Klinische Neurologie

von: Peter Berlit

Springer-Verlag, 2006

ISBN: 9783540311768 , 1409 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 139,99 EUR

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Klinische Neurologie


 

21 Entzündliche Rückenmarkerkrankungen (S. 487-488)

S. Knecht21.1 Myelitis – 488
Häufigkeit und Vorkommen – 488
Ätiologie und Pathogenese – 488
Klinik – 490
Diagnostik – 492
Therapie – 494

21.2 Spinale Abszesse – 496
Ätiologie und Pathogenese – 496
Klinik – 496
Diagnostik – 496
Therapie – 497
Literatur – 498

21.1 Myelitis

Die Myelitiden lassen sich in nichtinfektiöse und infektiöse Formen unterteilen. Die nichtinfektiösen gehen in der Regel auf autoimmune Mechanismen zurück. Eine Unterscheidung in akute, subakute oder chronische Verlaufsformen einer Myelitis erlaubt keine sichere ätiologische Zuordnung. Die Erkrankungsdynamik kann jedoch in beschränktem Maße zur differentialdiagnostischen Eingrenzung bei tragen. Ausdrücke wie Myelitis transversa, also Querschnittsmyelitis, oder Leukomyelitis beschreiben das Verteilungsmuster der Entzündung. Im ersten Fall betrifft sie den gesamten Querschnitt des Rückenmarks, im zweiten Fall nur die weiße Substanz. Auch diese Ausdrücke lassen die Ätiologie der zugehörigen Entzündung offen.

Der Ausdruck Arachnoiditis ist wie andere Begriffe ebenfalls nur beschreibend und bezieht sich auf eine Fibrosierung der Arachnoidea oder der Pia mater des Rückenmarks meist als Folge einer chronischen Meningomyelitis oder Meningomyelora dikulitis. Mögliche Ursachen einer solchen Entzündung sind virale oder bakterielle Infekte, operative oder chemische Irritationen, etwa durch subdural applizierte Anästhetika oder Chemotherapeutika, oder eine Kombination aus diesen Faktoren.

Häufigkeit und Vorkommen

Zur Häufigkeit der Myelitis liegen wenig Zahlen vor. Angaben über die jährliche Inzidenz der akut verlaufenden Myelitis rangieren zwischen 1 und 5/1 Mio. Einwohner (Berman et al. 1981, Jeffery et al. 1993). Diese Zahlen schließen Patienten aus, bei denen andere Erkrankungen des Nervensystems wie z.B. eine multiple Sklerose (MS), ein systemischer Lupus ery thematodes (SLE) oder eine Sarkoidose vorbekannt waren. Nicht inbegriffen sind auch Patienten mit sich langsam entwickelnden Rückenmarkentzündungen wie z.B. einer HTLV-1-assoziierten Myelitis.

Ätiologie und Pathogenese

In der Serie von Jeffery et al. (1993) ließ sich bei 50% der Patienten mit einer akut verlaufenden Myelitis ein Allgemeininfekt im vorangegangenen Monat ausmachen, so dass diese Fälle als postinfektiös eingestuft wurden. In 20% der Fälle stellte sich die Mye litis als Primärpräsentation einer MS heraus. In einer anderen Studie, in der man Betroffene nach einer Myelitis weitere 3 Jahre lang beobachtete, wurde schließlich sogar bei 80% der Patienten eine MS diagnostiziert (Ford et al. 1992). In der Untersuchung von Jeffery konnte bei 20% der Patienten keine Ur sache der Myelitis gefunden werden. Bei weiteren 10% wurde die Erkrankung letztlich als ischämisch eingestuft und insofern die Diagnose »Myelitis« nachträglich falsifiziert. Auf die Rolle primär viral oder bakteriell verursachter Myelitiden wurde in dieser retrospektiven Studie nicht gesondert eingegangen. Wahrscheinlich gibt es hier Überschneidungen mit der Gruppe von Patienten, deren Myelitis als post- oder parainfektiös eingestuft wurde. In der folgenden Übersicht S. 489) sind die möglichen Ursachen einer Myelitis zusammengefasst dargestellt.

Nichtinfektiöse Myelitiden

Die MS gehört zu den autoimmunen Ursachen einer Myelitis. Neben der Myelitis als Primärpräsenta tion kommt es im Verlauf einer MS in bis zu 70% der Fälle zu einer spinalen Beteiligung (Papadopoulos et al. 1995). Da die MS mit einer Prävalenz von ca. 600/1 Mio. Einwohner in den nördlichen Breiten eine häufige Erkrankung ist, gehört sie zu den führenden Ursachen der Myelitis insgesamt (Kurtzke 1983).

Postinfektiöse und postvakzinale Myelitis. Die post - infektiöse oder postvakzinale Myelitis zählt ebenfalls zu den Rückenmarkentzündungen, die nicht primär durch einen Erreger, sondern durch eine fehlgeleitete Immunab- wehr bedingt sind. Es handelt sich hierbei um monophasische Erkrankungen, die 1–3 Wochen nach einem viralen Allgemeininfekt oder einer Impfung auftreten. Die Art des Infektes kann oft retrospektiv nicht mehr ausgemacht werden. Fast sämtliche Arten von Impfungen sind mit der postvakzinalen Myelitis in kausalen Zusammenhang gebracht worden, so Impfungen gegen Masern, Windpocken, Mumps und Röteln, aber auch gegen Tetanus, Poliomyelitis, Tollwut und Hepatitis. Die postinfek tiöse oder postvakzinale Myelitis zeigt Ähnlichkeit mit der akuten disseminierten Enzephalomyelitis (ADEM). Wahrscheinlich gibt es erhebliche Überlappungen zwischen diesen Entitäten. Ursächlich wird bei beiden Erkrankungen eine Autoimmunreaktion gegen ein unbekanntes Antigen mit perivenösen zellulären Infiltrationen, Demyelinisierung und Ödembildung diskutiert (Tselis u. Lisak 1995).