben. Dabei erscheinen die Gefahren für den Fortbestand des Äquivalenzprinzips umso realer, als politisch ein Wechsel der bisherigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu den Ländern diskutiert wird, was diesen die Möglichkeit eröffnet, auch die Maßstäbe für die Qualität der intramuralen medizinischen Versorgung gesetzlich neu zu bestimmen.

Die angedeuteten Gefahren geben Anlass, sich der Bedeutung des Äquivalenzprinzips für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug zu vergewissern und danach zu fragen, welche Relevanz diesem Prinzip gegenwärtig zukommt. Eine Bestandsaufnahme zum Maßstab, an dem sich die intramurale medizinische Versorgung heute orientiert, erscheint dabei nicht allein in rechtlicher Hinsicht geboten. Ein realitätsnahes Bild lässt sich nur dann gewinnen, wenn man auch die Rechtswirklichkeit mit in den Blick nimmt und danach fragt, ob und inwieweit der Anspruch der Äquivalenz in der Praxis tatsächlich eingelöst wird. Doch zunächst zur rechtlichen Seite.

II. Rechtliche Grundlagen der Äquivalenz

1. Bedeutung und Reichweite

Die zentralen Leistungsansprüche der Gefangenen auf Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, auf Krankenbehandlung und Versorgung mit Hilfsmitteln ergeben sich aus den §§ 57 bis 59 StVollzG. Die im StVollzG normierten Ansprüche sind parallel zu den im SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung) geregelten Ansprüchen der gesetzlich Versicherten konstruiert (§§ 25, 27 und 33 SGB V) und tragen den wichtigsten Interessen der Gefangenen an der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit Rechnung. Identisch sind die im StVollzG und im SGB V normierten Ansprüche nicht. 3 Unterschiede zeigen sich etwa beim Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung, der im StVollzG nicht explizit genannt wird, sowie beim Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, der nach § 59 Satz 1 StVollzG unter dem Vorbehalt der Dauer des Freiheitsentzugs steht. Auch steht dem Gefangenen anders als dem gesetzlich Versicherten kein Anspruch auf freie Arztwahl zu, im Vollzug kann sich der Gefangene allein an den Anstaltsarzt wenden. Auf die Einzelheiten ist hier nicht einzugehen, sie bilden das Thema eines eigenen Beitrags.